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Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses
zum Thema „Ein Geschenk für das Leben. Überlegungen zur Organspende“ (7. November 2008)

Benedikt XVI.

Hinweis/Quelle: An die Teilnehmer des internationalen Kongresses zum Thema „Ein Geschenk für das Leben. Überlegungen zur Organspende“, veranstaltet von der Päpstlichen Akademie für das Leben am 07.11.2008 Die deutsche Version dieser Ansprache wurde von Prof. Dr. theol. habil. Josef Spindelböck auf der Grundlage einer bereits bestehenden Textfassung von Claudia Reimüller (in: Die Tagespost, 11.11.2008, S.7), anhand des italienischen Originals erstellt. Irrtum vorbehalten.

Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Die Organspende ist eine besondere Form des Zeugnisses der Nächstenliebe. In einer Zeit wie der unseren, die oft durch verschiedene Formen des Egoismus gekennzeichnet ist, wird es immer dringender zu verstehen, wie entscheidend es für eine richtige Auffassung des Lebens ist, in die Logik der Unentgeltlichkeit einzutreten. Tatsächlich gibt es eine Verantwortung der Liebe und der Barmherzigkeit, die dazu verpflichtet, das eigene Leben zu einer Gabe für die anderen zu machen, wenn man sich wahrhaft selbst verwirklichen will. Wie der Herr Jesus uns gelehrt hat, wird nur derjenige sein Leben retten können, der es hingibt (vgl. Lk 9, 24).

Ich begrüße alle hier Anwesenden, besonders Senator Maurizio Sacconi, den Minister für Arbeit, Gesundheit und Sozialpolitik, und danke Erzbischof Rino Fisichella, dem Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben, für die Worte, die er an mich gerichtet hat, um die tiefe Bedeutung dieser Begegnung darzustellen und eine Synthese der Kongressarbeiten vorzulegen. Gemeinsam mit ihm danke ich auch dem Präsidenten der „International Federation of Catholic Medical Associations“ und dem Direktor des „Centro Nazionale Trapianti“ und möchte betonen, dass ich den Wert der Zusammenarbeit dieser Einrichtungen in einem Bereich wie der Organtransplantation schätze, die, meine verehrten Damen und Herren, Gegenstand Ihrer Studien- und Diskussionstage gewesen ist.

Die Geschichte der Medizin zeigt deutlich die großen Fortschritte, die erreicht werden konnten, um einer jeden Person, die leidet, ein immer würdigeres Leben zu ermöglichen. Gewebe- und Organtransplantationen stellen eine große Errungenschaft der medizinischen Wissenschaft dar und sind sicher ein Zeichen der Hoffnung für so viele Menschen, die sich in schwerwiegenden und manchmal extremen klinischen Situationen befinden. Wenn unser Blick sich auf die ganze Welt ausweitet, können leicht die so zahlreichen und komplexen Fälle ausgemacht werden, in denen dank der Technik der Organtransplantation viele Menschen hochgradig kritische Phasen überwunden haben und ihnen die Freude zu leben wieder geschenkt worden ist. Das hätte niemals geschehen können, wenn das Bemühen der Ärzte und die Kompetenz der Forscher nicht auf die Großherzigkeit und den Altruismus derjenigen hätten zählen können, die ihre Organe gespendet haben. Das Problem der Verfügbarkeit von lebenswichtigen Organen für die Transplantation ist jedoch leider nicht theoretisch, sondern auf dramatische Weise praktisch; es zeigt sich in der langen Warteliste vieler kranker Menschen, deren einzige Überlebensmöglichkeit mit jenen wenigen Angeboten verbunden ist, die dem objektiven Bedarf nicht entsprechen.

Vor allem im heutigen Kontext ist es von Nutzen, neuerlich über diese Errungenschaft der Wissenschaft nachzudenken, damit die anwachsende Nachfrage nach Transplantationen die ethischen Prinzipien nicht zerstört, die ihre Grundlage bilden. Wie ich in meiner ersten Enzyklika gesagt habe, kann der Leib niemals nur als bloßes Objekt angesehen werden (vgl. Deus caritas est, 5); die Logik des Marktes würde sonst die Oberhand gewinnen. Der Leib jeder Person stellt zusammen mit dem Geist, der jedem auf einzigartige Weise geschenkt ist, eine untrennbare Einheit dar, in die das Bild Gottes selbst eingeprägt ist. Von dieser Dimension abzusehen führt zu Perspektiven, die nicht in der Lage sind, die Ganzheit des Geheimnisses, das in jedem gegenwärtig ist, zu erfassen. Es ist daher notwendig, dass die Achtung für die Würde der Person sowie der Schutz ihrer persönlichen Identität an die erste Stelle gesetzt wird. Betreffend die Technik der Organtransplantation bedeutet dies, dass man nur spenden kann, wenn niemals eine ernsthafte Gefahr für die eigene Gesundheit und die eigene Identität besteht und nur aus einem sittlich gültigen und in einem rechten Verhältnis stehenden Motiv. Die mögliche Logik eines Handels mit Organen sowie auch die Anwendung diskriminierender oder utilitaristischer Kriterien stünden derart im Widerstreit mit der Bedeutung, die mit dieser Spende verbunden ist, dass sie sich schon von vornherein als sittlich unrechtmäßige Handlungen disqualifizieren würden. Die Missbräuche bei Transplantationen und der Organhandel, der häufig unschuldige Menschen wie Kinder betrifft, müssen von der Gemeinschaft der Wissenschaftler und Mediziner sofort und geeint als unannehmbare Praktiken abgelehnt werden. Sie sind daher entschieden als verabscheuungswürdig zu verurteilen. Dasselbe ethische Prinzip gilt, wenn man zur Schaffung und Vernichtung menschlicher Embryonen gelangen will, die zu einem therapeutischen Zweck bestimmt sind. Schon die Vorstellung an sich, den Embryo als „therapeutisches Material“ zu betrachten, widerspricht den kulturellen, zivilen und ethischen Grundlagen, auf welche sich die Würde der Person stützt.

Es kommt häufig vor, dass die Technik der Organtransplantation durch eine Geste totaler Unentgeltlichkeit seitens der Verwandten von Patienten ermöglicht wird, deren Tod mit Sicherheit festgestellt worden ist. In diesen Fällen ist die aufgeklärte Zustimmung [„informed consent“] die Vorbedingung der Freiheit, damit die Transplantation die Charakteristik einer Gabe hat und nicht als erzwungene Handlung oder als Akt der Ausnutzung interpretiert werden kann. Es ist jedoch nützlich daran zu erinnern, dass die einzelnen lebenswichtigen Organe nur ‚ex cadavere‘ entnommen werden dürfen [d.h. wenn der Mensch tot ist], der im übrigen seine einzigartige Würde behält, die zu respektieren ist. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren weitere Fortschritte in der Sicherheit der Todesfeststellung des Patienten gemacht. Es ist daher gut, wenn die erreichten Resultate die Zustimmung der ganzen wissenschaftlichen Gemeinschaft erhalten, um die Erforschung von Lösungen zu begünstigen, die allen Gewissheit vermitteln. In einem Bereich wie diesem darf nicht der geringste Verdacht auf Willkür gegeben sein, und wo noch keine Gewissheit erreicht ist, muss das Prinzip der Vorsicht walten. Es ist nützlich, dass die Fortschritte der Forschung und der interdisziplinären Reflexion in solcher Weise erfolgen, dass auch die öffentliche Meinung mit der immer transparenteren Wahrheit im Hinblick auf die anthropologischen, sozialen, ethischen und juridischen Implikationen der Praxis der Organverpflanzung konfrontiert wird. In diesen Fällen muss jedoch als Hauptkriterium immer die Achtung für das Leben des Spenders gelten, da die Entnahme von [lebenswichtigen] Organen nur angesichts des wirklichen Todes erlaubt ist (vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 476). Der Akt der Liebe, der durch die Gabe der eigenen lebenswichtigen Organe ausgedrückt wird, bleibt ein echtes Zeugnis der Nächstenliebe, die über den Tod hinaus zu sehen weiß, weil das Leben immer siegt. Der Empfänger sollte sich der Bedeutung dieser Geste wohl bewusst sein; er ist der Empfänger einer Gabe, die über den therapeutischen Nutzen hinausgeht. Noch bevor er ein Organ empfängt, ist es zuerst schon ein Zeugnis der Liebe, das eine ebenso großzügige Antwort hervorrufen sollte, um die Kultur der Gabe und der Unentgeltlichkeit zu fördern.

Der Königsweg, der zu befolgen ist, bis die Wissenschaft zur Entdeckung möglicher neuer und fortschrittlicherer Therapieformen gelangt, sollte die Bildung und Verbreitung einer Kultur der Solidarität sein, die sich allen öffnet und niemanden ausschließt. Eine Transplantationsmedizin, die einer Ethik der Gabe entspricht, erfordert seitens aller das Bemühen, jede mögliche Anstrengung in der Bildung und Information zu unternehmen, um die Gewissen immer mehr hinsichtlich einer Problematik zu sensibilisieren, von der das Leben so vieler Personen direkt betroffen ist. Es wird daher notwendig sein, Vorurteile und Missverständnisse zu beseitigen, Misstrauen und Ängste zu zerstreuen, um sie durch Gewissheiten und Garantien zu ersetzen und in allen ein zunehmend sich weiter ausbreitendes Bewusstsein des großen Geschenks des Lebens zuzulassen.

Mit diesen Gefühlen erbitte ich, während ich jedem wünsche, weiterhin mit der gebührenden Kompetenz und Professionalität der eigenen Aufgabe nachzugehen, Gottes Hilfe für die Arbeiten dieses Kongresses und erteile allen von Herzen meinen Segen.