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Doctor angelicus
Eine neue Zeitschrift stellt sich vor! (2000)

David Berger

Hinweis/Quelle: Jetzt gibt es eine eigene Homepage der Zeitschrift.

Wer auf den kirchlich-theologischen Blätterwald schaut, wird vielleicht stöhnen: Neben den vielen theologischen Zeitschriften nun noch eine theologische Zeitschrift! Und in der Tat, der Markt theologischer Zeitschriften quillt geradezu über. Warum haben wir uns also entschlossen mit der Zeitschrift Doctor Angelicus ein eigenes thomistisches Jahrbuch, das in Deutschland herausgegeben wird, zu begründen?

Während es in Frankreich (Revue thomiste)[1], im angloamerikanischen Raum (The Thomist)[2], in Italien (Divus Thomas)[3] und Spanien (Ciencia Tomista)[4] eigene Periodika gibt, die als Forum für die Thomasforschung zur Verfügung stehen, existiert ein solches Organ in Deutschland seit fast einem halben Jahrhundert nicht mehr. Die von dem verdienten thomistischen Gelehrten Ernst Commer (1847–1928) begründete Zeitschrift Divus Thomas wurde schon 1954 in Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie umbenannt. Eine Umbenennung, die ganz der in den folgenden Jahren vorgenommenen inhaltlichen Neukonzeption entsprach. Eine große Tradition wurde damit abgebrochen. Unabhängig, wie man dazu stehen mag, ist offensichtlich, dass dieser Traditionsbruch damals ganz dem Zeitgeist entsprach, ja fast eine Vor­wegnahme einer in den folgenden Jahrzehnten ihre ganze Sprengkraft zeigenden Entwicklung war. Der amerikanische Thomasforscher Thomas F. O’Meara, O.P., bemerkt: „The effect of the Second Vatican Council upon Thomism, however, seemed to be a disaster ... Aquinas’ influence was reduced, as contemporary or biblical theologies replaced neo-scholasti­cism.”[5]

Ließ dieses Desaster in den romanischen Ländern durchaus noch bestimmte Traditionen unangetastet, war es im Heimatland der Reformation, wo bereits vor dem Konzil der Thomismus strikter Observanz einen schweren Stand hatte, radikal. Umso erstaunlicher ist es, dass sich im letzten Jahrzehnt ein stetiges Anwachsen eines neuen Interesses am Aquinaten unter den jüngeren Philosophen und Theologen feststellen lässt.[6]

Das neue Jahrbuch, dessen erster Band hier vorliegt, versteht sich als Teil dieser Wende. Es wird in Deutschland herausgegeben, ist aber als internationales Perio­dikum konzipiert, das über die deutschen Artikel hinaus auch Beiträge in den wichtigsten Sprachen der katholischen Welt veröffentlicht. Dies legt sich nicht nur angesichts der Tatsache, dass die Thomasforschung seit ihrem Neubeginn im Rahmen der Neuscholastik ab der Mitte des 19. Jahrhunderts stets international ausgerichtet war, nahe. Es hat seinen tiefsten Grund in jenen schönen Worten, die Papst Paul VI. am 7. März 1964 in seinem Schreiben an den Ordensgeneral der Dominikaner richtete: Die Lehre des hl. Thomas „ist nicht mittelalterlich, sie ist auch nicht Eigentum eines bestimmten Volkes, sondern sie übersteigt die Zeiten und Räume und ist daher für die gesamte Menschheit unserer Tage nicht weniger gültig“.

Neben diesen Forschungsarbeiten soll jedes Jahrbuch zudem eine ausführliche Bibliographie thomis­tischer Sekundärliteratur bieten.[7] Auch damit wird eine Forschungslücke geschlossen, da das Nachfolgeorgan des Bulletin Thomiste (Le Saulchoir – Paris 1924–65), die Rassegna di Letteratura Tomistica (Neapel 1968 ff.), die zweifellos ein „einzigartiges Hilfsmittel zur Information über Thomas“[8] darstellte, schon seit 1993 nicht mehr erscheint.

In dieser Form dürfte die Konzeption des Jahrbuchs weltweit einmalig sein.

Das Jahrbuch trägt als Haupttitel eine der ältesten und schönsten Ehrenbezeichnungen des hl. Thomas von Aquin: Doctor angelicus, der engelgleiche Lehrer.

Bereits einige Jahre nach dem Tod des großen Lehrers (1274) finden wir Aussagen, die diesen mit einem Engel vergleichen. Ferdinand Holböck hat in einer kurz nach dem Tod des Aquinaten entstandenen Handschrift, die im niederösterreichischen Zisterzienserstift Lilienfeld aufbewahrt wird, die Einleitungsworte gefunden und publiziert: „Frater Thomas sancte memorie, qui sicut angelus doctrina sua illuminavit sanctam ecclesiam.“[9]

Explizit soll der für seine Klugheit sehr geschätzte Dominikanergelehrte, der hl. Antoninus Pierozzi von Florenz (1389–1459), als erster diesen Ehrentitel für den Aquinaten gebraucht zu haben. Seit dem 15. Jahrhundert wird es allgemein in der katholischen Kirche üblich, für Thomas neben der Bezeichnung Doctor communis den Ehrentitel „engelgleicher Lehrer“ zu gebrauchen. Vom Konzil von Trient an finden wir den Titel kontinuierlich in Äußerungen des kirchlichen Lehramtes.[10] Auch der regierende Pontifex gebraucht ihn in seiner Enzyklika Fides et Ratio in einer auf­fälligen Häufigkeit (nr. 43, 44 und 58).

Warum trägt der Aquinate diesen Titel?

Nach Thomas selbst zeichnen sich die Engel gegenüber dem Menschen dadurch aus, dass sie diesen aufgrund ihrer reinen Geistigkeit (pura spiritualitas) an Wissen und Weisheit weit übertreffen (Sth Ia q.55 a.1–2; Ver q.8 a.9)[11]. Noch deutlicher wird deren Überlegenheit jedoch im Hinblick auf die den Engeln sogleich nach der Bewährung zuteil gewordene Schau der Quelle aller Wahrheit, der visio Dei facialis. Sie ist es, die die Engel dazu befähigt, die göttlichen Geheimnisse den Menschen mitzuteilen, das Geschaute weiterzuvermitteln. Dies zeigt sich in besonders erhabener Weise in jener Stunde, in der das Wort Fleisch wurde: „Conveniens fuit matri Dei annuntiari per angelum divinae incarnationis mysterium, ut in hoc etiam servaretur divina ordinatio, secundum quam mediantibus angelis divina ad homines perveniunt: Es war konvenient, dass der Mutter Gottes das Geheimnis der göttlichen Menschwerdung durch einen Engel verkündet wurde, damit auch hierin die göttliche Ordnung gewahrt werde, gemäß welcher die göttlichen Dinge durch die Vermittlung der Engel zu Menschen gelangen.“[12]

Überlegene Geistigkeit und Weisheit, gepaart mit einer großen, ganz der Beschauung des Göttlichen hingegebenen Heiligkeit zeichnet auch Person und Werk des Aquinaten in singulärer Weise aus. In Fides et Ratio schreibt der regierende Pontifex im Anschluss an die unsterbliche Thomasenzyklika Leos XIII., Aeterni Patris, vom 4. August 1879: Das Denken des Thomas „erreichte, eben weil es immer im Horizont der uni­versalen, objektiven und Transzendentalen Wahrheit blieb, ‚Gipfel, wie sie die mensch­liche Intelligenz niemals zu denken vermocht hätte.’ (AAS 11 [1878–79] 109)“ (Nr.48).

Wenn jeder Heilige der Kirche ein besonderes Charakteristikum hat, so ist es beim hl. Thomas eben das vollkommen harmonische Zusammenspiel von Heiligkeit und Gelehrsamkeit.[13] Vincent de Contenson, O.P., (1641–1674) schrieb in seiner berühmten Theologia mentis et cordis, dass der engelgleiche Lehrer deshalb engel­gleich sei, weil er nicht nur einen bis in die tiefsten Tiefen der Wahrheit dringenden Intellekt besessen habe, sondern vor allem deshalb, weil er, obgleich noch hienieden anwesend, bereits geistig im Himmel weilte“. Kardinal Bessarion sprach in ähnlicher Weise vom hl. Thomas als dem „Gelehrtesten unter den Heiligen und dem Heiligsten unter den Gelehrten“[14] und der edle Jacques Maritain versuchte die Person des Aquinaten mit dem Ausdruck „sainteté de l’intelligence“[15], Heiligkeit der Intelligenz, zu charakterisieren. Nichts jedoch hätte dem Engelgleichen Lehrer ferner gelegen, als das ihm in Wissenschaft, Weisheit, persönlicher Heiligkeit und Vollkommenheit zuteil Gewordene einfach für sich zu behalten. Wie die Engel das Göttliche an die Menschen ver­mitteln, so war der ganz dem Göttlichen zugewandte heilige Lehrer zugleich – entsprechend dem Wahlspruch seines Ordens: Contemplari et contemplata aliis tradere[16] – von dem bren­nenden Drang erfüllt, dieses in Lehre und Seelsorge weiterzugeben.

Wer den hl. Thomas wirklich kennt, wird wohl nicht anders können als mit Studiorum Ducem zu sagen, dass die durch den Titel Doctor angelicus zum Ausdruck gebrachten Leitmotive der Doktrin des Aquinaten immer aktuell sind und „für alle Zeiten und Zonen gelten“ (nr. 1924). Sehr zutreffend hat daher einer der wichtigsten Vertreter der Schule des hl. Thomas, der berühmte Kommentator der Summa contra gentiles, Franziskus Sylvestris von Ferrara, O.P., den engelgleichen Lehrer als homo omnium horarum bezeichnet. Die darin deutlich werdende Überzeugung hat die Gründer von Doctor Angelicus motiviert, das Projekt eines thomistischen Jahrbuches (wieder-) auf­zunehmen.

Neben den beiden Gründern des Jahrbuches haben sich zwei verdiente Gelehrte großzügig bereit erklärt als Mitherausgeber zu fungieren. Zum einen der hochwürdige Apostolische Protonotar Prälat Prof. Dr. Brunero Gherardini (Vatikanstadt), der sich neben seinen wichtigen theologischen Arbeiten als einer der wichtigsten Mitarbeiter im Seligsprechungsprozess für Pius IX. engagiert hat. Und der den Lesern von Theologisches sicher bekannten Univ.-Prof. em. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Waldstein.

Die erste Nummer von Doctor Angelicus ist soeben erschienen. Sie enthält nach einem Grußwort des Präsidenten der Päpstlichen Römischen Akademie des hl. Thomas von Aquin, P. Prof. A. Lobato O.P., zahlreiche wissenschaftliche Beiträge, Rezensionen der neueren Thomasliteratur und die Thomistische Bibliographie für das Jahr 2000.

Das Jahresabonnement (Umfang zw. 200 und 300 Seiten / gebunden) kostet DM 39,-, einzelne Jahr­­bücher sind über den Buchhandel (ab Herbst: ISBN 3–8311–2167–2) und das Internet (sofort: www.bod.de oder www.amazon.de ) erhältlich. Dauer­abonnementen richten ihre Bestellung mit Verrechnungsscheck mit dem Abonnementbetrag bitte an die Schriftleitung des Jahrbuches (Dr. David Berger, Thumbstr. 57; 51103 KÖLN, Germany; e-mail: DavidBergerK@aol.com).

 


[1] Zur Geschichte dieser Zeitschrift: Serge-Thomas BONINO, Saint Thomas au XXe siècle. Actes du colloque du centenaire de la „Revue thomiste“ 25–28 mars 1993, Toulouse – Paris 1993.

[2] A Theological and Philosophical Quarterly. Herausgegeben von den Dominikanerpatres der St. Josephsprovinz, New York / Washington 1939 ff. Dazu: ChP II (1988) 741.

[3] Zu deren Gründung am Collegio Alberoni in Piacenza (1879) durch den damals erst 32 Jahre alten Alberto Barberis: ChP II (1988), 106–107. „Diese Zeitschrift war die erste der Welt, die sich aus­schließlich dem hl. Thomas widmete. In ganz Italien, aber auch in Belgien, in Spanien, in Österreich-Ungarn, in Deutschland, in Frankreich usw. wurde sie begeistert begrüßt.“

[4] Madrid 1910 ff.

[5] Thomas F. O’MEARA, Thomas Aquinas Theologian, Notre Dame 1997, 198.

[6]Otto H. PESCH, Heiße Eisen der Ökumene, in: Konrad Reiser u.a. (Hg.), Ökumene vor neuen Zeiten, Freiburg/Breisgau 2000, 446.

[7]Da sich diese noch im Aufbau befindet, enthält der erste Band eine Auswahlbibliographie.

[8] Otto H. PESCH, Thomas von Aquin. Größe und Grenze mittelalterlicher Theologie, Mainz 31995, 409.

[9] Ferdinand HOLBÖCK, Thomas von Aquin als Doctor Angelicus und Doctor Angelorum, in: StTom 2 (1977) 203.

[10] Cf. I.M. RAMÍREZ, De auctoritate doctrinali S. Thomae Aquinatis, Salamanca 1952, passim.

[11] Cf. HOLBÖCK, Doctor Angelicus, 213: “Was das Wesen der Engel betrifft, so ist Thomas einer der ersten, der mit absoluter Klarheit und Konsequenz und ohne jede Einschränkung für die reine Geistigkeit der Engel eintritt.”

[12] THOMAS VON AQUIN, Summa theologiae IIIa q.30 a.2.

[13] Gion DARMS, Thomas von Aquin. Ein Beitrag zu seinem Verständnis unter besonderer Be­rücksichtigung der neueren päpstlichen Erlasse, Zürich – Frankfurt/Main – Brixen 1961, 125.

[14] « ... non minus inter sanctos doctissimus, quam inter doctos sanctissimus ». Zit. nach Jacques BERTHIER, Sanctus Thomas Aquinas « Doctor Communis » Ecclesiae, Rom 1914, 679.

[15] Jacques MARITAIN, Le Docteur Angélique, Paris 1930, 29.

[16] Cf. dazu : Jean-Pierre TORRELL, Saint Thomas d’Aquin. Maître spirituel, Freiburg/ Schweiz – Paris 1997, 509–511.