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Religionsfreiheit

Karl Hörmann: LChM 1976, Sp. 1375-1380

I. Unter Religionsfreiheit versteht man die Freiheit in rel. Angelegenheiten, deren Gewähr und Schutz man vom Staat und deren Achtung man von den einzelnen Menschen, den sozialen Gruppen, der Kirche und den anderen rel. Gemeinschaften verlangt (2. Vat. Konz., DH 1 f 6 15; LG 36). Das Verlangen stellen die Menschen einzeln und in ihren rel. Zusammenschlüssen (Kirchen, Religionsgemeinschaften, rel. Vereinigungen) (DH 2).

1. Religionsfreiheit umfaßt mehrere Elemente:

a) Gewissensfreiheit.

Die menschl. Person beansprucht als ihr natürl. Recht, das sie vom Staat geachtet und geschützt sehen will, die Freiheit von äußerem Zwang (vgl. Gewalt) in der Erforschung der rel. Wahrheit, in der Annahme oder Ablehnung eines rel. Glaubens, in der privaten rel. oder nichtrel. Lebensgestaltung. In all diesen Dingen will sich der Mensch selbst entscheiden können. Beeinträchtigt würde er darin durch jeden gesetzl. oder außergesetzl. Zwang (z.B. durch gesellschaftl., wirtschaft., bürgerl. Benachteiligung), im rel. Bereich etwas zu tun oder zu unterlassen (DH 3 6).

b) Freie Religionsübung, näml.

Ò) Freiheit im Ausdruck der rel. Überzeugung (Familiengestaltung aus dem Geist der Religion, öffentl. Religionsübung, Verbreitung rel. Glaubens, öffentl. Stellungnahme zu Zeitproblemen unter dem Gesichtspunkt von Religion und Sittlichkeit) (DH 1 4 f 15);

ß) rel. Vereinigungsfreiheit (Eintritt in Religionsgemeinschaften und rel. Vereine und Austritt aus ihnen) (DH 4 6 15);

þ) Freiheit der Kirchen (Religionsgemeinschaften): Freiheit im eigenen Bereich (Verfassung, Lehre und Lebensentfaltung, innere Disziplin, Ausbildung und Bestellung von Amtsträgern und Religionsdienern, Verkehr mit anderen Religionsgemeinschaften und mit rel. Autoritäten in anderen Ländern, Erwerb und Verwendung des für ihre Zwecke notwendigen Eigentums) und Freiheit von Beanspruchung für Staatszwecke (DH 4 13).

2. Ein Staat, der diese Freiheiten gewährt, gesteht zu, daß es Dinge gibt, die wohl die im Staat lebenden Menschen (Gesellschaft, Staatsvolk) etwas angehen, nicht aber ihn selbst; daß also der Gesellschaft mehr zugehört als dem Staat (Staat und Gesellschaft sind nicht einfach identisch); daß zu den Angelegenheiten, die dem Staat vom Staatsvolk mit dem Recht des Zwanges übertragen sind, nicht der Bereich des Heiligen gehört; daß das Volk vom Staat in seiner Freiheit geachtet und nicht weiter beeinträchtigt werden will, als es für die dem Staat übertragenen Aufgaben notwendig ist (DH 1 3). Mit der Verankerung der Religionsfreiheit in der Verfassung übt der Staat weise Selbstbeschränkung.

II. Im wesentl. wird die Religionsfreiheit folgendermaßen begründet:

1. Die Gewissensfreiheit wird von der Religion ihrer Natur nach gefordert. Bei rel. Entscheidungen handelt es sich um sittl. Entscheidungen, zu deren Wesen es gehört, daß sie frei getroffen werden (wenn auch nicht grundlos; frei heißt nicht willkürl.). Ein anderer Mensch kann Einsichten vermitteln, jedoch nicht die Entscheidung selbst in bestimmter Richtung erzwingen. Daß jeder Zwang gegen die Natur der rel. Entscheidung verstößt, wird weithin anerkannt (Allg. Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen, 10.12.1948, Art. 18; Österr. Staatsgrundgesetz 1867,14 III; Grundgesetz der BRD 4 I; 33 III; Johannes XXIII., PT 144; DH 3 6). Theol. ist diese Erkenntnis in der Offenbarung begründet, die zeigt, daß Gott den Menschen als sittl. (der freien Entscheidung fähiges) Wesen gerade auch dann achtet, wenn es um die Entscheidung für oder gegen Gott geht. Jesus Christus fordert den Glauben, aber erzwingt ihn nicht (vgl. Mt 9,28 f; Mk 6,5 f; 9,23 f; Joh 6,29.64.67). Daran hält sich die Kirche: „Ad amplexandam fidem catholicam nemo invitus cogatur“ (CICc. 1351; vgl. Leo XIII., D 3177; Pius XII., UG 2731 3984; „Myst. corp.“, AAS 1943,243; Pauls VI., „Ecclesiam suam“, AAS 1964,642 f; DH 10–12 14).

2. Die Freiheit des Ausdruckes der rel. Überzeugung (Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 9; Grundgesetz der BRD 4 II) gehört notwendig zur Gewissensfreiheit. Der Mensch muß die Möglichkeit haben, das zu tun, wozu sein Gewissen ihn drängt (worüber zu urteilen der Staat nicht berufen ist), und darf nicht zu einem Verhalten gezwungen werden, das seinem Gewissen widerspricht. Man darf die persönl.-innere Existenz des Menschen nicht um die Möglichkeit ihrer Entfaltung in der gesellschaftl.-geschichtl. Existenz bringen (DH 3 5).

Die anscheinend gegenteiligen Stellungnahmen Pius' IX. (D 2977–79) sind aus der Auseinandersetzung mit dem weltanschaul. Liberalismus zu verstehen, der der Staatsgewalt das Recht zusprach Religionsfreiheit mit der Begründung zu gewähren, daß alle Religionen gleichviel wert seien, und damit auf rel. Gebiet Werturteile abzugeben.

Dem rel. Ausdruck Grenzen zu setzen ist der Staat nur berechtigt, wenn dies im Interesse seiner wirkl. Aufgaben notwendig ist (DH 3).

3. Die rel. Vereinigungsfreiheit, d.h. die Freiheit, sich einer Religionsgemeinschaft anzuschließen oder aus ihr auszutreten (Europ. Konv. zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 9), gehört untrennbar zur Gewissensfreiheit, stützt sich daher auf dieselben Gründe wie diese; ebenso die Freiheit, zu rel. und karitativen Zielen Vereine zu bilden, für die man sich außerdem auf das allg. Recht zu freier Vereinsbildung (beruhend auf der Sozialnatur des Menschen und auf dem Subsidiaritätsprinzip) berufen kann (DH 4 6).

4. Die Freiheit der Kirche (Religionsgemeinschaft) ist eine Auswirkung der Gewissensfreiheit und der Vereinigungsfreiheit. Ferner ist zu beachten: Die Kirche unterscheidet sich in Ursprung, Verfassung und Ziel vom Staat. Aus der Natur der Sache ergibt sich daher nicht ein Recht des Staates über die Kirche, vielmehr sollen sich Gesetze und Behörden des Staates auf die ihnen eigenen Angelegenheiten beschränken und sich vom Bereich der Kirche und des Gewissens fernhalten (DH 4 13). Auch nichtkath. christl. Kirchen erheben diesen Anspruch.

Zur wahren Freiheit der Kirche gehört auch die Freiheit, ihre apost. Aufgabe zu erfüllen. Der Staat ist für die Definition der Sendung der Kirche, die dem Bereich des Heiligen angehört, nicht zuständig (DH 13 f). Die rel. Gemeinschaften selbst haben allerdings die Pflicht, sich in ihrer apost. Tätigkeit jeden Zwanges und aller unehrenhaften Mittel zu enthalten (DH 4).

III. Für die Einschränkung der Freiheit rel. Ausdruckes ist zu beachten:

1. Gelegentl. wurden dafür der Staatsgewalt Maßstäbe angeboten, die sich bei näherem Zusehen als unbrauchbar erweisen. Wenn man fordert, der Staat solle die Wahrheit fördern und den Irrtum unterdrücken, überfordert man ihn, da er für diese Unterscheidung nicht zuständig ist; ebenso mit der Verpflichtung auf Formeln (mögen sie noch so richtig sein), die diese Unterscheidung voraussetzen, z.B. „Nur die Wahrheit hat ein Existenzrecht, nicht aber der Irrtum“ oder „Den Irrtum darf man höchstens tolerieren, nicht aber gutheißen“.

2. Der einzige Maßstab, den anzuwenden der Staat fähig, berechtigt und verpflichtet ist, besteht im Erfordernis der öffentl. Ordnung, für die er zu sorgen hat (Pius XII., UG 3972; DH 2 4 7). Der Staat kann verlangen, daß die Bürger ihre Rechte im allg. und ihre Religionsfreiheit im besonderen im Bewußtsein ihrer personalen und sozialen Verantwortung üben.

Der rel. Ausdruck darf vom Staat nur behindert werden, wenn er a) den öffentl. Frieden, b) die allg. angenommenen Maßstäbe der öffentl. Sittlichkeit, c) die Rechte anderer Bürger verletzt. Im Einzelfall haben die Entscheidenden gewissenhaft zu prüfen, ob die öffentl. Ordnung wirkl. ernsthaft gefährdet ist und nur durch Einschränkung des rel. Ausdruckes geschützt werden kann; so viel Freiheit wie mögl., und nur so viel Einschränkung wie notwendig (DH 7).

IV. Vergangene Versuche, die Frage der Religionsfreiheit zu lösen, waren vielleicht schon für ihre Zeit nicht ganz richtig oder können zumindest heute nicht einfach übernommen werden, weil die Gegebenheiten und die Fragestellungen anders geworden sind.

1. In einer falschen Richtung wurde die Lösung überall dort gesucht, wo dem Staat eine eigentl. Zuständigkeit in rel. Fragen zugesprochen wurde (Cäsaropapismus, landesfürstl. Oberhoheit über die Kirche, Verabsolutierung des Staates, totalitäre Systeme).

2. Zur Klärung der Frage trugen die Päpste Gelasius, Gregor VII. (Kampf um die Freiheit der Kirche), Pius IX. (D 2903 2939 2977–79), Leo XIII. (D 3176 3252), Pius XI. (AAS 1931,302; 1937,72.159 f.196), Pius XII. (UG 71 234 252 508 3469 3472 3480 3505 3972 3985), Johannes XXIII. (Ansprache 11.9.1962, AAS 1962,682; PT 8–45), Paul VI. („Ecclesiam suam“, AAS 1964,637–659) sowie das 2. Vat. Konz. (DH) wesentl. bei.


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