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Theologie aus der Mitte der Kirche
Rezension zu Maximilian Heinrich Heim: Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie (2004)

Stefan Hartmann

Hinweis/Quelle: Buchbesprechung zu: Maximilian Heinrich Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie unter dem Anspruch von Lumen gentium. Ekklesiologische Grundlinien, (Peter Lang) 2004, 511 Seiten (Bamberger theologische Studien Bd. 22). Hinweis: Inzwischen ist eine preisgünstigere 2. Auflage mit einem Geleitwort des neuen Papstes erschienen! Siehe die Folgerezension auf stjosef.at.

Es ist immer ein Risiko, über zeitgeschichtliche Phänomene ein akademisch ausgewogenes Urteil zu finden. Das gilt natürlich auch für Entwicklungen der Kirche und ihrer Lehre. Mitten in einem Wirkungs- und Rezeptionsprozess, wie er etwa für das Zweite Vatikanische Konzil von Kardinal Karl Lehmann in Grundzügen dargestellt worden ist (vgl. den Bamberger Vortrag „Hermeneutik für einen künftigen Umgang mit dem Konzil“, in: KlBl 84, 2004, 76–81), ist es nicht unproblematisch, bereits zu wertenden historischen Einordnungen zu kommen. So stellt sich auch die Frage, ob die vom bekannten italienischen Kirchenhistoriker Giuseppe Alberigo geleitete Historikerkommission mit ihrer mehrbändigen (und bereits weitgehend übersetzten) Veröffentlichung Storia del Concilio Vaticano II nicht unter mangelnder Distanz zum von ihr untersuchten Gegenstand zu leiden hat (vgl. dazu die Anmerkungen von D. Berger, Wider die Veteranen-Sentimentalität. Zur Frage der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Die Neue Ordnung 58, 2004, 108–120). Daher ist es auch ein Wagnis, über einen am Konzilsgeschehen beteiligten und nicht nur noch lebenden, sondern theologisch und kirchenamtlich (Präfekt der Glaubenskongregation; Dekan des Kardinalskollegiums) noch so aktiv wirkenden Theologen wie Kardinal Joseph Ratzinger eine ekklesiologische Arbeit zu verfassen. Dem aus dem oberfränkischen Kronach gebürtigen Zisterzienser und Prior des Stiftes Heiligenkreuz (NÖ), P. Maximilian Heinrich Heim, ist dieser Versuch gelungen, wie eine Durchsicht der aus drei Teilen bestehenden Grazer Dissertation (unter Betreuung von Prof. Dr. Bernhard Körner) bestätigen kann.

Heim stellt nicht das seit 1981 bestehende Wirken des Präfekten der römischen Glaubenskongregation in den Mittelpunkt seiner Untersuchung, sondern Joseph Ratzinger als „existentiellen“ und eigenständigen, aber in den lebendigen „Selbstvollzug der Kirche“ (wie Karl Rahner einmal sagte) eingegliederten Denker und Schriftsteller. Die Motivation für seine Arbeit entnimmt er den von der Erklärung „Dominus Jesus“ ausgelösten ökumenischen Irritationen, die durch eine gewissenhafte relecture von „Lumen gentium“ (Erster Teil) und die sich daran anschließende Interpretation der ekklesiologischen Schriften und Stellungnahmen Ratzingers (Zweiter Teil) aufgefangen und geklärt werden, um sodann in eine organische „Zusammenschau“ (Dritter Teil) einzumünden.

Der erste Teil „Das Selbstverständnis der Kirche nach Lumen gentium“ (Seite 28–136) kann als ein sehr hilfreicher nachträglicher Kommentar der Konzilskonstitution gelten. Dabei wird entgegen mancher Einseitigkeiten sowohl vom Mysterium der Kirche als Leib Christi, als auch von ihrer communio-Struktur und ihrem heilsgeschichtlichen Erscheinen als „Volk Gottes“ gehandelt. Heim betont im Rückblick auf die Konzilslehre das Sein der Kirche als „komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (LG 8). Im zweiten Teil „Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie“ (Seite 137–449), eine an Romano Guardini gemahnende Überschrift, wird biographisch (Seite 137–210) und werkgeschichtlich dem Werden der Ekklesiologie Ratzingers nachgegangen. Heim schildert besonders seine Herkunft und akademische Laufbahn, seine Mitwirkung am Konzilsgeschehen und seine Erfahrungen als Universitätsprofessor in Münster, Tübingen und Regensburg bis zum Bruch mit der Zeitschrift „Concilium“ (1972). Dabei könne man nicht von einer „Wende“ im Denken Ratzingers sprechen, wohl aber von „unterschiedlichen Akzentuierungen“ theologischer Erkenntnisse und „Korrekturen durch Veränderung der Perspektive“ (Seite 178). Knapp behandelt werden auch die Zeit als Erzbischof von München und Freising und Schwerpunkte im römischen Amt: die Entstehung des Weltkatechismus, die Auseinandersetzung mit der lateinamerikanischen „Theologie der Befreiung“ und dem „Traditionalismus“ des Erzbischof Lefebvre. Im Abschnitt „Längsschnitte durch die Ekklesiologie Joseph Ratzingers“ wird diese unter dem Anspruch und der Vorgabe von „Lumen gentium“ gedeutet. Die Leib-Christi-Lehre wird dabei auf ein eucharistisches Kirchenverständnis in einer Communio-Einheit hin ausgelegt. Besonders behandelt Heim die oft missverstandene und von Ratzinger mehrfach erörterte Differenz zwischen „subsistit“ und „est“ bei der Definition der Kirche (LG 8) und setzt sich mit der jüngsten Interpretation A. von Teuffenbachs (München 2002) kritisch auseinander (Seite 211–301). Ein eigenes Kapitel behandelt dann „Kirche als Volk Gottes“ (Seite 302–389), wo auch ausführlich auf die im Heiligen Jahr 2000 ausgetragenen Dispute mit Kardinal Walter Kasper über die „Vorgängigkeit der Gesamtkirche vor den Ortskirchen“ eingegangen (Seite 325–345) und schließlich Ratzingers Kritik der politischen Missverständnisse der „Volk-Gottes-Theologie“ aufgezeigt wird. „Die gemeinsame Berufung zur Heiligkeit“ (Seite 359–389) ist sodann der Hauptgrund für die Integration der Mariologie in die Kirchenlehre, wie sie von „Lumen gentium“ vorgenommen wurde. Ein Schlusskapitel über „hierarchische Verfassung und bischöfliche Kollegialität“ (Seite 390–449) schildert auch Ratzingers wachsende Sorge um die Entstehung bürokratischer und apersonaler Zwischeninstanzen zwischen dem einzelnen Bischof und dem Bischof von Rom als Nachfolger Petri. Grundanliegen ist Ratzinger immer wieder die Einheit der Kirche in der Wahrheit des Glaubens.

In „Zusammenschau und Resümee“ (Seite 450–471) versucht Heim abschließend, eine differenzierte Antwort auf die Problematik der Kontinuität bzw. Diskontinuität im Denken Ratzingers zu geben. Auch die herangezogenen Konzilstexte zeigen einen Kompromisscharakter und haben unterschiedliche Aussagerichtungen. Ratzinger verändert seine Interpretationsschwerpunkte aufgrund „geistesgeschichtlicher Problemstellungen“ (Seite 458) und bestimmter Gefährdungen, die sich aus ihnen ergeben könnten (vgl. dazu ausführlicher die Arbeit von P. G. Sottopietra, Wissen aus der Taufe. Die Aporien der neuzeitlichen Vernunft und der christliche Weg im Werk von Joseph Ratzinger, Eichstätter Studien Bd. 51, Regensburg 2003). Diese von Heim ohne Scheu angesprochenen Akzentverschiebungen machen aus dem Theologen und Kirchenmann Joseph Ratzinger eben eine „kirchliche Existenz“ und aus seinem Denken eine „existentielle Theologie“. Ihr Anliegen mündet zuletzt in die Liturgie als „Ausdruck des ‚Universalen’“ und „actio des Ganz-Anderen“ (Seite 469f). Karl Barth, der 1933 sein bekennendes Buch „Theologische Existenz heute!“ veröffentlichte und eine „Kirchliche Dogmatik“ verfasste, hätte an der zünftigen und auch in der Ekklesiologie zutiefst christozentrischen Theologie Ratzingers sicher seine Freude gehabt. Eine Hinführung zu dieser Freude, die das Kreuz des Widerspruchs und des Ärgernisses nicht verdrängt, kann auch das hier kurz vorgestellte lehrreiche Werk des Zisterzienserpriors Maximilian Heinrich Heim sein.