www. St Josef.at
Die katholische Informationsseite der Gemeinschaft v. hl. Josef
Navigation

Bindungswunsch und Bindungsangst
Aspekte der theologischen und pastoralen Antwort der Kirche zur Situation unverheiratet zusammenlebender Paare (2005)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: in: Anthropotes 21 (2005) 133–151

Zusammenfassung / Abstract / Sommari

  • Die Situation unverheiratet zusammenlebender Paare, die katholisch getauft sind, verlangt nach einer in der kirchlichen Lehre verankerten pastoralen Antwort. Dabei gilt es, nicht nur Defizite aufzudecken, sondern auch zu fragen, welche positiven Ansätze bei Betroffenen gegeben sein können, damit diese ungeordnete Verbindung zu einer im christlichen Sinn geordneten und sakramental fruchtbaren werden kann. In diesem Beitrag wird versucht, darauf eine Antwort zu geben, die nicht nur bei den Symptomen ansetzt, sondern die tieferen Ursachen der Bindungskrise zu erfassen sucht und ihnen im Geist des Evangeliums zu begegnen will.
  • The situation of unmarried Catholic couples who are cohabiting requires a pastoral response rooted in the Magisterium of the Church. It is necessary not only to find out what is lacking but also to ask oneself also what positive motivations could transform a disordered relationship into one that is Christian in orientation and sacramentally fruitful. In this contribution the author attempts to give a response that analyses not only the symptoms but that deals also with the deeper reasons for the crisis of such unions and confronts them with the authentic spirit of the Gospel.
  • La situazione delle coppie cattoliche non sposate, ma conviventi, richiede una risposta pastorale radicata nel Magistero della Chiesa. Si tratta di scoprire non solo le mancanze, ma de chiedersi anche quali possono essere gli stimoli positivi per poter trasformare una relazione disordinata in una cristianamente orientata e sacramentalmente fruttuosa. In questo contributo si tenta di dare una risposta che non analizzi solo i sintomi, ma comprenda anche le ragioni profonde della crisi dei legami e le affronti con autentico spirito evangelico.

Wer kennt nicht – sei es im eigenen Familien-, Verwandten- und Freundeskreis, sei es aus der seelsorglichen Begegnung oder zumindest aus der Beobachtung gesellschaftlicher Vorgänge – die Problematik junger Paare, die unverheiratet zusammenleben und auf diese Weise entweder erst später eine Ehe eingehen oder aber sich irgendwann wieder trennen oder schließlich dieses Zusammenleben (Kohabitation) zu einem relativ stabilen Dauerzustand ihres Lebens machen, ohne überhaupt an eine Heirat zu denken? Wenn die Kirche darauf eine Antwort sucht, so schwingt sie nicht die „Moralkeule“, wie ihr das mitunter vorgeworfen wird, sondern sucht die Situation jener Menschen zu verstehen, ohne dabei einfach alles gutzuheißen. Es geht nicht nur um das Benennen von Defiziten der interpersonalen Beziehung jener Paare – so notwendig und heilsam dies im Rahmen pastoraler Klugheit ist –[1], sondern auch um das Entdecken positiver Werthaltungen, wie sie sich faktisch bei derartigen Beziehungen und Lebensgemeinschaften Unverheirateter oft vorfinden und die einen Ansatz für eine mögliche Weiterführung bieten. Von daher ist zu fragen, welche pastoralen Perspektiven sich für eine Überwindung bestimmter Zustände in Richtung des von der Kirche verkündeten Ehe- und Familienideals ergeben.

1. Die Situation junger Menschen im Hinblick auf Ehe und Familie

Hilfreich für eine Analyse der gegenwärtigen Situation sind statistische Erhebungen. Allerdings sagen diese über den Einzelfall und das persönliche Schicksal nichts aus; sie können nur generelle Orientierungsmarken für die Beschreibung bestimmter gesellschaftlicher Gegebenheiten sein.

1.1. Shell Jugendstudien 2002 und 2000

Im Hinblick auf den Themenbereich „Familie, Clique und Karriere“ hat die in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Shell-Jugendstudie 2002 gezeigt, dass 75% der weiblichen und 65% der männlichen Jugendlichen davon überzeugt sind, dass man eine Familie braucht, um glücklich zu sein. Neben „Karriere machen“ (82%) steht „Treue“ mit 78% überraschenderweise ganz oben auf der Skala jener Dinge und Werte, die von den Jugendlichen heute als „in“ bezeichnet werden. Hinsichtlich des vielfach vorhandenen Kinderwunsches (zwei Drittel der jungen Menschen wollen später eigene Kinder) gilt freilich, dass dieser oft nicht realisiert wird. In der zeitlichen Entwicklung betrachtet steigt das Durchschnittalter, in welchem Frauen heute in Deutschland Kinder bekommen, tendenziell weiter an, mit der Konsequenz, dass immer mehr Frauen in ihrem Leben wahrscheinlich gar keine Kinder bekommen werden.[2] Die Shell-Jugendstudie 2000 hatte festgestellt, dass unabhängig vom Geschlecht voreheliche und eheliche Partnerschaften für die übergroße Mehrheit der Jugendlichen die am meisten angestrebten Partnerschaftsmodelle sind. Etwa drei Viertel der Jugendlichen befürworten für sich ein Zusammenwohnen mit der Option einer Heirat, fast jede/r Zweite befürwortet eine eheliche Lebensgemeinschaft. Die Familie wird in einer Zeit des Wandels überwiegend als emotionaler Rückhalt und als Ort der Verlässlichkeit verstanden.[3]

1.2. Österreichische Jugendwertestudie 1990–2000

Eine umfassende Untersuchung von Werthaltungen, wie sie bei jungen Menschen gegeben sind, bietet die Österreichische Jugendwertestudie 1990–2000. Das Projekt wurde vom Österreichischen Institut für Jugendforschung (ÖIJ), dem Ludwig Boltzmann-Institut für Werteforschung (LBI) und dem Institut für Pastoraltheologie der Universität Wien (IPT) unter Mitarbeit des Instituts für Soziologie der Universität Graz (ISG) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen durchgeführt.[4]

Die Thematik von Beziehung, Ehe und Familie stellt sich folgendermaßen dar: In den Lebensperspektiven der österreichischen Jugendlichen hat die fixe (Paar-)Beziehung einen großen Stellenwert. Als wichtiges Leitmotiv lässt sich hier zunächst ein klares „Ja“ zu einer fixen Beziehung ausmachen, wobei Kinder jedoch erst für später geplant sind. Das zweite Motiv identifiziert sich mit dem Lebensmotto: „Genieße die Jugend und binde dich erst später!“ Die Perspektive, möglichst bald eine Familie (mit Kindern) zu gründen, ist – unabhängig vom Geschlecht – nur für eine Minderheit attraktiv. „Gern Zeit miteinander verbringen“, „gemeinsam Spaß haben“, „Vertrauen“ und „sich auf den anderen verlassen können“ wird von den Jugendlichen generell hoch bewertet. Einen Trend zur Single-Gesellschaft spiegelt die Einstellung wider, wonach Jugendliche in ihren Paarbeziehungen nach einem balancierten Verhältnis von Nähe und Autonomie streben. „Zusammen wohnen“ ist ihnen vergleichsweise unwichtig. Paarbeziehungen stehen in der Vorstellungswelt der Jugend einerseits im Zeichen von Erlebniswert plus emotionaler Nähe und andererseits im Zeichen von persönlicher Eigenständigkeit. Treue, Toleranz und eine erfüllte Sexualität sind aus der Sicht der Jugendlichen die Top-Kriterien für eine gut funktionierende Lebensgemeinschaft bzw. eine gut funktionierende Ehe. Kinder als Basis für eine Lebensgemeinschaft und Ehe werden von den Jugendlichen heute als vergleichsweise unwichtig eingeschätzt.

1.3. Niederösterreichische Jugendstudie 2003

Die NÖ Jugendstudie 2003, die im Juni 2003 bei 1971 niederösterreichischen Schülern und Lehrlingen durchgeführt wurde, brachte folgendes Ergebnis im Hinblick auf die Erwartungen junger Menschen an eine stabile Partnerschaft und ihre Vorstellungen von Ehe und Familie: Festzustellen ist eine veränderte Prioritätensetzung in der familiären Bedürfnispyramide junger Menschen. Höchste Priorität hat heute, verlässliche Freunde zu haben. An zweiter Stelle rangiert, besonders bei Mädchen, der Wunsch nach finanzieller und ideeller Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. So ist der größte Teil der Mädchen nicht mehr bereit, für eine Partnerschaft die berufliche Eigenständigkeit zu opfern. Familie und Kinder sind erwünscht, werden aber in ihrer Bedeutung hinter die finanzielle und ideelle Eigenständigkeit gesetzt. So wird die Realisierung des Wunsches nach einer eigenen Familie mit Kindern oft auf einen deutlich späteren Zeitpunkt verschoben. 55% der Mädchen haben im Jahr 2003 den Wunsch nach einer Familie als „sehr wichtig“ bezeichnet (bei den Burschen sind es 46%), während 15% der Mädchen und 17% der Burschen später keine eigene Familie haben wollen. Im Jahr 1980 sahen es noch 83% der Jugendlichen als sehr wichtig an, später eine eigene Familie zu gründen.[5]

Diese statistisch erhobenen Fakten in ihrer Vielschichtigkeit und teilweisen Widersprüchlichkeit zeigen eine gemeinsame Grundtendenz auf: Junge Menschen sehnen sich nach stabilen Paarbeziehungen und sind vielfach offen für eine spätere Ehe, sehen sich aber oft nicht in der Lage, ihren Bindungswunsch durch Heirat und Familiengründung wirksam umzusetzen. Von daher fällt neues Licht auf die verhältnismäßig große Zahl unverheiratet zusammenlebender Paare, deren Status unter Umständen weniger als freie Wahl denn vielmehr als Ausdruck von existentieller Unsicherheit und Unvermögen gedeutet werden kann.[6]

2. Anthropologische Deutung der Mann-Frau-Beziehung

Da der Mensch ein leibseelisches Wesen ist, das in Isolation nicht überleben und sich entfalten kann, sondern auf Gemeinschaft mit seinesgleichen ausgerichtet ist, lässt sich von da aus bereits die grundsätzliche Hinordnung der Geschlechter aufeinander begreifen. Mann und Frau ergänzen sich, sie unterscheiden sich und stehen zugleich in einem Verhältnis polarer Anziehung. Von daher sind die statistisch erhobenen Daten über die Interessenslage junger Menschen, ihre Sehnsüchte und Wertpräferenzen eingebunden in die allgemeine Wesensverfassung, wie sie zum Menschen als „animal rationale“ und „animal sociale“ gehört.[7]

Diese Ergänzungsbedürftigkeit des individuellen Menschen lässt sich nicht nur im leiblichen Bereich feststellen, sondern gilt auch für die Entfaltung seiner geistig-seelischen Fähigkeiten. Die eigentliche Berufung des Menschen liegt nicht primär in einem Zuwachs an Erkenntnis und Handlungsvermögen, sondern in der Verwirklichung seiner Befähigung zur Liebe. Liebes- und Hingabefähigkeit stellen das Zentrum und den Gipfel menschlichen Potentials dar, das zu entfalten ist, unabhängig davon, in welchem Lebensstand sich jemand befindet.

Jenes menschliche Handeln, das sich im Gesetz der Hingabe und des Schenkens der Personen ausdrückt, hat sein Fundament im Sein des Menschen. Das personale Sein als eine Struktur des Selbstbesitzes und der Selbstmächtigkeit ist zur selbstlosen Hingabe fähig, um gerade so sich selbst zu finden.[8] Echte personale Communio geht über die allgemeine soziale Bezogenheit des Menschen hinaus; sie ist gleichsam die Hochform ihrer Verwirklichung.

Wenn der Mensch als Person sich als Gabe selbst verschenkt, dann handelt er gleichsam interesselos und ist nicht auf Nutzen oder Gewinn bezogen. In der personalen Hingabe seiner selbst verwirklicht sich Selbstlosigkeit und Selbstfindung zugleich. Diese Hingabe kann geschehen, indem sie entweder nur auf eine einzige, ganz bestimmte Person bezogen ist (z.B. das Du des Ehepartners) oder aber sich als Hingabe für viele verwirklicht (z.B. die elterliche Hingabe für die Kinder). Sie ist auch auf die Annahme durch den oder die anderen in einer ebenso personalen Weise bezogen. Dabei ist die Bereitschaft eingeschlossen, die personale Hingabe des oder der anderen anzunehmen. Damit wird die Grundlage für den Vollzug personaler Liebe gelegt.

Wenn junge Menschen daran denken, eine Partnerschaft mit einem Menschen des anderen Geschlechts einzugehen, so stehen sie innerhalb dieses Gesetzes der Liebe und Hingabe, das Mann und Frau leiblich und geistig zueinander zieht. Freilich heißt das noch nicht, dass sie in allem den Vorgaben entsprechen, welche die Berufung zur Liebe in sich schließt. Werte wie Aufrichtigkeit und Treue, gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme, Verbundenheit in gemeinsamen Werten und Überzeugungen sind gleichsam das Maß und Kriterium für eine Partnerschaft, welches dieser nicht von außen her aufgezwungen wird und ihre Beziehung stört, sondern ihrem tiefsten Wesen entspricht. Das Wesensgesetz der Liebe gilt es zu achten und in der Freiheit gegenseitiger Hingabe zu erfüllen.

Abgesehen von jenen flüchtigen Beziehungen, die nur auf den Genuss des Augenblicks ausgerichtet sind und das erotische Abenteuer suchen, ohne nach echter Liebe und Hingabe der Personen zu fragen, besteht bei vielen unverheiratet zusammenlebenden Paaren doch die Sehnsucht und die Bereitschaft für eine Beziehung, die eine gewisse Form der Treue und Annahme zu leben sucht. Was solche Paare von einer kirchlichen Heirat vorerst oder gar für immer abhält, sind verschiedene Gründe.

Möglicherweise besteht die (auch ideologisch abgeleitete) Auffassung, das Ja-Wort vor dem Standesamt reiche aus, um die Ehe unter katholischen Christen zu begründen.[9] Die sakramentale Dimension wird hier ausgeblendet bzw. tritt von vornherein nicht in den Blick. Vielleicht ist das Paar der Meinung, die Beziehung müsse erst noch erprobt werden und könne dann, wenn man sich sicher sei, in eine Ehe übergeführt werden, mit Einschluss der Offenheit für eine kirchliche Trauung. Nur wenige unverheiratet zusammenlebende Paare haben von vornherein die Absicht, bloß eine Beziehung auf Zeit einzugehen. Der Wunsch: „Es möge für immer gut gehen!“ ist vielfach vorhanden, wird aber meist nicht in einen festen Willensentschluss umgesetzt, wie er sich im Ja-Wort der Ehe ausdrückt. Von daher kann man schließen, jener Beziehung fehle noch das Moment der letzten Reife und Entschiedenheit bräutlich-ehelicher Liebe, wo beide dann bereit sind, sich einander ganz, ausschließlich und ohne Vorbehalt zu schenken, bis der Tod sie scheidet. Der Bindungswunsch ist zwar vorhanden, die Bindungsangst lässt diesen aber nicht zur vollen Verwirklichung kommen, wie sie dem Maßstab der gültigen sakramentalen Ehe entspricht.

Ursachen für diese relative Bindungsunfähigkeit vieler junger Menschen sind in noch fehlender individueller Reife, in problematischer Erziehung oder in Einflüssen des Bekannten- und Freundeskreises oder aufgrund gesamtgesellschaftlicher Faktoren zu suchen. Von daher scheint es möglich, dass die objektiv schwerwiegende Verfehlung gegen das Sakrament der Ehe, wie sie bei unverheiratet zusammenlebenden Paaren vorliegt, einzelnen nicht in voller Weise schuldhaft anrechenbar ist.[10] Eine generelle „Lossprechung“ ist freilich nicht angebracht, da dies zu einer Verharmlosung führen würde. Meist wissen die Betroffenen nämlich doch oder ahnen es zumindest (auch wenn sie das Gebot Gottes in der Verkündigung und Auslegung durch die Kirche nicht kennen), dass in ihrer gegenseitigen Liebe noch ein Rest an ungeklärtem Vorbehalt steckt, der die Beziehung als solche belastet und sich mit den Vorstellungen einer idealen, auf Treue und Beständigkeit gegründeten Paarbeziehung nicht vereinbaren lässt.[11]

Freilich fehlt vielen dann der Mut und die Kraft, die Konsequenzen zu ziehen, die da wären: Beendigung des Zusammenlebens und der damit fast immer verbundenen Akte sexueller Hingabe oder aber der gemeinsame Entschluss, die Beziehung durch ein beiderseitiges uneingeschränktes Ja zueinander auf eine neue Basis zu stellen und sich auf die Schließung einer sakramentalen Ehe vorzubereiten.

3. Die sakramentale Dimension von Ehe und Familie

Die anthropologische Perspektive will weitergeführt und ergänzt werden durch den Bezug auf die Ehe als Sakrament, d.h. als Zeichen und Werkzeug für die Vereinigung mit Gott und untereinander.[12]

Im Neuen Bund stellt Jesus selbst in authentischer Interpretation des ursprünglichen Willens Gottes für die Ehe die ausnahmslos geltende Verpflichtung zur Treue und zur Unauflöslichkeit heraus. In den Schriften des Neuen Testaments kommt überdies zum Ausdruck, dass die christliche Gemeinde von Anfang an den Ort der geschlechtlichen Begegnung und Hingabe ausschließlich in der Ehe sah. Darin drückt sich die personale Würde beider Ehepartner aus; die sexuelle Hingabe wird als Akt interpretiert, der die dauernde und ausschließliche Einheit von Mann und Frau voraussetzt und leibhaft-konkret verwirklicht.[13]

Durch Christi erlösende Liebe wird die Ehe zum Ort und Zeichen des Heiles für die Verbundenen, weil hier die Gatten aufgerufen und befähigt werden, in Liebe ganz und für immer füreinander da zu sein. So wird die allgemein menschliche und im Schöpferwillen Gottes gründende Institution der Ehe in ihrem Wesen bewahrt, in ihrer Ursprünglichkeit wiederhergestellt und zugleich von innen her umgewandelt zum Raum lebendiger Gottesbegegnung. Der von Christus eingesetzte Neue Bund ist zugleich die Vollendung der Schöpfungsordnung.

Nicht zuletzt gilt es zu betonen, dass jedes Kind ein Recht darauf hat, in einer wirklichen Familie empfangen und geboren zu werden. Unbeschadet dessen, dass jeder Mensch als Person gleich viel wert ist, wie immer er ins Leben getreten ist, so verlangt doch die Würde eben dieser Person, „dass diese aus in der Ehe verbundenen Eltern, aus einer intimen, ganzheitlichen, gegenseitigen und dauerhaften – rechtlich verpflichtenden – Verbindung geboren wird, die sich aus dem Ehegatten-Sein ableitet.“ Die Ehe ist tatsächlich „das angemessenste menschliche und vermenschlichende Umfeld für die Annahme des Kindes: das geeignetste Milieu, wo affektive Geborgenheit, Einheit und Fortschritt im sozialen und pädagogischen Integrationsprozess am besten gewährleistet sind.“ [14]

Von daher sind Ehen und Familien in besonderer Weise zu fördern. Wirksame Hilfen für allein erziehende Mütter oder Väter werden damit nicht ausgeschlossen. Es darf jedoch keine institutionelle Förderung unverheiratet zusammenlebender Paare in deren spezifischem Miteinander geben. Die Unterstützung für die Erziehung vorhandener Kinder in solchen nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist im Hinblick auf das Wohl dieser Kinder zu gewähren, nicht aber im Hinblick auf die einer Ehe nicht gleichkommende Verbindung.

Mit Recht wird daher in der vom Heiligen Stuhl vorgelegten „Charta der Familienrechte“ die Forderung erhoben, dass „die Gesellschaft und insbesondere der Staat und internationale Organisationen die Familie durch politische, ökonomische, soziale und juristische Maßnahmen schützen müssen, die dahin zielen, die Einheit und Festigkeit der Familie zu stärken, damit sie ihre besondere Funktion erfüllen kann“.[15]

4. Die pastorale Antwort der Kirche auf die spezifische Not der Zeit

Bei der Suche nach einer pastoralen Antwort auf die Problematik unverheiratet zusammenlebender Paare wird zu unterscheiden sein zwischen dem unmittelbaren Umgang mit konkret Betroffenen, denen auch in irregulären Situationen stets mit der Sensibilität des Guten Hirten zu begegnen ist, und der generell durchzuführenden Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe. Es wäre zu wenig, immer nur dort zu reagieren, wo sich bestimmte Probleme bereits stellen. Die Schwerpunktsetzung bei der Ehevorbereitung als solcher setzt nicht erst bei Symptomen an, sondern möchte gewisse Defizite gleichsam an der Wurzel kurieren sowie alle vorhandenen positiven Werteinstellungen im Hinblick auf Ehe und Familie stärken. Welche inhaltlichen Anliegen verbindet die Kirche mit der entfernten Ehevorbereitung, die bereits im Kindesalter und in der eigenen Familie beginnt, aber auch mit der näheren und unmittelbaren Ehevorbereitung jener, die bereits entschlossen sind zu heiraten?

4.1. Die Erneuerung der Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe

Das Ziel einer solchen Vorbereitung macht es nötig, sowohl auf anthropologische Grundgegebenheiten wie auch auf die Sakramentalität der Ehe Bezug zu nehmen. Ehevorbereitung ist vor allem die Einleitung eines Sensibilisierungsprozesses für grundlegende Werte des Menschseins und der christlichen Ehe. So geht es ganz entscheidend um eine „Erziehung zur Achtung vor dem Leben und zum Schutz des Lebens“[16], das gerade im Heiligtum der Familie geschützt werden muss.

Die Sexualerziehung, die ihren primären Ort in der Familie hat, soll dem Profil der Menschenwürde entsprechen, die durch das Gesetz des Evangeliums neu begründet und durch die Gnade der Gotteskindschaft auf wunderbare Weise erhöht worden ist.[17] Im Sakrament werden die Eheleute mit der sich verschenkenden Liebe Christi, des Bräutigams der Kirche, verbunden, die sie durch ihren ehelichen Bund abbilden und woran sie partizipieren.[18]

In der Ehevorbereitung muss es auch darum gehen, dem offenen oder unterschwellig wirksamen Prozess der Säkularisierung entgegenzusteuern.[19] Gerade Kinder und junge Menschen sind in einem geistigen Klima, in dem der Glaube an Gott seine Bedeutung verliert, in Frage gestellt oder sogar bekämpft wird, der Manipulation und dem Druck der Umwelt ausgesetzt. Auch jene Institutionen, die in der Schöpfungsordnung gründen, wie Ehe und Familie, werden systematisch infragegestellt und teilweise sogar in der Gesetzgebung diskriminiert, anstatt Förderung und Hilfe zu erfahren. Der Wille des Menschen wird als einzige Quelle von Werten anerkannt, was das Wertefundament der Gesellschaft insgesamt erschüttert. Diese Wertekrise erfasst auch viele Familien und „wird nicht gerade wenig von den sozialen Kommunikationsmitteln geschürt, insofern diese entgegen gesetzte Modelle vorgeben, als ob sie wahre Werte darstellten.“[20] Die Folgen all dessen können sein: „sexuelle Freizügigkeit, Rückgang der Eheschließungen oder das ständige Hinauszögern der Entscheidung, Anstieg der Ehescheidungen, Empfängnisverhütung, Anstieg willentlicher Abtreibungen, geistliche Leere und tiefe Unzufriedenheit, die zur Verbreitung von Drogen, Alkoholmissbrauch, Gewalt und Selbstmord unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen.“[21]

Die Kirche nimmt die Herausforderungen an, die sich ihrer Verkündigung auch im Hinblick auf die Ehe- und Familienpastoral heute stellen. Ziel der Vorbereitung auf die Ehe ist es, die Identität der christlichen Ehe und Familie herauszustellen, „damit die Familie wieder zu einer Gemeinschaft von Personen im Dienst am menschlichen Leben und am Glauben wird, zur ersten Lebenszelle der Gesellschaft, zu einer wirklich glaubenden und evangelisierenden Gemeinschaft“[22], zu einer echten „Hauskirche“, die das „Evangelium vom Leben“ verkündet, lebt und feiert.

Wenn die Verlobungszeit bewusst als solche gestaltet und gelebt wird, liegt in ihr eine Chance und zugleich eine sittliche Aufgabe. Die künftigen Ehepartner sollen in der gegenseitigen Liebe und auch im Glaubensleben reifen, da diese Zeit mit einer besonderen Gnade verbunden ist, was durch den Segen über die Verlobten deutlich wird.[23] Voreheliche Enthaltsamkeit sollte als Chance begriffen werden, den künftigen Partner besser kennen zu lernen und dabei die Reifungsgesetze der Liebe zu achten, denn: „Geschlechtlichkeit kann man nicht ausprobieren, der Partner ist kein Übungsfeld, das käme einer sublimen Verzweckung gleich.“[24]

Schwierigkeiten und Belastungen können sich aus einer übermäßig langen Verlobungszeit ergeben, sowie wenn die eheliche sexuelle Begegnung gleichsam vorweggenommen wird, was auch bei subjektiv ehrlicher Motivation eine Verfälschung des objektiven Wesens vorehelicher und ehelicher Liebe darstellt. Die jeweiligen Familien sowie die ganze Kirche sind aufgerufen, für die Verlobten in besonderer Weise zu beten.

Zentrale Bedeutung kommt der Vermittlung des Wertes der ehelichen Treue zu, die bereits in der Verlobungszeit auf bräutliche Weise gelebt werden soll. Vorbild dafür ist die Treue Christi zu seiner Kirche. Kraft erhalten gläubige Braut- und Eheleute aus der geistlichen und sakramentalen Verbundenheit mit dem Geheimnis Christi und seiner Kirche. Hingabe der Person bedeutet aber auch Beständigkeit und Unwiderruflichkeit, worin die Unauflöslichkeit der Ehe gründet: „Die Unauflöslichkeit der Ehe entspringt hauptsächlich aus dem Wesen solcher Hingabe: Hingabe der Person an die Person. In diesem gegenseitigen Sich-Hingeben kommt der bräutliche Charakter der Liebe zum Ausdruck.“[25]

Verlobungspastoral steht in einem engen Zusammenhang mit der Jugendpastoral insgesamt, die immer in Verbindung mit der Familienpastoral gesehen werden muss. Junge Menschen, die heiraten wollen, sind noch in ihrer eigenen Familie beheimatet, richten ihre Hoffnung aber schon aus auf jene Familie, die sie gründen werden. Ein besonderes Problem ergibt sich aus der im heutigen soziokulturellen Kontext längeren Jugendzeit, wodurch man länger in der Familie bleibt bzw. vom „Single-Dasein“ lange nicht wegkommt. Jungen Menschen gegenüber, die heiraten wollen, wird sich die Kirche um besondere Sensibilität für ihre spezifischen Nöte und Erfahrungen zu bemühen haben. Vieles von dem, was Älteren noch selbstverständlich war, wird man bei Jüngeren nicht einfach voraussetzen können. Es können trotz besten Willens objektive Hindernisse bestehen, die es nicht leicht machen, das Wesen von Ehe und Familie zu erfassen und als Ideal für die eigene Lebensberufung zu bejahen. Stufen des Wachstums und der Reifung werden hier in Rechnung zu stellen sein. Nur ein geduldiger, oft mühsamer Weg der pastoralen Begleitung auch in schwierigen Situationen kann den jungen Menschen die Sicherheit vermitteln, nicht allein zu stehen, sondern in christlicher Solidarität von der kirchlichen Gemeinschaft und ihren Hirten mitgetragen zu werden. Gerade hier leisten Gemeinschaften von Familien einen wichtigen Dienst, wenn sie katechisierend und evangelisierend auf die Jugendlichen wirken.

4.2. Antworten auf besondere Situationen der Irregularität

Wie immer die einzelnen Situationen jener Paare sind, die unverheiratet zusammenleben, so stellt doch dies insgesamt „die Kirche vor schwierige pastorale Probleme, und zwar wegen der ernsten Folgen, die sich daraus ergeben sowohl in religiös-sittlicher Hinsicht (Verlust der religiösen Bedeutung der Ehe im Licht des Bundes Gottes mit seinem Volk, Fehlen der sakramentalen Gnade, schweres Ärgernis) als auch in sozialer Hinsicht (Zerstörung des Familienbegriffs, Schwächung des Sinnes für Treue auch gegenüber der Gesellschaft, mögliche seelische Schäden bei den Kindern, zunehmender Egoismus).“ Die Kirche trägt den Seelsorgern und der kirchlichen Gemeinschaft auf, „solche Situationen und deren konkrete Ursachen Fall für Fall kennen zu lernen; diskret und taktvoll mit denen, die zusammenleben, Kontakt aufzunehmen, mit geduldiger Aufklärung, liebevoller Ermahnung und dem Zeugnis christlich gelebter Familie darauf hinzuwirken, dass ihnen der Weg gebahnt werde, ihre Situation zu ordnen.“[26]

- Die Ehe auf Probe

Nicht wenige Paare meinen, ihre Beziehung gleichsam schon in Vorwegnahme all jenes Künftigen, was an sich erst in der Ehe begründet wird, prüfen und erproben zu müssen. Dahinter steht oft große Bindungssehnsucht und zugleich eine schwer zu überwindende Bindungsangst; mitunter ist sogar echte Bindungsunfähigkeit gegeben. Die Auffassung wird vertreten, nur wenn man wisse, dass man geistig und auch körperlich-sexuell zusammenpasse und harmoniere, könne man das „Ja“ der Ehe wagen. Durchaus anzuerkennen ist, dass die wenigsten dieser Paare die Ehe als solche ablehnen und diese Art der Bindung zu einem Zweck in sich machen. Viele haben die Sehnsucht, eine „Ehe auf Probe“ nach einer gewissen Zeit überzuführen in eine institutionell abgesicherte Beziehung, wenn auch nicht immer mit dem Wunsch nach einer kirchlichen Trauung.

Dennoch enthält eine derartige Lebensform ein Fehlverständnis der menschlichen Person und der ganzheitlich-personalen ehelichen Liebe[27]: Das Moment der Unbedingtheit, das im unauflöslichen Ja-Wort zum Ausdruck kommt, wird ausgeklammert, obwohl man gewisse Rechte aus der Ehe in Anspruch nehmen möchte. Insbesondere ist der Ausdruck sexueller Gemeinschaft ohne die Voraussetzung einer vorbehaltlosen, unwiderruflichen Liebe ein Verkennen der darin enthaltenen anthropologischen Bedeutung. Weder die Erfahrung tiefsten ehelichen Glücks ist in solchen Gemeinschaften möglich, da dieses in der Unbedingtheit gegenseitiger Liebe gründet, noch sind aus solchen Beziehungen entstandene Kinder in einem Raum ausreichenden Schutzes und elterlicher Zuwendung geborgen. Von daher ist auch eine gewisse Verhütungsmentalität verständlich, die sich dann fortsetzen kann, wenn diese Paare vielleicht später einer kirchlichen Eheschließung zustimmen. Kommt es hingegen zu Trennungen, so bleiben oft tiefe Verwundungen zurück, da durch das eheähnliche Leben mehr versprochen wurde, als gehalten werden konnte und die beiden im Herzen zu geben bereit waren. Die Enttäuschungen bestimmter Erwartungen sind daher fast unvermeidlich.[28]

Kirchliche Pastoral wird sich der Menschen in derartigen Verbindungen in aller Liebe anzunehmen haben, ohne den Status als solchen gutzuheißen, da er eindeutig dem Gebot Gottes widerspricht. Ansetzen kann man bei der Sehnsucht nach dauerhafter Liebe und der grundsätzlichen Bereitschaft zur Ehe. So sehr man es begrüßen wird, wenn derartige Paare heiraten, so ist auch vor einem „Ehezwang“ in der Weise zu warnen, als dadurch das Moment der Freiwilligkeit der Bindung gefährdet werden könnte, was im Extremfall zur Ungültigkeit einer derartigen Ehe führen würde. Eine wirkliche Erziehung zur Liebe kann und soll dem Aufkommen von „Ehen auf Probe“ vorbeugen. Darüber hinaus wird es hilfreich sein, den Ursachen dieses Phänomens in psychologischer und soziologischer Hinsicht nachzugehen.

- Freie Verbindungen

In einer bestimmten Form sexueller Gemeinschaft wird die Bindungslosigkeit als solche zum Ideal erhoben. Dahinter steht vielfach der Wunsch des heutigen Menschen, möglichst lange „frei“ und ungebunden zu leben, was auch durch die hohe Zahl an Single-Existenzen belegt wird. Übersehen wird der Wert personaler Liebe, die zu echter Hingabe fähig ist. Liebe wird reduziert auf den Reiz des sexuellen Abenteuers, dessen man jedoch schnell überdrüssig wird, wenn nicht ständig neue Partner auftauchen. Wenn es in dieser Mentalität überhaupt noch Bindungen gibt, so wechseln diese sehr schnell: Vom „Lebenspartner“ ist man zum „Lebensabschnitts­partner“ übergegangen. Die Person des anderen wird in ihrer bleibenden Bedeutung, geschweige denn in ihrer Ewigkeitsdimension nicht mehr ernst genommen, sondern zu einer austauschbaren Ware. Auch gewisse Medien tragen dazu bei, derartige Mentalitäten zu fördern. Man wird auch sagen müssen, dass Menschen mit einer derartigen Haltung für die Tiefe echter Gottesbeziehung nicht mehr zugänglich sind. Insofern ist „Unzucht“ eine Sünde, die das Gottesverhältnis in schwerer Weise beeinträchtigt und zerstört. Eine Änderung wird hier nur möglich sein durch grundlegende Bekehrung der Herzen, zuweilen veranlasst durch gewisse Lebensereignisse positiver, aber auch negativer Natur.[29] Jedenfalls sollte die Kirche in ihrer Pastoral dem Prinzip gerecht werden, dass im Himmel mehr Freude ist über einen einzigen Sünder, der sich bekehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die der Bekehrung nicht bedürfen.[30]

Davon zu unterscheiden sind Formen sog. „freier Verbindungen“, bei denen an sich ein Ehewille gegeben ist, aber z.B. aufgrund äußerster Armut infolge ungerechter oder unzureichender sozioökonomischer Strukturen die Möglichkeit zu einer Heirat nicht besteht. Hier kann die Kirche ansetzen und diesen Menschen, sofern der Ehewille vorhanden ist und eine ausreichende gemeinsame Lebensbasis besteht, die sakramentale Ehe ermöglichen, auch wenn dies im gesellschaftlichen und politischen Bereich keine offizielle Anerkennung findet. Freilich sollten hier Gesellschaft und öffentliche Verantwortungsträger Sorge tragen dafür, dass beispielsweise ein familiengerechter Lohn gesichert wird, Wohnmöglichkeiten bereitgestellt werden und entsprechende Arbeits- und Lebensverhältnisse geschaffen werden.[31]

Auch andere Gründe spielen eine Rolle, warum Menschen sich weigern, institutionell abgesicherte eheliche Verbindungen einzugehen, und dennoch ein mehr oder weniger konstantes eheähnliches Zusammenleben pflegen. Hier ist pastorales Unterscheidungsvermögen angesagt. „Vor allem sollte man sich jedoch darum bemühen, solchen Erscheinungen vorzubeugen, indem man in der ganzen sittlichen und religiösen Erziehung der Jugend den Sinn für Treue pflegt, ihr die Bedingungen und Strukturen erklärt, welche einer solchen Treue förderlich sind, ohne die es keine wahre Freiheit gibt, und sie im geistlichen Reifen fördert sowie ihr die reiche menschliche und übernatürliche Wirklichkeit des Ehesakramentes erschließt.“[32]

- Katholiken, die nur zivil getraut sind

Nicht selten geschieht es, dass katholische Christen – vor allem, wenn sie nicht praktizierend sind – es mit der standesamtlichen Trauung bewenden lassen und diese für ausreichend ansehen. Darin kann sich eine Distanz zu Glaube und Leben der Kirche ausdrücken. Es kann jedoch auch eine gewisse Nachlässigkeit vorhanden sein, eine ursprünglich geplante und dann verschobene kirchliche Hochzeit doch noch vorzunehmen. Auch hier wird es Not tun, die Gründe zu erheben, warum Paare in dieser Weise zusammenleben.

„Die Pastoral wird die Notwendigkeit einer Übereinstimmung zwischen der Lebenswahl und dem Glauben, den man bekennt, verständlich zu machen suchen und möglichst bemüht sein, diese Menschen dahin zu bringen, ihre eigene Situation im Licht christlicher Grundsätze in Ordnung zu bringen. Obwohl man ihnen mit viel Liebe begegnen und sie zur Teilnahme am Leben ihrer Gemeinden einladen wird, können sie von den Hirten der Kirche leider nicht zu den Sakramenten zugelassen werden.“[33] Sofern keine Hindernisse gegeben sind und der Ehewille vorhanden war und weiterhin ist[34], steht einer kirchlichen Trauung nichts im Wege. In bestimmten Umständen ist bei Vorhandensein eines schwerwiegenden Grundes auch eine „sanatio in radice“ möglich, die sich als unauffälliger Weg empfiehlt, eine derartige Ehe in der Wurzel zu heilen.[35] Freilich ist dies dann in geeigneter Weise bekannt zu machen, um Ärgernis zu vermeiden.

5. Das unüberbietbare Zeugnis gelungener christlicher Ehen

Ein direkter Ansatzpunkt der pastoralen Antwort der Kirche ist das gelebte Zeugnis gelungener christlicher Ehen, die in der Weise des gemeinsamen Priestertums aller Getauften und Gefirmten sowie kraft des Ehesakramentes am Zeugnis und an der Sendung der Kirche Christi teilhaben. Mehr als alle noch so einleuchtende Theorie kann das Lebensbeispiel geglückter ehelicher und familiärer Gemeinschaften eine Antwort sein auf die Suche vieler einzelner und von Paaren nach dauerhafter Liebe und Geborgenheit. Hier wird eine Dimension eröffnet, die den Weg weist für die menschliche und christliche Vollendung in der Liebe Gottes.

In diesem Zusammenhang stellt der Päpstliche Rat für die Familien fest: „Den enttäuschten Männern und Frauen, die sich zynisch fragen: ‚Kann denn aus dem Herzen des Menschen etwas Gutes kommen?’, muss man entgegnen können: ‚Kommt und seht unsere Ehe und unsere Familie’. Das wirkliche Zeugnis, durch das die christliche Gemeinschaft mit der Gnade Gottes zum Zeichen der Barmherzigkeit Gottes mit den Menschen wird, kann ein entscheidender Ausgangspunkt sein. Außerdem ist in allen Milieus festzustellen, wie wirksam und positiv der Einfluss gläubiger Christen sein kann. Durch ihre bewussten Glaubens- und Lebensentscheidungen sind sie mitten unter ihren Zeitgenossen wie der Sauerteig im Teig, wie das Licht, das in der Finsternis leuchtet.“[36]

Hier mitzuhelfen, gute christliche Ehen vorzubereiten und bestehende zu begleiten und zu ermutigen, dürfte für jeden, der dazu befähigt und berufen ist, eine kaum überschätzbare Aufgabe darstellen. Auf diese Weise wird die Problematik unverheiratet zusammenlebender Paare zwar nicht gelöst, aber doch entscheidend entschärft und wenigstens ansatzweise immer auch ein Stück weit überwunden werden können in Richtung einer erfüllten ehelichen Gemeinschaft der Liebe.

Abschließend ist ein Hinweis nötig, der den pastoralen Aspekt überführt in den spirituellen: Die Kirche als ganze und insbesondere der verantwortliche Priester vor Ort und die jeweilige Gemeinde stehen in der Pflicht, eine „Solidarität des Gebetes“ mit all jenen zu pflegen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden. Das menschliche Bemühen um Lösung kann keinen Erfolg finden, wenn die Hilfe Gottes fehlt. Insofern ist hier verstärkt anzusetzen. Dies gilt gerade dann, wenn sich die direkt Betroffenen selber nicht in der Lage sehen, ihr Gebetsleben zu aktivieren. In diesem Fall tritt die Kirche als Heilsgemeinschaft stellvertretend für sie ein.

 

 


 

[1] Die Klarheit in der Sache macht Aussagen wie folgende durchaus nötig und hilfreich: „Unzucht ist die körperliche Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht miteinander verheiratet sind. Sie ist ein schwerer Verstoß gegen die Würde dieser Menschen und der menschlichen Geschlechtlichkeit selbst, die von Natur aus auf das Wohl der Ehegatten sowie auf die Zeugung und Erziehung von Kindern hingeordnet ist. Zudem ist sie ein schweres Ärgernis, wenn dadurch junge Menschen sittlich verdorben werden.“ – Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München u.a. 2003, Nr. 2353. Zu grundlegenden sittlichen und pastoralen Aspekten vgl. Hubert Windisch, Sexualität und Glaube. Hilfen zur Ehepastoral, Regensburg 1990; Andreas Laun, Zur sexuellen Enthaltsamkeit vor der Ehe, in: ders., Aktuelle Probleme der Moraltheologie, Wien 1991, 99–118; Klaus Demmer, Voreheliche Enthaltsamkeit. Erwägungen zu einem pastoralen Notstand, in: Theologie der Gegenwart 31 (1988) 237–246; Klaus Demmer, Das Geschenk ehelicher Liebe als Ermächtigung zur Familie, in: ders., Angewandte Theologie des Ethischen (Studien zur theologischen Ethik 100), Freiburg i.Ue. u.a. 2003, 149–194.

[2] Vgl. Deutsche Shell (Hg.), Jugend 2002. 14. Shell Jugendstudie, Frankfurt/Main 2002; Zusammenfassung der Ergebnisse.

[3] Deutsche Shell (Hg.), Jugend 2000. 13. Shell Jugendstudie, Opladen 2000; Zusammenfassung der Ergebnisse.

[4] Vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung im Pressedossier vom 25. Juni 2001.

[5] Vgl. Kurzfassung „Die besonnene Jugend“ (NÖ Jugendstudie 2003), Teil A: Familie. Wertewandel (Netzwerkgeneration), Gesundheit, durchgeführt im Auftrag des NÖ Landesjugendreferates bei 1971 NÖ Schülern und Lehrlingen im Juni 2003; siehe auch Niederösterreichische Landeskorrespondenz, 8. Oktober 2003.

[6] Eine generelle oder überwiegende Eheunfähigkeit junger Menschen als absolute oder moralische Unmöglichkeit zur Übernahme der ehelichen Mindestpflichten darf von daher freilich nicht postuliert werden.

[7] Vgl. Josef Spindelböck, Der Mensch als soziales Wesen. Ethisch-moraltheologische Überlegungen, in: Franz Breid (Hg.), Der Mensch als Gottes Ebenbild. Christliche Anthropologie. Referate der „Internationalen Theologischen Sommerakademie 2001“ des Linzer Priesterkreises, Buttenwiesen 2001, 73–97.

[8] Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, 7. Dezember 1965, Nr. 24.

[9] In dieser Studie soll primär Bezug genommen werden auf jene Gläubigen, die der katholischen Kirche des lateinischen Ritus angehören. Diese schließen – unbeschadet der vom Recht vorgesehenen Ausnahmen – eine gültige und sakramentale Ehe nur dann, wenn die Eheschließung erfolgt „unter Assistenz des Ortsordinarius oder des Ortspfarrers oder eines von einem der beiden delegierten Priesters oder Diakons sowie vor zwei Zeugen“ (Codex Iuris Canonici, auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatus, Libreria Editrice Vaticana MDCCCCLXXXIII [= CIC 1983], can. 1108). Für Ausgetretene und getaufte Nichtkatholiken gilt die kanonische Formpflicht nicht, sodass sich von daher andere Konsequenzen im Hinblick auf die Schließung einer gültigen sakramentalen Ehe ergeben. Diese Ehe kommt bei ihnen durch das freie Ja-Wort der Partner und bei gegebenem Nichtausschluss aller Wesenseigenschaften und -elemente der Ehe vor jedem öffentlich-rechtlichen Forum, d.h. auch vor dem Standesamt gültig zustande (vgl. CIC 1983, can. 1117).

[10] „Heute muss zweifellos mehr als zu anderen Zeiten der Beeinträchtigung des Verstandes, der Lähmung des Willens, der Bestimmung durch Leidenschaften, der verborgenen Wurzel der meisten Schwächefaktoren, die zur aktuellen Verbreitung der faktischen Lebensgemeinschaften beigetragen haben, Rechnung tragen.“ – Päpstlicher Rat für die Familie, Ehe, Familie und „Faktische Lebensgemeinschaften“ (abgekürzt mit EFLG), 26. Juli 2000, Nr. 37.

[11] „Man schafft gefühlsmäßige Bindungen, die dem Grad der gegenseitigen vollen Annahme und ihrer öffentlich-rechtlichen Absicherung nicht entsprechen … Man teilt alles, aber ein innerer Vorbehalt bleibt. Dass gegenseitige körperliche Hingabe ganzheitliche Hingabe und unwiderrufliche Annahme repräsentiert – der Symbolcharakter ist unverkennbar –, wird verdrängt.“ – Demmer, Enthaltsamkeit, 244.

[12] Die Deutung der Kirche als Sakrament des Heils, wie sie in der Dogmatischen Konstitution des 2. Vatikanischen Konzils über die Kirche „Lumen gentium“, Nr. 1, vorgenommen wurde, verwirklicht sich in einzigartiger Weise in der Sakramentalität der Ehe.

[13] Vgl. dazu exemplarisch Mt 15,19; Joh 4,17 f; 1 Kor 5,9–11; 6,9.12–20; 2 Kor 12,20 f.

[14] EFLG 26.

[15] Charta der Familienrechte, vom Heiligen Stuhl allen Personen, Institutionen und Autoritäten vorgelegt, die mit der Sendung der Familie in der heutigen Welt befasst sind, 22. Oktober 1983, Präambel I. Vgl. ebd., Art. 1c: „Der Wert der Ehe als Institution soll von den staatlichen Autoritäten hochgehalten werden; die Situation nicht verheirateter Partner darf nicht mit einer gültig geschlossenen Ehe gleichgesetzt werden.“

[16] Päpstlicher Rat für die Familie, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (abgekürzt mit VSE), 13. Mai 1996, Nr. 10.

[17] Vgl. dazu das grundlegende Dokument des Päpstlichen Rats für die Familie: Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung. Orientierungshilfen zur Erziehung in der Familie, 8. Dezember 1995.

[18] Eph 5,21–32.

[19] Vgl. VSE 11.

[20] VSE 12; vgl. auch VSE 13.

[21] VSE 12.

[22] VSE 14.

[23] Vgl. Benediktionale. Studienausgabe für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Erarbeitet von der internationalen Arbeitsgemeinschaft der liturgischen Kommissionen im deutschen Sprachgebiet. Freiburg-Basel-Wien 1989, Nr. 55. Einleitend dazu heißt es (S. 245): „Die Verlobung ist der Ausdruck des festen Willens zweier Menschen, miteinander die Ehe einzugehen. Die Bekundung dieser Absicht ist so bedeutsam, dass eine religiöse Gestaltung der Verlobungsfeier sinnvoll ist.“

[24] Demmer, Geschenk, 156.

[25] Johannes Paul II., Brief an die Familien “Gratissimam sane” vom 2. Februar 1994, Nr. 11.

[26] Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Familiaris Consortio“ über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (abgekürzt mit FC) vom 22. November 1981, Nr. 81.

[27] Die Würde der menschlichen Person verlangt, „dass sie für immer und ausschließlich das Ziel liebender Hingabe“ ist, „ohne jegliche zeitliche oder sonstige Begrenzung.“ – FC 80.

[28] Der Zusammenhang derartiger Lebensformen mit einer verbreiteten „Scheidungsmentalität“ wäre eigens zu untersuchen. Die Vermutung könnte sich erhärten, dass viele unverheiratete Paare gerade wegen der Häufigkeit von Scheidungen als Negativbeispielen davor zurückschrecken, selbst eine Ehe einzugehen. Umgekehrt könnte sich auch die relative Unverbindlichkeit vorehelichen Zusammenlebens auswirken auf eine spätere eheliche Beziehung und damit – sofern die vorehelichen Bindungsdefizite nicht aufgearbeitet und überwunden, ja auch durch Hineinnahme in eine sakramentale Beichte geheilt werden – die Gefahr für spätere Scheidungen erhöhen. Ähnlich beurteilt Demmer (Enthaltsamkeit, 240) das Experiment des vorehelichen Zusammenlebens: „Je mehr man vorwegnimmt, umso weniger engagiert man sich, wenn das Prüfen seiner selbst, des Partners und der anstehenden Wahl auf einen zukommt. Das bringt insofern einen erhöhten Risikofaktor in die Stabilität der Wahl ein, als die eigene Freiheit bereits konditioniert ist. Man besitzt schon nicht mehr die notwendige kritische Distanz, um einander in Frage stellen zu können.“

[29] Beispielsweise: Der Vater eines ungewollt gezeugten Kindes entdeckt plötzlich über den „Umweg“ des Kindes den Wert personaler Liebe und Bindung; Krankheiten und Schicksalsschläge lassen tiefere Dimensionen des Menschseins wieder hervortreten, und man lernt neu, was es heißt, von anderen beschenkt zu werden und dankbar zu sein. Oder: Jemand findet zum Gebet und spürt dann, dass er sein Leben nach Gottes Geboten neu ordnen und ausrichten muss.

[30] Vgl. Lk 15,7.

[31] Vgl. FC 81.

[32] FC 81.

[33] FC 82.

[34] Mitunter drückt sich jedoch gerade in der Wahl eines solchen Lebensstandes eine Haltung aus, die von vornherein mit einer Scheidung als realer Möglichkeit rechnet und auf diese Weise die eheliche Zustimmung relativiert.

[35] „Die sanatio in radice, also die Heilung in der Wurzel, ist eine Form der Konvalidation (Gültigmachung) der ungültig geschlossenen Ehe. Im Gegensatz zur einfachen Gültigmachung ist keine Erneuerung des Ehekonsenses erforderlich, die Gültigmachung erfolgt hier von außen durch die zuständige Autorität. Eine sanatio in radice ist nur möglich, wenn bei der Eheschließung ein Ehehindernis oder ein Formfehler vorgelegen hat und wenn auch zum Zeitpunkt der Gültigmachung ein einwandfreier Ehewille vorliegt, denn gemäß c. 1057 §1 kann der Ehekonsens durch keine menschliche Macht ersetzt werden. Zuständig für die Gewährung der Heilung in der Wurzel ist der Apostolische Stuhl, in Einzelfällen der Diözesanbischof (vgl. c. 1165). In der Praxis gewährt jedoch in der Regel der Diözesanbischof die sanatio in radice.“ – Kleines kirchenrechtliches Wörterbuch von Karl Neimes, durchgesehen von Alfred E. Hierold. Vgl. dazu auch Karl-Theodor Geringer, Die Konvalidation der Ehe, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Zweite, grundlegend neubearbeitete Auflage, hg. v. Joseph Listl und Heribert Schmitz, Regensburg 1999, 981–987.

[36] EFLG 41.