Die Anthropologie der Postmoderne und das christliche Gewissen(10. Oktober 2001)
Ignazio Sanna
Hinweis/Quelle: Beim vorliegenden Text handelt es sich um den Einleitungsvortrag zum Studienjahr 2001/2002, gehalten am 10. Oktober 2001 an der „Pontificia Accademia Alfonsiana“. Das italienische Original findet sich in: Studia Moralia 40 (2002) 266 f (Abstract).321–338 (Text). Übertragung ins Deutsche von Dr. theol. Josef Spindelböck (ohne Gewähr für die Richtigkeit). Die Anmerkungen wurden besonders bearbeitet. Wir danken Prof. Sanna für die freundliche Genehmigung zur Internetpublikation des deutschen Textes auf www.stjosef.at!Monsignore Ignazio Sanna ist Prorektor der Lateran-Universität und Gastprofessor der Alfonsianischen Akademie.
Kurzfassung (Abstract)
Der folgende Beitrag möchte aufzeigen, wie die zeitgenössisches Kultur zur Verdunkelung des sittlichen Empfindens geführt hat, insofern sie dem menschlichen Gewissen schweren Schaden zugefügt hat. In dieser schwierigen Situation sind Moraltheologie und Kirche dazu aufgerufen, alles Mögliche zu tun, um das menschliche Gewissen zu schützen und zu verteidigen, sodaß das sittliche Empfinden wiederhergestellt werden kann. Die Schwäche unseres Sinnes dafür, wer Gott ist, wer der Mensch ist und was die Welt ist, hat eine Kultur dessen herbeigeführt, das zu tun, was immer möglich ist, mit einer bloßen Ethik des Endlichen, gegründet auf Vertrag und Konvention. Um das sittliche Empfinden wieder neu zu finden und das menschliche Gewissen zu schützen, muß die Kirche den Mut haben, die sogenannte „christliche Differenz“ zu verkünden, die Transzendenz des Evangeliums, und eine Ethik des Unendlichen vorlegen.
1. Angesichts der Übermacht der Technik, welche die Zukunft der Menschheit dem Risiko ausgesetzt hat, hat der deutsche Philosoph Heidegger eingestanden, daß „nur ein Gott uns retten“ könne. Er hielt daran fest, daß es die Möglichkeit einer Rettung der Menschlichkeit des Menschen (seiner „humanitas“) vor einer barbarischen Technologisierung gebe, und er führte aus, diese Rettung bestehe in einer radikalen Umkehr sowohl des menschlichen Denkens wie auch der Weise, wie der Mensch die Erde bewohne. Um gerettet zu werden, müsse der Mensch sich befreien vom Willen, sich der Dinge zu bemächtigen, und davon, die Welt umzuwandeln in eine Sache der eigenen Verfügung.[1] Gegenüber demselben Phänomen bekräftigt hingegen der italienische Philosoph Galimberti, daß „kein Gott uns retten kann“.[2] In der Tat wolle nach ihm die Technik als eine „Verabschiedung der Götter“[3] bezeichnet werden. Die Technik ist im eigentlichen Sinn aus dem Zusammenbruch des Thrones Gottes entstanden. Sie hat die Religion zu ihrer Abenddämmerung geführt und mit der Religion jene Geschichte, die aus der religiösen Schau der Welt entstanden war.[4] Der Mensch emanzipiert sich von der Gottheit, da er von sich selber das empfängt, was er eine Zeitlang genötigt war, von Gott zu erflehen: Die Verabschiedung der Götter bezeichnet den Ursprung des menschlichen Wissens, das als technisches Wissen entsteht; jedoch nur als technisches Wissen.[5] Die Vorherrschaft der Technik anerkennt als ihre Grenze „weder die Natur, noch Gott, noch den Menschen, sondern allein den Stand der erreichten Resultate, der ins Unendliche ausgedehnt werden kann ohne eine andere Absicht als die Selbstpotenzierung der Technik als eben dieses Zieles als solchen“.[6]
Ich denke, daß in diesen zwei entgegengesetzten Positionen die Dialektik des zeitgenössischen menschlichen Dramas eingeschlossen ist: die menschliche Rettung durch Gott zu suchen oder durch den Menschen selbst, das heißt, sich zu öffnen für die Transzendenz oder sich zu verschließen in der Immanenz, auf die Stimme des Anderen zu hören oder andere Stimmen zu hören. Der Ort, an dem sich diese Dialektik mit größter Dramatik vollzieht, ist im eigentlichen Sinn das menschliche Gewissen. Es ist eine traurige Gegebenheit, daß jedesmal, wenn man auf die „anderen Stimmen“ hört, der Sinn für das Leben und den Tod verlorengeht. Wenn der Himmel sich Gottes entleert, so hat Karl Barth geschrieben, bevölkert sich die Erde mit Götzen.
In der Tate haben die Versuche, die Religion auszurotten – begonnen 1789 von Paris aus und fortgesetzt 1917 von Leningrad, heute Sankt Petersburg, aus –, zu einer Vervielfachung der Idole und zur Zerstörung des Menschen beigetragen. Die französische Revolution, die jeder Form von „geoffenbarter“ Religion durch den Übergang zu einem gänzlich menschlichen Kult in Namen der Göttin Vernunft ein Ende bereiten wollte, hat allein in den beiden Jahren 1792–1793 mehr Opfer gefordert, als sämtliche Inquisitionen in fünf Jahrhunderten zustandegebracht hatten. Der gottlose Marxismus, der das atheistische Werk des französischen Jakobinertums im Versuch, den Tod Gottes auszurufen, radikalisierte, hat darin geendet, den Tod des Menschen herbeizurufen, und nicht nur jenen physischen von 100 Millionen Opfern. Er hat auch den moralischen Tod einer anderen unzählbaren Menschenmenge der Länder des Ostens bewirkt, indem er ihnen die Lust an der Arbeit nahm, den Sinn für die Würde, den Respekt für die Sittlichkeit, die Ausrichtung auf die Zukunft und die Praxis der Solidarität. Albanien war der erste und einzige Staat der Geschichte, der die Nichtexistenz Gottes in der eigenen Verfassung verkündete, welche mit der feierlichen Feststellung beginnt: „Albanien ist eine Volksrepublik, die sich auf den Atheismus gründet.“ Die verrosteten Schlepper in der Meerenge von Otranto und die Sklaven der Prostitution, die sich an den Straßen Italiens und Europas drängen, sprechen mit tragischer Evidenz davon, wohin die Verabschiedung Gottes aus dem menschlichen Gewissen und der bürgerlichen Gesellschaft führt.
Die These, welche ich in dieser meiner kurzen Darlegung vertreten möchte, ist, daß die zeitgenössische Kultur zur „Verdunkelung des moralischen Empfindens“[7] beigetragen hat, weil sie das menschliche Gewissen erniedrigt und ernstlich in eine Krise geführt hat. Das Bemühen von Theologie und Kirche muß folglich darin bestehen, das menschliche Gewissen zu schützen, um das sittliche Empfinden wieder entdecken zu können.[8]
Ich beginne damit meine These zu präsentieren, indem ich behaupte, daß das Gewissen stets eine Beziehung zu einem Jemand anzeigt, und heute ist dieser Jemand (sei es, daß man sich damit auf Gott oder auf den Menschen bezieht) geschwächt oder verdunkelt. Es zeigt immer eine Beziehung zu einem Etwas an, und heute ist dieses Etwas geschwächt oder verdunkelt (dieses Etwas der Welt hat seine Stabilität verloren, da die Welt ein Raum der Forschung geworden ist, ein Depot von Dingen, eine Heimat ohne Grenzen).[9]
2. Was das Jemand Gottes betrifft, so kann man leicht feststellen, daß Er in der Postmoderne nicht mehr als der starke Gott, der allmächtige, einzige, absolute, als das Fundament allen Seins, als die erste Ursache von all dem, was in der Welt existiert, angesehen wird; so als ob in fortschreitender Richtung sein Bild als Vater-Gott verdünnt wird – in dem Maß, als die menschliche Vaterschaft der Tendenz nach reduziert wird auf ein rein biologisches Phänomen. Gott hat sich jedoch in der Geschichte des Heils außer als Schöpfer und Erlöser und als Herr der
Geschichte immer und vor allem als Vater – als Vater Israels und als Vater Jesu Christi – offenbaren und bezeichnen wollen. Wenn aber diese Vaterschaft im menschlichen Leben nicht existiert, wenn sie nur als biologisches Phänomen erfahren wird und nicht auch als menschliches und geistliches, wenn man denkt, es sei nicht möglich, den überaus wahren und tiefen Sinn von geistlicher Vaterschaft und Mutterschaft zu verwirklichen wie durch das Vorbild im Schicksal der Heiligen, dann wird die menschliche Rede von Gott als Vater leer.
Wir können sagen, daß Gott in gewisser Weise seinen Platz verloren hat. In der Vergangenheit, so schrieb Guardini, befand sich der Ort Gottes in der Höhe, im Empireum, im Himmel. Die Höhe des Himmels war der unmittelbare kosmologische Ausdruck der Souveränität Gottes und der Fülle der menschlichen Existenz in Ihm. Gott wohnte in unzugänglichem Lichte, das keiner unter den Menschen jemals gesehen hatte noch sehen konnte.[10] Heute ist Er nicht mehr der Schöpfer-Gott des Himmels und der Erde, der Gott Abrahams, Mose und der Propheten, der Erlöser-Gott und Vater Jesu. Vom persönlichen Gott, dem Freund des Menschen, ist er zum „Faktor Gott“ geworden, der Gewalt und Krieg hervorbringt und ein Volk gegen das andere aussendet, eine Kultur gegen die andere.
In der Postmoderne stellt eine ganze komplexe Reihe von Gründen nicht so sehr die Existenz Gottes in Frage, als daß sie vielmehr Fragen aufwirft bezüglich seiner Eigenschaft: Welchen Gott kann man angesichts der Unterdrückung der Schwächsten, gegenüber der Roheit höchst zivilisierter Völker und angesichts der Ungerechtigkeit im individuellen und sozialen Leben konzipieren? Und da man keine überzeugenden Antworten gegenüber diesen Fragen findet, wird der christliche Gott am Ende ersetzt durch die vielen Götter des Homer, die „wahre Religion“ durch die vielen Religionen, der einzige Retter durch die vielen Retter. Die Vervielfachung der Götter und Retter ist umgekehrt proportional zur Allmacht des einzigen Gottes und des einzigen Erlösers. Je mehr die Götter sich vervielfachen, desto schwächer und „austauschbarer“ sind sie. Klarerweise beabsichtigen wir nicht, indem wir von der Auflösung der christlichen Religion in viele Religionen und viele Retter sprechen, uns dabei auf die großen Religionen zu beziehen, welche einen aussagekräftigen Begriff von der Gottheit haben, da die Kirche nach der Konzilsperiode „mit aufrichtigem Ernst jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren“ betrachtet, „die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“[11]; und die verschiedenen Wege, welche zum Heil und zur menschlichen Verwirklichung führen, werden als in der Geschichte und im Eschaton konvergierend angesehen.[12]
Die vielen Religionen, die wir hier zur Erwägung heranziehen, sind jene „unsichtbaren“, „emotionalen“, welche Ideale des Glücks und des Wohlergehens in einem guten Markt vorlegen, die über das menschliche Bedürfnis nach Selbstverwirklichung spekulieren und unmögliche Garantien bezüglich der Zukunft der Personen und der Gesellschaft versprechen. Diese Religionen sind jene, deren Gründer nicht so sehr die charismatischen Häupter sind als vielmehr die Manager der Vertröstung und die Träger der Hoffnungen auf Erfolg in den privaten Freundschaften und im geschäftlichen Leben.[13]
3. Was das Jemand des Menschen betrifft, so kann man vor allem beobachten, daß die Abschwächung des Begriffs von Gott direkt zur Abschwächung des Begriffs vom Menschen führt. Die erste Auswirkung dieser Abschwächung des Begriffs des Menschen ist, daß dieser von einem Geschöpf, das Gott um seiner selbst willen gewollt hat[14], reduziert wird auf ein einfaches Exemplar der menschlichen Art. Der „alleinige“ und fragliche Mensch der postmodernen Gesellschaft, der in der Tat, wenn er einmal seine Beziehung zu Gott zerbrochen hat, – wie es Gauchet sagen würde[15] – allein mit seinem Menschsein verblieben ist oder ohne eine transzendente Verankerung, erfährt die Bedeutungslosigkeit der eigenen Identität und der Realität, die ihn umgibt. Er ist wie ein Vagabund, der die Wüste durchquert und nur die Spuren erkennt, die von eben seinen Fußabdrücken gezeichnet werden, vom Wind im selben Moment hinweggefegt, in dem er vorbeizieht. Wenn Gott nicht mehr als Person, sondern als verschwommene Gottheit begriffen wird, wird auch der Mensch, der sein Personsein von Gott ableitet, gerade nicht mehr als Person begriffen, sondern als eine diffuse menschliche Realität. Gott ist Person, und er sucht die Person. Gott hat einen Namen, und er ruft den Menschen beim Namen. Sein Gegenspieler hingegen, das Tier der Apokalypse, hat keinen Namen, sondern nur eine Zahl: sechshundertsechsundsechzig.[16] Dieses verwandelt die Namen in Zahlen. Wenn der Mensch aufhört, der persönliche Gesprächspartner Gottes zu sein, wird er eine Zahl, wie es die in einem Lager Internierten sind, die Häftlinge eines Gefängnisses, die Belegschaft einer Fabrik; er wird eine Funktion, wie die Maschinen, die er konstruiert. Diese lesen ihn nur, wie der Computer, wenn er in eine Zahl übersetzt wird, und nicht, weil er einen Namen trägt oder einen Willen hat.[17]
Die grundlegende anthropologische Frage scheint nicht mehr zu sein was für ein Mensch, sondern wie viele Menschen. Das Kriterium, das zählt, ist nicht, wer gestorben ist, sondern wie viele gestorben sind. In der Statistik der Toten und der Lebenden zählt das Individuum nicht als einzelner, sondern als Teil einer Menge. Er dient allein dazu, die Menge zu vergrößern, denn nur eine große Menge von Toten und Lebenden erzeugt eine Nachricht und beeindruckt die öffentliche Meinung. Tausend Tote ergeben eine Statistik, ein Tod bewirkt eine Tragödie.
Niemals wie heute ist der Mensch auf dem Höhepunkt der technischen Macht im Hinblick auf seine Natur in Gefahr geraten. Je mehr die Technik wächst, desto mehr wächst die Gefahr für den Menschen. Das bedeutet, daß die Gefahr vom Menschen kommt. Die äußeren Faktoren haben das Leben des Menschen in vergangenen Zeiten stets in Gefahr gebracht. Man denke an die Seuchen, die Kriege, die Erdbeben und an die Ausbrüche der Vulkane. Heute sind die inneren Faktoren gefahrvoller. Nichts ist gefährlicher für den Menschen als der Mensch selbst. Die äußeren Faktoren sind ein Werk der Natur – und daher in letzter Hinsicht Gottes selbst – und richten sich niemals gegen den Menschen. Die inneren Faktoren sind vom Menschen geschaffen und achten oft und gern nicht die Natur und setzen das menschliche Überleben dem Risiko aus.
Man kann sagen, daß die Welt der Menschen umgewandelt ist in ein immenses Eisenbahnnetz, worauf nur mehr Güterzüge verkehren. Es verkehren nur mehr Zahlen-Menschen, Gehalts-Menschen, Kapital-Menschen, Menschen, die man umrechnen kann in Versicherungen, welche gemäß der ökonomisch-sozialen Unterwerfung des Versicherten variieren und nicht gemäß seiner inneren Würde. In der Theorie erfreuen sich alle Menschen der gleichen Würde, aber irgend jemand ist immer würdiger als irgendein anderer. Die Gleichheit wird bekanntlich als ein Begriff in hermeneutischer Variabilität und nicht als eine metaphysische Wahrheit angesehen.
Die Reduzierung des Menschen von einem Geschöpf Gottes mit seiner einzigartigen individuellen und personalen Würde auf eine einfache Komponente des Menschengeschlechts hat ihn nicht nur der Verankerung in Gott entrissen, sondern auch der Verankerung in der Welt. Er wird tatsächlich nicht mehr begriffen als Herr des Universums, gegenüber welchem er sich einer geistigen Überlegenheit rühmen kann aufgrund der Tatsache, daß er fähig ist, es zu begreifen, zu interpretieren, umzuformen und zu einem Objekt des Studiums und der Forschung zu machen. Letztendlich wird der Mensch nicht mehr angesehen als „materia humanitatis Filii Dei“, gemäß dem Ausspruch der Hildegard von Bingen[18], und deshalb von seiner Kreatürlichkeit bestimmt, welche ihn unlösbar mit dem Schöpfer verbindet, sondern er wird in dem Maß „mehr“ als Mensch betrachtet, in dem er „nur“ Mensch ist. Er ist nicht „anders als das Sein“, sondern er ist das „Sein“ schlechthin. Er ist eines der zahllosen Lebewesen, das keinem der anderen Lebewesen auf Erden irgendeine „artmäßige“ Herrschaft auferlegen kann.[19] Wenn beispielsweise die Menschen unsterblich sind – fragt sich in provokanter Weise Drewermann[20] –, warum sollten es nicht auch die Tiere sein? Für den Priester und Psychoanalytiker kann die in der thomistischen Philosophie unter der Komplizenschaft des Aristoteles herangereifte Anthropozentrik heute niedergerissen werden aufgrund eines einfachen Blicks, den man durch ein Mikroskop oder ein Teleskop auf das Universum wirft. Für einen Glaubenden, der der Naturwissenschaft, der Psychoanalyse und der Ethologie Rechnung trägt, ist es vernunftgemäßer, an einen einzigen göttlichen Lebensstrom zu denken, der die vieltausendjährige Evolution der Menschen und Tiere möglich gemacht hat. Für die alte Theologie ist der homo sapiens immer noch der unvergleichliche Höhepunkt aller Evolution, weil er die einzige Form ist, in welcher Christus auf Erden erschienen ist. Aber wer kann sagen, in welcher Form er in den letzten Tagen der Schrift erscheinen wird? (Wir hoffen, nicht in jener des Priesters und Psychoanalytikers!)
Wie man vom Begriff eines persönlichen Gottes in jenen einer verschwommenen Gottheit hineinschlittert, so ist man in letzter Hinsicht vom Begriff des Menschen als Person abgeglitten in diesen eines diffusen Menschseins, eines nicht mehr unterschiedenen und verallgemeinerten Zustands. Der heutige Mensch wird nicht als vernünftige und geistige Person begriffen, sondern als ein mit Bewußtsein ausgestattetes Lebewesen, und in dem Maß, als er mit Bewußtsein ausgestattet ist. Er ist zum biologischen Subjekt geworden, in der Art, daß er nicht mehr „jemand“ einziger und unverletzlicher ist, dessen Menschsein über jede andere Lebensform hinausgeht, sondern ein „etwas“, das alle manipulieren können.[21] Der „modulare“ Mensch der Postmoderne besitzt nicht mehr seine starke personale und als solche einzigartige Identität. Er kann demontiert und wieder eingesetzt werden in Übereinstimmung mit den diensthabenden ideologischen Marionetten und eine Form oder ein Bild annehmen, das nur für den Zeitraum einer wissenschaftlichen Theorie andauert. Man kann sagen, während die erste wissenschaftliche und technologische Revolution des modernen Zeitalters die Natur außerhalb des Menschen verändert hat, erschließt die bioethische Revolution die Möglichkeit, die Natur des Menschen zu modifizieren. Nunmehr sind derart große Barrieren „der Natur“ niedergerissen worden, seitdem im Jahre 1960 die „Food and Drug Administration“ zum erstenmal in der Welt den Verkauf des Antikonzeptivums erlaubte; und die Pille bewirkte das „große Schisma“, indem sie die Sexualität von der Fortpflanzung trennte und die Mutterschaft von ihrer Bestimmung und indem sie das eheliche Alleinrecht für die Fortpflanzung zerstörte. Mutter zu werden wurde eine Entscheidung. Wenig später ging die künstliche Befruchtung daran, Fortpflanzung und Fruchtbarkeit zu trennen, indem man auch den unfruchtbaren Leib zur Fortpflanzung befähigte, wobei er doch unfruchtbar blieb. Heute sind wir am Vorabend der „Kinder-Technologie“, denn der Tag ist nicht fern, an dem sich der Durchgang des Embryos durch den Mutterschoß als überflüssig erweisen wird und sich der gesamte Weg der Fortpflanzung in extrakorporalem Umfeld entfalten kann. Dann werden sich die biologischen Eltern – wie in jeder Fabrik und in jeder Produktionskette reduziert zu reinen Auftragsgebern – nicht nur als überflüssig, sondern als störende Elemente erweisen.
Wenn auf der anderen Seite einmal die Naturwissenschaften als das einzige Kriterium des menschlichen Handelns angenommen sind, leben die einzelnen, welche die menschliche Gesellschaft zusammensetzen, nicht gemäß den Normen, die der Transzendenz entspringen, die jedem einzelnen in einer einzigartigen und unwiederholbaren Weise gegenübersteht, sondern gemäß den allen Körperwesen gemeinsamen biologischen Regeln, die man ohne Berücksichtigung ihrer geistigen Dimension betrachtet. Die Naturwissenschaften ohne Werte sind nicht in der Lage, den anderen zu erfassen, und folglich sind sie auch nicht imstande, das Personsein des Menschen zu begreifen. Indem sie den Menschen zu ihrem Objekt machen, löschen sie die innerste Wirklichkeit in dem Punkt nicht aus, wo dieser er selber ist, in dem Maß, in dem er im Anderen ist. Die Naturwissenschaften behandeln jenes Wenige des Sichtbaren, das umhüllt ist vom Ozean des Unsichtbaren so, als ob es das Unsichtbare nicht geben würde. Sie haben den Ursprung der Würde des Menschen vom theologischen und philosophischen Bereich auf den biologischen übertragen, wo man keine Grenze des Eingreifens mehr akzeptiert. Denn wenn einmal das Konzept der „Natur“ zerstört ist, wird alles künstlich und damit manipulierbar, und es macht keinen Sinn mehr, von einer „natürlichen“ Grenze des Handelns zu sprechen.
Beispielsweise wird im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien der Vertrag zur Ersatzmutterschaft als Vertrag analog zu einer beliebigen anderen geschäftlichen Transaktion betrachtet. Das Geben oder Tun, zu welchem sich die Partner verpflichten, wird nach denselben Kriterien beurteilt, die angewandt würden, wenn es sich darum handelte, ein beliebiges Objekt auszuhändigen oder irgendeine persönliche Leistung zu erbringen, ohne der Tatsache irgendeine Bedeutung beizumessen, daß die Produktion menschliche Wesen betrifft. In Zusammenfassung: Das Prinzip des Bezugs ist einzig jenes der Logik des Marktes. Es scheint, daß jede Sache nach Art einer Ware betrachtet werden kann. Wohlergehen, Umgebung, Unterweisung und Freiheit können als zu vernachlässigende Güter behandelt werden, über deren Zugänglichkeit und Genuß der Markt der einzige oder hauptsächliche Richter geworden ist. In den Vereinigten Staaten ist zu irgendeiner Zeit dank rechtlich und sozial angemessenerer Interpretationen die Zahl der Häftlinge verringert worden. Beachtet man das außerordentliche Wachstum der Bevölkerung in den amerikanischen Gefängnissen, würde dies ein Ergebnis von einer großen sozialen Bedeutung darstellen. Für die privaten Gesellschaften jedoch, die die Haftanstalten betreiben, handelt es sich um ein Unheil, so sehr, daß ihre Bewertung auf der Börse davon nicht unbetroffen geblieben ist. Diese Gesellschaften haben eine Aktion des Lobbying durchgeführt, um die Richter dazu zu bringen, zu strengeren Anwendungen der Gesetze zurückzukehren. Mit anderen Worten, um von neuem mehr Menschen in die Strafanstalten zu schicken! Die persönliche Freiheit wird der Logik des unternehmerischen Profits untergeordnet.
4. Was das Etwas der Welt betrifft, so wird ihre ganz besondere Umformung und Säkularisierung durch das komplexe Phänomen der Globalisierung hervorgerufen. Diese hat in der Folge die Vorstellung des Raumes gewandelt und das Verhältnis zwischen den Bewohnern der Erde. Allerdings sind jene Räume zerbrochen, die in der Vergangenheit Orte der Sicherheit und der Identität waren, wie das Vaterland, das Dorf, das Haus, die Kirche und ein gewisses anerkanntes Umfeld von Werten, und es ist eine Situation der Unbehaustheit oder das Fehlen einer Unterkunft und eine Suche nach anderen Räumen, um Identität zu finden, geschaffen, die sich ausdrückt auch durch die Freude an der Übertretung und die ständige Fortbewegung und Reise ohne ein genaues Ziel. Nunmehr zwingt die Verringerung der Räume, die man erfährt, grundlegend dazu, die Beziehung zum anderen mit den Verschiedenheiten der Kultur, der Rasse und der Religion zu überdenken. Es wurde eine gleichsam paradoxe Situation geschaffen: Als die Verschiedenheiten ziemlich entfernt waren, erschienen sie weniger verschieden und daher auch weniger problematisch, weil sie weniger bekannt waren; heute hingegen sind die Verschiedenheiten nähergerückt; sie leben im selben Haus und gesellen sich wirklich unerwartet in ihrer Realität dazu: sie sind Verschiedenheit. Und damit muß man leben, ohne sich dem ernsten Risiko einer Mentalität auszusetzen, die den Raum einzuschränken oder zu zerstören sucht, als Ausdruck einer Kultur, welche die Verschiedenheit zwischen dem Ich und dem Anderssein nicht anerkennt. Ohne daß ein Raum bestehen bleibt – eine Distanz –, gibt es nicht die Möglichkeit einer Anerkennung des Andersseins, ist es nicht möglich, das Antlitz des anderen zu sehen. Ohne Distanz würde es keine Differenz geben, und daher würde es auch die Verschiedenheit der Gesichter nicht geben. Es ist das Antlitz des anderen in seiner Irreduzibilität, Einzigartigkeit, Geheimnishaftigkeit und in seinem unendlichen Hindurchleuchten, das den Gedanken des Wunders und des Staunens hochkommen läßt und Anspruch auf sittliche Verantwortung erhebt. Der Raum ist notwendig als Vermittlung, als das dritte unter zweien, als Ort, wo das Ich und der andere sich einander ohne totalitäre Verschmelzung begegnen, ohne gegenseitige Unterdrückung, und wo sich die vollständige freie Verwirklichung der beiden ereignet.[22]
Man kann nicht leugnen, daß die Globalisierung in unserer kollektiven Vorstellung eine Krise des traditionellen Bildes der Wohnräume des Menschen hervorruft. Sie stellt auf einzigartige Weise unsere anthropologische Identität in Frage. Bedeutet das für ein fundamental irdisches Wesen wie den Menschen, der an die eigene Erde gebunden ist, tatsächlich, daß er auf einem Globus leben soll?[23] Insofern die Politik die Organisation des gemeinsamen Lebens der Menschen verwirklicht, bedeutet sie immer Eroberung und Verwaltung des Raumes, denn der Raum ist das Feld der menschlichen Handlungen. Alle traditionellen Formen politischer Ordnung – die Polis, das Imperium, der Staat – beziehen sich auf bestimmte räumliche Konzeptionen und gründen sich auf eine politische Abbildung des Raumes. Jenes Etwas des geographischen Raums gestaltet sich – durchgeführt in Form der Politik – um in den Raum des Könnens, der Freiheit, der Staatsbürgerschaft, der Gesetze und des Rechtes. Kurzum, es gibt keine Politik ohne die unverzichtbare Dimension des Raumes. Heute aber tritt mit der Globalisierung – mit dem freien Verkehr der Personen, der Güter und des Kapitals, mit der Deregulierung, der tendenziellen Abschwächung der nationalen Souveränitäten und dem Multikulturalismus – die traditionelle Beziehung zwischen Politik und Raum in eine Krise. Wenn eine Zeitlang die Politik den Raum organisierte und begrenzte, so lösen heute neue Handlungs- und Wirkungsweisen ökonomischer, technischer und informationsmäßiger Art die traditionellen Grenzen der Politik auf, wenn sie innerhalb des globalen Raums auftreten. Es scheint keine politische Form zu geben, der man die Globalisierung zuweisen könnte, keine fähige Macht, um Ordnung im globalen Raum herzustellen, kein neues Gesetz der Welt. Die Kategorien der Moderne genügen nicht, und auch nicht eine neue Sinngebung für sie, um die neue Realität zu begreifen. Wenn die Politik die Herrschaft über den Raum ist und der Raum das Feld der Praxis, dann ruft die Globalisierung als Öffnung des menschlichen Handelns gegenüber dem Kraftfeld gegenseitiger planetarischer Verbindung nach einer politischen Instanz, die fähig ist, eine neue Ökumene zu konstituieren. Es fehlt eine Anthropologie der Globalisierung, das heißt eine gemeinsame Vorstellung der Natur des Menschen, vielleicht ein gemeinsames Gespür für seine Verfaßtheit. Die politisch-symbolische Organisation der Globalisierung ist aufgrund der mühsamen und komplexen Dynamiken des Aus- und Einschließens, der Zugehörigkeit und der Ausweisung, der Identität und der Andersartigkeit, der Unterwerfung und der Herrschaft schwierig geworden.[24]
Die Umwandlung der Idee des Raumes und folglich der sozialen und politischen Welt hat ihre Konsequenzen auch auf ethischem Gebiet. Den ärztlichen Kollegen, die an das bereits existierende Verbot des reproduktiven Klonens menschlicher Wesen erinnerten, hat Severino Antinori geantwortet, es gebe Zufluchtsorte gegenüber diesen Verboten, und dort werde er seine neue Arbeit beginnen. Die Verbote reichen nicht aus, den ganzen Planeten abzudecken, denn es gibt Schiffe, welche sich außerhalb der territorialen Gewässer befinden. Wie die Geldmittel in Gegenden verschoben werden, wo die Investition gewinnbringender ist und die steuerliche Regelung vorteilhafter, so verlagert man viele Aktivitäten der Forschung und besondere Heilverfahren dorthin, wo die Systeme der Regulierung schwach oder gar nicht vorhanden sind. Die Verbote gegen den Verkauf von Organen werden leicht umgangen, denn man kauft Nieren von armen Türken oder Indianern, man eröffnet Kliniken in günstigen Ländern, wo die Reichen der Welt zur Durchführung einer Transplantation hinkommen. Man achte jedoch wohl darauf, daß diese Formen örtlicher Verlagerung nicht nur die ärmeren Gegenden der Welt betreffen. Die teilweise Öffnung durch Bush gegenüber der Forschung mit Stammzellen erweist sich ebenfalls bestimmt von der Furcht mitanzusehen, daß die Vereinigten Staaten in einem strategischen Bereich von einem Großbritannien übertroffen würden, das sich stets entschlossener zeigt, diesen Forschungen die größtmögliche Chance anzubieten. So wird die Geographie der Welt nicht mehr allein von den Grenzen und den Formen nationaler Souveränität gezeichnet, sondern auch von neuen Verflechtungen zwischen Motiven der Naturwissenschaft und Erfordernissen der Industrie.
5. Nun hat die Abschwächung des Jemand Gottes und des Menschen und ebenso des Etwas der Welt eine „Kultur des Möglichen“ hervorgerufen, dominiert von der Verdunkelung des moralischen Empfindens, das nur eine Ethik des Endlichen vorlegt, gegründet auf Vertrag und Konvention. Aber diese Ethik – insofern sie eine solche ist – antwortet nicht auf die tieferen Bestrebungen des Menschen. Der heilige Augustinus definiert eine Ethik des Endlichen und des Möglichen als Ethik des Unglücklichseins. Indem er den weisen Ratschlag von Terenz erläutert („Weil es dir nicht möglich ist, das zu verwirklichen, was du willst, wünsche dir das, was du vermagst“[25]), stellt der Bischof von Hippo die Beobachtung an, daß „niemand leugnen kann, daß diese Worte sehr weise sind, aber auch nicht abstreiten kann, daß sie ein Ratschlag sind, der einem Unglücklichen gegeben ist, damit er nicht noch unglücklicher sei.“[26] Um das moralische Empfinden wiederzuentdecken und das menschliche Gewissen zu schützen, muß die Kirche nach meinem Urteil den Mut haben, die „christliche Differenz“ zu verkünden, die „Transzendenz des Evangeliums“[27], und eine Ethik des Unendlichen vorzulegen.
6. Die Ethik des Unendlichen bekräftigt zuallererst das Jemand Gottes, ohne es auf das Maß des Menschen zurückzuführen, das heißt, ohne es zurückzuführen auf irgend etwas, das gedacht, angedeutet, in der Größe herausgestellt oder in seiner Kleinheit betont werden kann gemäß der Art der verschiedenen Formen des Denkens und der verschiedenen Ausgangspunkte. Für den christlichen Glauben bleibt Gott immer „größer als der Mensch“.[28]
Die einzige Schwäche Gottes und in Gott, die akzeptiert und gerechtfertigt werden kann, ist diejenige seiner Liebe zum Menschen und seines Respekts vor der menschlichen Freiheit. Die Offenbarung seiner Natur im brennenden Dornbusch als eines Gottes, der jener ist, der ist[29], der sich als Grundlage einer „starken“ Metaphysik eignet – des ontologischen Begriffs „stark“ –, wird nicht in Frage gestellt durch das Bekenntnis des johanneischen Glaubens als eines Gottes, der die Liebe ist.[30] Die Allmacht des christlichen Gottes, des Vaters Jesu Christi, ist gewiß nicht die Allmacht des absoluten Geistes nach Hegel. Dieser letzte identifiziert sich mit der universalen Vernunft, welche sich der Völker und Individuen als einfacher Instrumente bedient, um ihre verborgenen Ziele zu erreichen. Die Völker und die einzelnen sind dazu bestimmt, zugrunde zu gehen und Opfer für eben diesen ihren Fortschritt zu werden, denn obwohl sie vergehen, bleibt die Vernunft! Die Allmacht des christlichen Gottes wird geopfert und bemessen von der Liebe, sie hat sich im Gekreuzigten offenbart und zeigt als solche die Grenzen jeder falschen Religiosität an.
Das Ereignis des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus verpflichtet einerseits dazu, die dialektische Vernunft aufzugeben, welche das Zeitalter der Moderne beherrscht hat, und andererseits eine neue Logik zu übernehmen, welche in stärkerem Ausmaß das Fragmentarische und Paradoxe der Realität respektiert. Diese neue Logik kann nicht vom Gedanken einer absoluten Transzendenz herkommen, welche sich der ganzen Welt bemächtigen will, noch vom Gedanken einer schwachen Transzendenz, die das Andersseins auf eine Metapher reduziert, sondern sie kommt aus dem Bereich des Glaubens. Nur in diesem Umfeld kann man von einem Gott sprechen, der nicht allzu fern ist in seiner Transzendenz und nicht allzu empfindungslos in seiner Vollkommenheit, der auch nicht überflüssig und nutzlos geworden ist angesichts der menschlichen Macht, der Technik, die auf ihre eigene göttliche Allmacht vertraut; sondern man kann sprechen von einem Gott des Lebens im Tode, der Stärke in der Schwachheit, der Weisheit in der Torheit und des Ganzen im Bruchstückhaften.
7. An zweiter Stelle wahrt die Ethik des Unendlichen das Jemand des Menschen, denn sie legt davon die Konzeption des Bildes Gottes vor. Das Bild Gottes bekräftigt, daß der Mensch Mensch gegenüber Gott ist. Der Mensch bedarf des Blicks zu einem anderen, um wahrhaft er selber zu sein, und dieser andere kann für den biblischen Autor nur Gott sein. Der Mensch ist nicht das Bild seiner selbst, sondern das eines Anderen, den er nicht festzuhalten vermag und der ihm stets entflieht, denn Gott hat aus gutem Grund kein Bild, sondern einen Namen und eine Geschichte.
Wenn der Mensch das Bild seiner selbst ist, die Fotokopie seiner selbst durch die Technik des Klonens, dann geschieht nichts anderes, als daß eine Geschöpflichkeit zu einer anderen Geschöpflichkeit hinzuaddiert wird, eine Schwachheit zu einer anderen Schwachheit, eine Verfallenheit zum Tode zu einer anderen Verfallenheit zum Tod. Wenn der Mensch jedoch das Bild Gottes ist, dann fügt er all seiner Schwachheit die Stärke hinzu, seiner Geschichte die Ewigkeit, seiner Sterblichkeit und Niedrigkeit die Unsterblichkeit und die göttliche Unvergänglichkeit.
In besonderer Weise macht die personale Dimension des Abbildes die theoretische und praktische Grundlage für das Konzept der Würde des Menschen aus und konzentriert das Fundament der „Humanität“ des Menschen nicht in der „Rationalität“, sondern eben in der „Würde“. Die Kultur und Philosophie des Okzidents haben die Grenzen der menschlichen Würde innerhalb jener sehr engen der Rationalität gezogen, und sie wurden in den Mittelpunkt der Welt gestellt, wobei willkürlich festgelegt wurde, daß menschlich und universal allein das Rationale ist, und das Rationale mit dem Okzidentalen identifiziert wurde. Der Fehlschlag der Allmacht der Vernunft und deren furchtbare Mißerfolge auf den Gebieten der Politik, des sozialen Lebens und des sittlichen Fortschritts der Menschheit haben die theologische Reflexion dazu veranlaßt, die christliche Anthropologie wieder auf die Kategorie der Würde des Menschen zu zentrieren, welche ihr letztes Fundament im Abbild Gottes findet. Die Idee der Würde des Menschen ist eine universalere Kategorie als jene seiner Rationalität, denn sie ist offen für Werte, die nicht allein die rationalen sind, und sie ist vor allem offen für die vielfachen Rationalitäten, welche nicht allein jene der okzidentalen Philosophie sind. Der christliche Glaube verbindet dieses Konzept der Würde des Menschen mit Gott selber und deshalb mit dem Transzendenten, das zur selben Zeit oberhalb und auf dem Grund der menschlichen Werte ist. Das Menschliche als solches ist viel umfassender als das Rationale als solches, und das Christentum befindet sich an der Wurzel des Menschlichen, nicht des Rationalen, denn alles, was wirklich menschlich ist, ist christlich, und alles, was wirklich christlich ist, ist menschlich.[31]
Die personale Dimension des Abbildes trägt wirksam zur Verteidigung der Menschlichkeit des Menschen bei. Der Feind, gegen den es heute den Kampf der Kultur zu bestreiten gilt, ist nicht so sehr der Atheismus und daher das Problem des Nicht-Gottes, sondern nun jenes noch grundlegendere der Menschlichkeit des Menschen und von daher das Problem des Nicht-Menschen. Die Kirche findet sich heute in der Notwendigkeit, den Menschen zu verteidigen, um Gott zu verteidigen, während sie zuerst Gott verteidigte, um fähig zu sein, den Menschen zu verteidigen. Das, was von Seiten eines radikalen Biozentrismus der Kultur und von einer Mentalität der Wissenschaft ohne Gewissen dem Risiko ausgesetzt wird, ist eigentlich die Menschlichkeit des Menschen, jenes etwas, das nicht auf ein einfaches biologisches Material reduziert werden kann. Die Naturwissenschaft, der heute die Aufgabe gestellt ist, jedes menschliche Problem zu lösen, verfügt, indem sie sich vom Glauben und der Religion entfernt, über ein „reduziertes“ Konzept des Lebens, das im bloßen und einfachen biologischen Leben besteht, ohne einen anderen Sinn oder eine andere Bedeutung, die hinausgehen würde über die reine und einfache Funktionalität der menschlichen Organe. Der Mensch ist auf die erste Materie reduziert, auf eine überaus bedeutende Erstmaterie, wie Heidegger bereits 1951 schrieb. Die Individualität des personalen Lebens ist verdünnt in der Artbestimmtheit des biologischen Lebens, in der rein biologischen Materie, in der organischen Funktionalität der „getrennten Bestandteile“ des Menschen. Das menschliche Leben ist zum biologischen Material geworden, eine Ersatzmaterie, eine Rücklage für die Spendung von Organen. Wenn der Mensch auf ein Produkt der Biologie reduziert wird, können ihn alle manipulieren, und er ist nicht mehr unverletzlich, während er, wenn er eine Person ist, ein Geheimnis bleibt, die alle in ihrer Transzendenz respektieren müssen.
8. An dritter Stelle schützt die Ethik des Unendlichen das Was der Welt, da sie sich auf die Heilige Schrift beruft, welche besagt, daß „Gott am siebenten Tag die Arbeit, die er gemacht hatte, zu Ende führte“ (Gen 2,2), und die unterstreicht, daß die Welt, die aus seinen Händen und aus seinem Herzen hervorgegangen war, vollendet war, wie ebendiese Zahl 7 anzeigt, die verwendet wurde, um die Zeit des Schöpfungswerkes und seine relative Vollkommenheit zu bekräftigen. Der eitle Mensch setzt dieser Schöpfung des „siebenten Tages“ eine zweite Schöpfung des achten Tages entgegen, in der Überzeugung und Illusion, daß es mit dem Rückgriff auf genetische Manipulationen, welche die Natur verändern und die Zeiten genetischer Mutationen verkürzen, gelingen werde, eine andere, viel vollkommenere Welt herzustellen. Er ist nur ein kleiner Gott, der nach Art eines Zauberlehrlings schafft.
Während für Wissenschaftler wie P. Davies die Welt keine Dimension des Mysteriums, des Heiligen, des Unerkennbaren mehr besitzt und – wenn man tatsächlich immer noch eine Rolle für Gott in der Welt zu erhalten sucht – die Naturwissenschaft einen viel sichereren Weg als den von der Religion bereitgestellten anbieten will, um zu Gott zu kommen[32], erinnert sich die Ethik des Unendlichen daran, daß die Welt das Werk Gottes ist, daß sie „Schöpfung“ ist und daß die Natur die „Mutter“ Natur ist, die eifersüchtige Wächterin der göttlichen Transzendenz und der unverletzlichen Gesetze des Lebens und des Todes. Dieses ist folglich nicht nur das Universum oder die Universen, die unbegrenzten Welten, die die Wissenschaft entdecken und beherrschen soll, sondern jenes „Wo“ des Heilshandelns Gottes.
Die Säkularisierung der Welt hat ein fortschreitendes Verschwinden der Zukunft ihrer unmittelbaren Perspektive hervorgerufen. Die Beraubung der transzendenten Dimension und der überweltlichen Verankerung hat die Dinge um einen globalen und dauerhaften Sinn gebracht und von der Natur ihre universale Normativität weggenommen. Der Fortschritt der Technik hat die Ungewißheiten nicht hinweggenommen, sondern verschärft; er hat die Gründe für die existentielle Beklemmung nicht ausgemerzt, sondern vervielfacht. Heute lautet die Frage nicht mehr: „Was können wir mit der Technik tun?“, sondern: „Was kann die Technik uns antun?“ „Der Horizont des Verständnisses ist nicht mehr die Natur in ihrer Stabilität und Unverletzlichkeit, und auch nicht die Geschichte ..., sondern die Technik, die einen interpretativen Raum auftut, der sich in definitiver Weise losgelöst hat vom Horizont der Natur wie von jenem der Geschichte.“[33]
Je mehr die menschliche Geschichte zur Geschichte des Fortschritts und der Entwicklung erklärt wurde, um so mehr ist sie eine Geschichte des Elends und der Angst geworden. Der bekannte „Engel der Geschichte“ von W. Benjamin erblickt dort eine Wolke von Schutt, wo die utopische Vorstellung bis jetzt Entwicklung und Fortschritt gesehen hat.[34] Im Lauf des 20. Jahrhunderts haben Geschehnisse von einer unerhörten Grausamkeit die Überzeugung erschüttert, ein wahrer sittlicher Fortschritt sei möglich. Die technisierte Wissenschaft hat einerseits enorme Fortschritte im Kampf gegen die Infektionskrankheiten und in der Aufgeschlossenheit für humanere Lebensbedingungen zustandegebracht, aber die Bedrohung von Kriegen oder nuklearen und chemischen Zwischenfällen löscht die Hoffnung aus, das Heil in der Macht der Technologie zu finden.
Mit der Erfindung der Atombombe hat der Mensch eine niemals zuvor besessene Fähigkeit der Selbstvernichtung erworben, die er nicht aufhören wird, weiterhin zu besitzen. Die nuklearen Waffen können zwar vernichtet, aber in ihrer Erfindung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es ist tragischerweise von Bedeutung, daß die Entwicklung des Fortschritts und der Technik die Welt nicht vom moralischen Gesichtspunkt aus zu verbessern sucht, sondern sie nur vom Gesichtspunkt des materiellen Wohlergehens aus zu bereichern strebt. Die erwähnte Entdeckung der Karte des Genoms, übrigens von einigen Skeptikern auf eine einfache Zusammenfassung nach Art eines Telefonverzeichnisses reduziert, ist von der tonangebenden internationalen Presse in den ökonomisch-finanziellen Bereich verbannt worden. Es scheint daher, daß das letzte Schicksal des Menschen nicht so sehr von der Verbesserung seiner moralischen und geistigen Bedingungen abhängt, von den möglichen Antworten auf das Problem der Geburt, des Todes, des Leidens und des Glücks, sondern von der Notierung an der Börse jener pharmazeutischen Industrien, welche die Beschreibung der menschlichen Gene und Chromosomen fördern!
Letztendlich hängt alles davon ab, wie sich der Mensch gegenüber der Natur positioniert. Wenn der Mensch eine utilitaristische Einstellung besitzt und, statt sich mit der Natur zu verbünden, sich von ihr trennt, wird diese reduziert auf ein Objekt, das in seine Hände gelegt ist, und wird nie mehr auf eine menschliche Ebene gehoben. Wenn die Natur ein Besitz des Menschen ist, machen sich Wissenschaft und Technik die Überlegenheit des menschlichen Intellekts zunutze, um Mittel und Wege zu finden, durch welche der Mensch den größtmöglichen Profit aus ihrem Gebrauch ziehen kann. Wenn der Mensch hingegen eine persönliche und verantwortliche Einstellung gegenüber der Natur besitzt, kann er seine Identität nicht im Gegensatz zu ihr finden, sondern in der Verbundenheit mit ihr. Die Natur muß dahin zurückkehren, Mutter zu sein, wie das auch von eben dieser volkstümlichen Formulierung „Mutter Natur“ ausgedrückt wird und wie sie auch von der Enzyklika Evangelium vitae Johannes Pauls II. genannt wird.[35] Wenn die Natur nicht mehr Mutter ist und wenn in ihr der Bezug zu Gott ausgeschlossen wird, dann überrascht es nicht, daß der Sinn aller Dinge in der Tiefe entstellt wird und sie zu einem einfachen Material wird, das offen ist für alle Manipulationen des Menschen, vor allem für jene, welche seine Macht sichern.
9. Aus dieser kurzen Analyse von Licht und Schatten der gegenwärtigen kulturellen Periode wird klar ersichtlich, wie dringend und geboten heute die Aufgabe von Theologie und Kirche ist, die Gewissen zu erleuchten und Wege erfüllter Humanisierung zu fördern. Diese Wege gehen notwendigerweise durch eine erneuerte Verkündigung des christlichen Paradoxons hindurch. So wie die zehn Worte „Gott sprach“[36] die Welt erschaffen und offenbart haben, daß am Ursprung der Geschichte ein persönlicher Gott steht, ebenso halten die auf ihn bezogenen zehn Gebote eben diese Welt aufrecht, denn sie bezeugen die Gegenwart dieses persönlichen Gottes in der Geschichte. Darüber hinaus, daß sie den Rand der Straße anzeigen, die der Mensch gehen soll, um eine Art von Leitplanke für das menschliche Gewissen zu sein[37], machen sie die Grundlage einer Ethik des Unendlichen aus, die auch eine Ethik des antwortenden Vernehmens und der Verantwortlichkeit ist. Diese bezeugen, daß es bis dahin immer noch möglich ist, das Echo des Wortes Gottes im Innersten eines jeden menschlichen Gewissens zu vernehmen, wo es Gründe der Hoffnung gibt für eine Rettung der Humanität.
[1] Vgl. M. Heidegger, La questione della tecnica, in: Ders., Saggi e discorsi, Mursia, Milano 1976, 5–27; Ders., Ormai solo un dio ci può salvare, Guanda, Parma 1987; „Nur ein Gott kann uns retten“. Gespräch mit Martin Heidegger am 23. September 1966, in: Der Spiegel, 23/1976, 193–219. Zu diesem Thema siehe neben anderen Untersuchungen in besonderer Weise M. Cacciari, Salvezza che cade. Saggio sulla questione della tecnica in Heidegger, in: M. Cacciari/M. Donà, Arte, tragedia, tecnica, Raffaelo Cortina, Milano, 3–65.
[2] Vgl. U. Galimberti, Nessun Dio ci puó salvare, in: Micromega 2 (2000) 187–198. Siehe die Ausführungen über das Ziel der Technik und das Schicksal des Menschen, in: Ders., Psiche e Techne. L’uomo nell’età della tecnica, Feltrinelli, Milano 1999.
[3] U. Galimberti, Pschiche e Techne. L’uomo nell’età della tecnica, 60.
[4] Ebd., 198.
[5] Ebd., 255.
[6] Ebd., 498.
[7] CEI (= Conferenza Episcopale Italiana), Comunicare il Vangelo in un mundo che cambia, 41.
[8] Vgl. E. Borghi/F. Buzzi, La coscienza di essere umani. Percorsi biblici e filosofici per un agire etico, Ancora, Milano 2001.
[9] Für eine überblicksmäßige Darstellung des Begriffs „Gewissen“ in der Geschichte des Abendlandes siehe J. Römelt, La coscienza. Un conflitto delle interpretazioni, Editiones Academiae Alphonsianae, Roma 2001.
[10] Vgl. 1 Tim 6,16.
[11] 2. Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“, Nr. 2.
[12] Diese Feststellung bedarf der Ergänzung durch den Verweis auf die Erklärung “Dominus Iesus” der Kongregation für die Glaubenslehre vom 6. August 2000, in der die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche herausgestellt wird.
[13] Vgl. I. Sanna, L’antropologia e l’indebolimento della concezione di Dio, in: Ders., L’antropologia cristiana tra modernità e postmodernità, Queriniana, Breschia 2001, 253–335.
[14] Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, Nr. 24,3.
[15] Vgl. M. Gauchet, Il disincanto del mondo. Una storia politica della religione, 1985, Einaudi, Torino 1992.
[16] Vgl. Offb 13,18.
[17] Vgl. I. Sanna, L’antropologia e l’indebolimento della concezione dell’uomo, in: Ders., L’antropologia cristiana tra modernià e postmodernità, a.a.O., 336–383.
[18] Für Hildegard von Bingen liefert die Erde die Materie für das Werk Gottes am Menschen, und der irdische Mensch ist seinerseits die Materie für die Menschheit des Sohnes Gottes: Hildegard von Bingen, Liber vitae meritorum, 180 (J.B. Pitra, Analecta Sanctae Hildegardis, Opera 8 Spicilegio Solesmensi Parata, Farnborough 19662, 147).
[19] Der bekannte Vertreter der angelsächsischen Bioethik Peter Singer behauptet in seinem Werk Ripensare la vita. La vecchia morale non serve più, Il Saggiatore, Milano 1996, daß die alte Moral nicht mehr dienlich ist, um die wesentlichen Themen der Definition des Todes, der Organtransplantation, der Grenzen für die Durchführung einer Abtreibung und für die künstliche Befruchtung, der Euthanasie und der Rechte von Tieren aufzugreifen. Er formuliert fünf alte Geboten neu, um damit eine neue Einstellung gegenüber dem Leben und dem Tod anzuzeigen. Vgl. auch Hartmut Kuhlmann im Gespräch mit Peter Singer, „Die alte Ethik bröckelt“, in: Universitas 53 (1998) 665–680.
[20] E. Drewermann, Sull’immortalità degli animali, Neri Pozza, Vicenza 1997; dt.: E. Drewermann, Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die leidende Kreatur, Walter-Verlag, Olten 1990.
[21] Vgl. R. Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“, Klett-Cotta, Stuttgart 1996. Ein trauriges Beispiel dafür, wie die Vorherrschaft der instrumentellen Vernunft und des Primats der Technik den transzendenten Sinn des Menschen verarmt haben, indem sie ihn auf eine Materie und eine Sache reduzieren, ist die moderne „Entsorgung“ des menschlichen Leichnams, der wie eine Art Abfall angesehen wird. Dieser muß in der Tat in rationeller Weise mit der Verbrennung und Eliminierung der Asche beseitigt werden. Die Organe des Verstorbenen können wiedereingesetzt oder „rezykliert“ werden, und was vom Leichnam übrigbleibt, kann verbrannt oder „verarbeitet“ werden.
[22] Vgl. M. Wieviorka (Hg.), Une societé fragmentée? Le multiculturalism en débat, La Découverte, Paris 1997 ; A. Tourraine, Pourrons-nous vivre ensemble? Ègaux et différents, Fayard, Paris 1997.
[23] Vgl. C. Galli, Spazi politici. L’età moderna e l’età globale, Il Mulino, Bologna 2001.
[24] Vgl. Ph. Breton, L’utopia della comunicazione: il mito del villaggio planetario, Telecom Italia-Utet, Torino 1995; Z. Bauman, La solitudine del cittadino globale, Feltrinelli, Milano 2000; Ders., Voglia di comunità, Laterza, Roma-Bari 2001. Zur ethischen Bewertung der Globalisierung siehe Forum: Globalizzazione. Una sfida all’etica e alla politica, in: Rivista di Teologia Morale 127 (2000) 319–359.
[25] „Quoniam non potest id fieri quod vis, Id velis quod possis.“ – So das wörtliche Zitat bei Augustinus, De Trinitate, XIII, 7 (in: PL 42, 1021) aus Terentius, In Andreia, II, 1, 5–6. In der kritischen Edition von P. Terenti Afri Comoediae, ed. R. Kauer/W. M. Lindsay, Oxford 1958, Z. 305–306, heißt es: „quaeso edepol, Charine, quoniam non potest id fieri quod vis, id velis quod possit.“
[26] „Commode hoc dictum esse, quis negat? Sed consilium est datum misero, ne esset miserior.“ – Augustinus, De Trinitate, XIII, 7, in: PL 42, 1022.
[27] Vgl. CEI (= Conferenza Episcopale Italiana), Comunicare il Vangelo in un mundo che cambia, 35.
[28] Vgl. Ijob 33,12.
[29] Vgl. Ex 3,14.
[30] Vgl. 1 Joh 4,8.16.
[31] Zur Entwicklung des Konzepts der Würde vgl. C. Taylor, Multiculturalismo. La politica del riconoscimento, Anabasi, Milano 1993, 57–58.
[32] P. Davies, Dio e la nuova fisica, Mondadori, Milano 1993, 10.
[33] Vgl. U. Galimberti, Psciche e techne. L’uomo nell’età della tecnica, a.a.O., 46.
[34] „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund ist offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewandt. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ – W. Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, These IX, in: ders., Illuminationen, Frankfurt/M. 1977, 251–262, hier 255.
[35] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, 25. März 1995, Nr. 22.
[36] Vgl. Gen 1,1–2,4a.
[37] Vgl. D. Tettamanzi, I comandamenti, Mondadori, Milano 2001.