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Spannungen und Spaltungen
Der Nuntius Donato Squicciarini nimmt Stellung zu aktuellen Kirchenprobleme (22. Januar 1998)

Donato Squicciarini

NEWS: Exzellenz, Erzbischof Schönborn wurde vom Papst zum Kardinal ernannt. Steht diese Geste in einem Zusammenhang mit der aktuellen Kirchenkrise?

Squicciarini: Der Papst hat mit dieser Ernennung seine besondere Liebe zu Österreich kundgetan. Er hat gesagt, Österreich sei berufen, die Seele Europas zu sein.

NEWS: Sind Sie als Vertreter des Papstes mit dem katholischen Österreich, wie es sich momentan darstellt, zufrieden?

Squicciarini: Als Vertreter des Papstes in einem Land zu sein ist immer eine Freude. Ich bin seit mehr als acht Jahren in Österreich. Trotz aller Probleme bin ich sehr gerne hier.

NEWS: Sie waren vorher jahrelang in Afrika. Dort hatten Sie wohl nicht solche Troubles.

Squicciarini: In den Missionsländem befindet sich die Kirche noch im Wachstum. Dort gibt es einen Zuwachs an Gläubigen und Priestern. Die Kirche in Österreich dagegen besitzt bereits gewachsene Strukturen. Man braucht keine neuen Diözesen mehr und keine neuen Priesterseminare. Gläubige in Österreich verhalten sich aber manchmal wie Kinder in Wohlstandsfamilien. Der Papst spricht daher immer wieder von einer erforderlichen neuen Evangelisierung.

NEWS: Herr Nuntius, was sagen Sie zu den innerkirchlichen Turbulenzen der letzten Jahre?

Squicciarini: Ich beurteile Österreich nicht nach einzelnen Fällen. Vielmehr besuche ich regelmäßig die Diözesen und stelle fest, daß eine tief verwurzelte katholische Substanz vorhanden ist. Viele Menschen haben aber den tiefen katholischen Glauben im Herzen verborgen – und sie tragen ihn nicht offen vor sich her.

NEWS: Diplomatische Umschreibung einer Kirchenkrise?

Squicciarini: Man braucht manchmal Mut, auch äußerlich als Christ in Erscheinung zu treten.

NEWS: Die christliche Substanz, von der Sie sprachen, ist aber gespalten.

Squicciarini: Spannungen und Spaltungen sind die Frucht jedes Lebens. Auch in Familien gibt es Spaltungen. Aber alles ist überwindbar.

NEWS: Auch die Causa Groer?

Squicciarini: Ich verfolge die Sache. Es liegt ein Gesuch des Abtes von Göttweig um Apostolische Visitation vor. Die Kongregation für Ordensleute wird sich damit befassen und einen Visitator schicken. Der wird alles prüfen und uns informieren, was tatsächlich geschehen ist.

NEWS: Wann wird dieser Visitator hier eintreffen?

Squicciarini: Das Gesuch wurde eingebracht. Jetzt prüft die Kongregation. Danach muß sie jemanden finden, der bereit ist, diese Aufgabe zu erfüllen. Wir warten auf Antwort.

NEWS: Wann?

Squicciarini: Das könnte bald sein.

NEWS: In Wochen? Monaten?

Squicciarini: Auch früher.

NEWS: Der Kardinal als Person kann ja nicht untersucht werden. Über ihn befindet nur der Papst – davon abgesehen sind die erhobenen Vorwürfe ja längst verjährt.

Squicciarini: Man kann, obwohl die Sache verjährt ist, den Fall aus anderer Sicht prüfen. Die Causa Groer kann man auch christlich sehen. In bestimmten Fällen tilgt nämlich eine Beichte alles. Die vom Abt beantragte Prüfung kann jedenfalls nicht nur eine einzige Person betreffen, sondern sie muß das Umfeld zu den anderen Personen erhellen. Im konkreten Fall sind die Untersuchungen extrem schwierig, weil man erst prüfen muß, was tatsächliche Wahrheit und was nur Frucht der Phantasie ist. Man muß auch bestimmte Neigungen prüfen. In Wien gibt es die berühmte Schule von Sigmund Freud, in der Sexualität als Schlüssel gewisser Vorkommnisse interpretiert wurde. Wir wissen nicht, inwieweit diesbezügliche Aspekte in den Fall hineinspielen. Ohne Bezug auf konkrete Personen weiß ich aus der priesterlichen Praxis, wie sehr gewisse Gesten verschieden interpretiert werden können.

NEWS: Sie meinen also, daß Groers Gesten möglicherweise falsch interpretiert wurden?

Squicciarini: Möglicherweise. Vielleicht sind sie aber auch in jenem von Sigmund Freud erforschten Umfeld zu suchen.

NEWS: Kann es gegen den Kardinal ein Gerichtsverfahren geben?

Squicciarini: Gericht bedeutet, daß ein Richter da ist, der alle Zeugen hören muß. Ich betone aber – und beziehe mich dabei auf das Gesuch des Abtes –, daß es bei dieser Visitation nicht nur um bestimmte Personen, sondern um die gesamte Situation geht. Diese Situation muß geprüft werden. Bestimmte Personen haben Behauptungen aufgestellt, und der Abt selbst hat gesagt, es gebe Behauptungen und Gegenbehauptungen. Man braucht also jemanden, der alles prüft.

NEWS: Groer selbst wird nicht geprüft?

Squicciarini: Ich habe gesagt, daß die gesamte Situation geprüft und beurteilt werden sollte.

NEWS: Aber keine Person?

Squicciarini: Ein Richter muß eine Kompetenz haben. Die exklusive Gerichtskompetenz über einen Kardinal hat nur der Papst. Visitationen haben generell die Aufgabe, komplexe Zustände zu prüfen.

NEWS: Geschossen wird also erst dann scharf, wenn das Ergebnis vorliegt?

Squicciarini: Nach Visitationen wird nicht geschossen. Ihr Zweck ist es, Menschen zu ermuntern, ihr Leben der Liebe Gottes entsprechend zu gestalten. Visitationen dürfen nicht zerstören, sie müssen vielmehr aufbauen.

NEWS: Also keine Strafe?

Squicciarini: Der Apostel Paulus verwendet die Begriffe aufbauen und abbauen. Aufbauen heißt, Menschen darin zu bestärken, noch besser nach dem Willen Gottes zu leben. Abbauen dagegen bedeutet Entmutigung und Zerstörung. Wenn wir Menschen noch bessere Christen sein wollen, müssen wir immer aufbauend sein. Das gilt für Eltern, Erzieher – für alle. Dies gilt aber auch für jede moralische Autorität – die Kirche ist eine solche.

NEWS: Noch einmal ganz konkret: Groer wird nicht geprüft?

Squicciarini: Der Visitator soll verschiedene Personen hören. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wer einen Nuntius als Richter betrachtet, hat falsche Vorstellungen von dieser Aufgabe. Und wer die Nuntiatur als Gericht betrachtet, der hat die falsche Adresse gewählt.

NEWS: Haben Sie selbst mit Groer gesprochen?

Squicciarini: Das habe ich am Anfang getan. Jetzt bin ich nicht mehr involviert – schon deshalb, um die Unabhängigkeit der Untersuchung zu wahren.

NEWS: Exzellenz, was sagen Sie zur Papst-Kritik des Altbischofs Stecher?

Squicciarini: Ohne bestimmte Personen anzusprechen, sage ich, daß der Papst eine beispielhafte Person ist, der seine Aufgaben bis zur völligen Hingabe erfüllt.

NEWS: Sie teilen also die Stecher-Kritik nicht?

Squicciarini: Ich spreche positiv: lch sehe, was der Papst getan hat und was er noch tun wird. Seine Reise nach Kuba ist der beste Beweis dieser beispiellosen Hingabe. Die Geschichte wird beweisen, was dieser Papst tut. Persönlich weiß ich, daß der Papst immer wieder vom Dienst an der Kirche spricht und um die Gebete der Gläubigen bittet. Er braucht diese Hilfe, um noch mehr geistige Kraft zu besitzen.

NEWS: Der Stecher-Brief war also kontraproduktiv?

Squicciarini: Zumindest kann man sagen, daß solche Briefe den Papst nicht unterstützen. Mehr möchte ich aber dazu nicht sagen.

NEWS: Dieser Brief hat in Österreich eine Welle der Emotion ausgelöst.

Squicciarini: Sie beschreiben das sehr poetisch. Sie wissen, daß Wellen kommen und gehen. Das war nicht die erste Welle in der Kirche. Nach ihr kommen andere Wellen, und schon können die Probleme der Kirche in anderem Licht gesehen werden.

NEWS: Sie wollen damit sagen: Aufregung ist gut und schön – Kirche bleibt aber Kirche?

Squicciarini: Ja. In diesem emotionellen Moment muß ich an das Wort Christi erinnern: Seid gewiß, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeiten.

NEWS: Gilt das auch für das Kirchenvolks-Begehren?

Squicciarini: Christus ist als Gott überall und in jedem. Man wird nach Vertiefung in das Evangehum, in die Lehren der Kirchenväter und nach den Erkenntnissen des II. Vatikanischen Konzils sicherlich zu anderen Erkenntnissen kommen. Um moderne Christen zu sein, muß man die Lehre des Papstes und der Bischöfe in der Welt beachten. Es geht nicht um eine begrenzte Sicht, sondern um den Weltblick, wie ihn der Papst hat. Ich muntere pessimistische Christen auf, nicht an begrenze Situationen zu denken, sondern einen Blick in die Weltkirche zu werfen. Dann werden auch die Vertreter des Kirchenvolks-Begehrens begeistert feststellen, wie diese Kirche wächst und wächst.

NEWS: Die 500.000 Unterzeichner des Kirchenvolks-Begehrens sind ja auch gläubige Christen.

Squicciarini: Die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils sind offenbar nicht genügend bekannt. Dort wurden bereits Antworten auf die heute gestellten Fragen gegeben. Diese Dokumente sind Visionen für Problemlösungen.

NEWS: Kardinal Ratzinger gab Weisung auf Negierung des Kirchenvolks-Begehrens.

Squicciarini: Das war ein Dialog zwischen ihm und österreichischen Bischöfen. Jetzt sollen die Bischöfe mit den Gläubigen in den Dialog treten.

NEWS: Und was wollen Sie, Herr Erzbischof?

Squicciarini: Ich will einen gelassenen und sachlichen Dialog, aber keine emotional aufgeschaukelte Debatte. Das wollen auch die Bischöfe. Es wird daher im Oktober zu einem Delegiertentag kommen. Die Dialogbereitschaft der Bischöfe ist vorhanden. Ich bin selbstverständlich auch zu jedem Gespräch bereit.

INTERVIEW: ALFRED WORM