Predigt:
Ein Übermaß an ewiger Herrlichkeit
10. Sonntag im Jahreskreis B (07.06.2015)
L1: Gen 3,9-15; L2: 2 Kor 4,13-5,1; Ev: Mk 3,20-35
Josef Spindelböck
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
In der Lesung aus dem Buch Genesis ist von der Sünde der ersten Menschen die Rede. Adam und Eva hatten von der Frucht des Baumes der Erkenntnis gegessen und damit gegen das ausdrückliche Gebot Gottes verstoßen. Sie hatten sich durch ihre Tat selbst des Glücks im Paradies beraubt. Nach ihrer verhängnisvollen Entscheidung für das Böse erkannten sie, dass sie all das Große und Schöne verloren hatten, welches Gott ihnen zuerst geschenkt hatte.
Typisch ist allerdings die Reaktion der Betroffenen, als Gott die ersten Menschen zur Rede stellt. Adam gibt zwar zu, dass er von der verbotenen Frucht gegessen hat. Er meint jedoch, die eigentliche Schuld auf seine Frau schieben zu können: Denn sie hat ihm ja von dieser Frucht gegeben und ihm deren Köstlichkeit vor Augen gestellt. Eva wiederum will den Vorwurf, als erste schuldig geworden zu sein, nicht auf ihr sitzen lassen. Denn: die Schlange – also der Teufel – hat sie verführt!
Wiederholt sich dieses archaische Muster der Schuldbestreitung und der Verdrängung sowie der Fremdbeschuldigung nicht auch in unserem Leben immer wieder aufs Neue? Da werden in einer Familie die Kinder ermahnt nicht zu streiten. Und was kommt heraus, wenn die Mutter die Kleinen zur Rede stellt? Angefangen hat immer der andere! Niemand war eigentlich schuld daran, dass es zum Streit gekommen ist.
Selbst bei uns Erwachsenen ist es so: Wer will schon zugeben, dass er einen Fehler gemacht hat, oder gar, dass sie oder er etwas Böses getan hat? Dazu gehört schon eine gewisse Größe, und umkehrt braucht auch jener andere diese Größe, dem Unrecht geschehen ist und der jetzt von seinem früheren Peiniger gebeten wird, ihm doch zu verzeihen. Da tun wir uns zugegebenermaßen alle recht schwer damit!
Jesus Christus befreit uns von all diesen selbstgemachten und auch „ererbten“ Verstrickungen: Er erlöst uns von der Schuld und von den Mustern der Selbstrechtfertigung und der Fremdbeschuldigung. Gott blickt auf uns mit Liebe, und er tut dies auch dann, wenn wir schuldig geworden sind. Seine Güte und Barmherzigkeit ermutigen uns, die eigene Schuld zuzugeben und ihn um Verzeihung zu bitten. Unser Herz wird dann wieder frei zum Guten, und wir gewinnen die wahre Freude zurück, die uns nur Gott schenken kann. Ein Stück weit ist das Paradies wiedergewonnen!
Dies wird besonders deutlich erfahrbar im Empfang des Bußsakraments. Da tritt der Mensch vor Gott hin und bekennt ehrlichen Herzens in Demut und Reue seine Schuld. Die Antwort, die der Priester dem Sünder im Auftrag Gottes übermitteln darf, besteht in der Lossprechung von allen Sünden im Namen Christi. „Deine Sünden sind dir vergeben“ (vgl. Mt 9,2); „gehe hin und sündige nicht mehr!“ (vgl. Joh 8,11) – so lauten die Worte Christi dann auch für uns.
Aber warum, fragt sich vielleicht jemand, sind wir nicht wieder ganz ins Paradies zurück versetzt worden? Es müsste ja dort wohl friedlicher zugegangen sein als in dieser Welt, wo es Hass und Streit, Auseinandersetzungen und Kriege gibt! Die Antwort lautet: Jesus Christus hat uns wirklich erlöst von der Wurzel allen Übels, nämlich von der Sünde als bewusste und willentliche Trennung des Menschen von Gott. Wer sich von Jesus Christus das Leben mit Gott neu schenken lässt in der heiligen Taufe und wer in dieser Taufgnade zu leben sucht, darf in unerschütterlicher Hoffnung dem Ziel der ewigen Vollendung entgegen gehen. Wir sind bereits erlöst, doch die Frucht dieser Erlösung zeigt sich erst dann in ihrer Fülle, wenn wir aufgenommen werden ins himmlische Reich. Dann sind wir wirklich im Paradies, wovon auch Jesus ausdrücklich spricht. Es wird alle unsere kühnsten Erwartungen übertreffen, denn das Glück der Liebe zu Gott wird ohne Grenzen sein.
Solange wir noch auf Erden leben, sind wir so manchen Bedrängnissen und Versuchungen ausgesetzt. Doch sind wir im Glauben voll Zuversicht. Denn wie der Apostel Paulus im zweiten Brief an die Korinther sagt: „Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. Denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit.“ (2 Kor 4,16–17)
So erwarten wir tatsächlich – wie der Apostel sagt – „eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.“ (2 Kor 5,1)
Jesus Christus, der neue Adam, hat uns erlöst, und wir gehören als Menschen, die den Willen Gottes tun, zu seiner geistlichen Familie; wir sind für ihn Bruder, Schwester und Mutter (vgl. Mk 3,35). Und niemand anderer ist unserem Herrn Jesus Christus und uns allen mehr „Mutter“ als die selige Jungfrau Maria, die das Wort Gottes im Glauben angenommen und im Leben verwirklicht hat. Sie möge uns beistehen durch ihre Fürbitte bei ihrem Sohn!
Amen.