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Was ist ein Mensch noch wert?
Anmerkungen zum „Stammzellen-Report“ einer britischen Expertengruppe (24. August 2000)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Dieser Artikel erschien in Kurzform in der Zeitung „Die Presse“ vom 24.08.2000

Der sogenannte „Stammzellen-Report“ einer Expertengruppe unter Vorsitz des höchsten britischen Gesundheitsbeamten (Chief Medical Officer), Prof. Liam Donaldson, an die britische Regierung[1], veröffentlicht am 16. August 2000, schlägt unter anderem vor, die Heranziehung durch Klonen erzeugter Embryonen zur Gewinnung menschlicher Stammzellen unter strenger Überwachung durch die aufgrund des „Human Fertilisation and Embryology Act“ von 1990 bestehende „Human Fertilisation and Embryology Authority“ (HFEA) zuzulassen. Ob damit der Weg von der in Großbritannien bereits legalisierten „verbrauchenden“ Embryonenforschung zum sogenannten „therapeutischen Klonen“ tatsächlich freigemacht wird, hängt vom britischen Parlament ab, in dem im Herbst ohne Fraktionszwang auf der Basis der Gewissensüberzeugung jedes einzelnen Abgeordneten entschieden werden soll.

Worum handelt es sich bei diesem Vorschlag?

Stammzellen sind pluripotent, d.h. sie haben die Fähigkeit, sich zu verschiedenen Zellen und Organen auszudifferenzieren. Ihre gezielte Züchtung und Heranziehung durch die Medizin wird als therapeutischer Vorteil gesehen, um bei Organdefekten oder Krankheiten wirksam helfen zu können. Die Forschung solle in dieser Richtung gefördert werden, um zu erreichen, daß es bald möglich wird, kranken Menschen eine wirksame Abhilfe zu schaffen.

Als mögliche Quellen von Stammzellen werden in dem Bericht genannt[2]:

  • frühe Embryonen (Blastocyten), die durch „In-vitro-Fertilisation“ gezeugt wurden: entweder sog. „überzählige Embryonen“ oder speziell für Forschungszwecke erzeugte Embryonen;
  • durch Klonen erzeugte Embryonen (durch „cell nuclear replacement“ d.h. durch Zellkernaustausch hergestellt);
  • Keimzellen oder Organe abgetriebener Föten;
  • Zellen des Nabelschnurblutes zum Zeitpunkt der Geburt;
  • spezielle Gewebezellen Erwachsener (z.B. aus dem Knochenmark);
  • reife Gewebezellen Erwachsener, die durch biomedizinische Verfahren umprogrammiert wurden und sich nun wie Stammzellen verhalten.

Aus moraltheologischer Perspektive können nur die drei letztgenannten Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden, nämlich Stammzellen aus dem Nabelschnurblut, aus speziellen Gewebszellen wie dem Knochenmark oder durch Umprogrammierung erwachsener Körperzellen zu gewinnen. Bei allen anderen Formen wird bereits gezeugtes oder im Labor „hergestelltes“ Menschenleben vernichtet und somit der Mensch in seiner unveräußerlichen Würde mißachtet und als Mittel zum Zweck degradiert.

Der „Stammzellen-Report“ argumentiert allerdings anders: Ein möglicher Nutzen für die Forschung oder die Therapie wiege jenen Respekt auf, der grundsätzlich auch gegenüber Embryonen als (nur) potentiellen menschlichen Lebewesen geschuldet sei.[3]

Mit dieser Sichtweise ist ein Tor geöffnet, das den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens aufgibt zugunsten utilitaristischer Überlegungen. Eine Ethik des Konsequentialismus und der teleologischen Kalkulation gibt den Menschen in seiner unantastbaren Würde preis.[4]Es kann daher keineswegs zufriedenstellen oder zu einer ethischen Beruhigung führen, wenn der „Stammzellen-Report“ immerhin noch die letzten ethischen Schranken des Klonens, nämlich zum Zweck der Reproduktion, oder auch die Erzeugung von Mensch-Tier-Hybriden strikt ausschließt.

Bei Betonung ihrer notwendigen Freiheit ist Wissenschaft nur sinnvoll auf der Basis ethischer Verantwortung. Dies schließt den unbedingten Respekt gegenüber dem menschlichen Leben ein. Es ist ein Trugschluß, lebenden und künftigen Generationen zu einer möglichen Humanisierung ihres Lebens zu verhelfen, wenn auf dem Weg dazu fundamentale Menschenrechte anderer (und zu diesen zählen auch Ungeborene!) mit Füßen getreten werden. Das geschieht durch das beabsichtigte Vorhaben und ähnliche Vorstöße. Darum ist ethische Wachsamkeit aus christlichem Gewissen heraus gefordert – auch in Österreich.

 

 


 

[1] Department of Health, Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility. A Report from the Chief Medical Officer’s Expert Group Reviewing the potential of developments in stem cell research and cell nuclear replacement to benefit human health, London 2000. online [16.08.2000].

[2] “stem cell report”, Executive summary, n. 4.

[3] “Others accept the special status of an embryo as a potential human being, yet argue that the respect due to the embryo increases as it develops and that this respect, in the early stages in particular, may properly be weighed against the potential benefits arising from the proposed research. The current restrictions and controls on embryo research reflect this latter view, providing the human embryo with a degree of protection in law but allowing the benefits of the proposed research to be weighed against the respect due to the embryo.” – “stem cell report”, Executive summary, n. 17.

[4]„In der menschlichen Klonierung wird die Voraussetzung zum Einsturz gebracht, die für jedes menschliche Zusammenleben nötig ist: die Grundbedingung, den Menschen immer und überall als Ziel und als Wert und niemals nur als reines Mittel oder bloß als Objekt zu behandeln.“ – Päpstliche Akademie für das Leben, Reflexionen über Klonierung, 30.09.1997, Nr. 3. online [17.08.2000]