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Abtreibung und Strafe
(28. Januar 1999)

Andreas Laun

Der Aufruhr der Gefühle in der neuen Abtreibungs-Diskussion übertrifft die aufgeregte Gestimmtheit sogar in jener Zeit, in der die Fristenlösung eingeführt wurde. Argumente nützen dabei wenig, es scheint so sinnlos, wie wenn jemand einen Pflock ins Meer schlagen wollte. Gerade deswegen ist es wichtig, die gängigen Schlagworte und „Schlagsätze“ zu widerlegen. Einer davon lautet: „Helfen statt strafen“.

Es ist befremdend: Viele Frauen und Männer der Kirche haben sich gerade diese Formulierung zu eigen gemacht, die seinerzeit, in der Fristenlösungs-Debatte, ein Zentral-Satz der „anderen“ war: „Helfen statt strafen!“ Der Satz ist freundlich, und wer wäre nicht glücklich, der Bestrafung eines Menschen durch Hilfe vorzubeugen?

Was aber, wenn diese Hilfe nicht greift, was, wenn ganz andere Motive Frauen dazu verleiten, ihr Kind abzutreiben? Und was tun mit den Helfern und „Drängern“, bei denen es keine Notlage gibt? Außerdem wird im Kontext Abtreibung immer so getan, als ob die Forderung einer Bestrafung ein Zeichen für den schlechten, herzlosen Charakter dessen wäre, der sie fordert.

In anderen Bereichen fordert man Strafe und ist dabei nicht zimperlich: Strafen sollen eingeführt, sie sollen verschärft und verlängert werden, niemand hat Mitleid mit dem Täter oder sorgt sich um die Wirksamkeit der Strafe (mit der man im übrigen, sehr einseitig, immer nur die Verhinderung von Verbrechen meint).

Außerdem sollten alle, die sich beim Ruf nach „Hilfe statt Strafe!“ den „Strafrechtlern“ besonders überlegen fühlen, bedenken: Sie selbst fordern doch auch die Strafe für Abtreibung, nämlich ab dem 4. Monat. Warum eigentlich? Wie begründen sie dieses Gesetz? Sie müssen dann aber auch erklären, warum sie den Schutz der Strafe den ganz kleinen Kindern vorenthalten wollen, den anderen aber (und natürlich sich selbst in vielfacher Hinsicht!) sehr wohl gewähren. Eine solche Begründung fehlt!

Die Frage ist: Könnte es nicht sein, daß der Satz gilt: „Helfen auch durch Strafe“? „Helfen“ ist dabei in einem weiteren Sinn des Wortes gemeint: Es ist gut für die Gemeinschaft und alle (!) Beteiligten, wenn schwere Verstöße gegen das Recht auch tatsächlich bestraft werden. Warum ist das gut? Darauf ist zu antworten:

  • Erstens ist es gut und unverzichtbar für die Gemeinschaft, wenn wichtige Rechtsgüter unter dem Schutz des Gesetzes stehen. Dieser besteht aber eben in der viele potentielle Täter abschreckenden Sanktion. Natürlich wäre es töricht zu glauben, man könnte durch ein Strafgesetz irgendeine Art von Verbrechen ausrotten. Dennoch kann es an der Wirksamkeit von Strafgesetzen keinen Zweifel geben, und sie bewirken desto mehr, je mehr Menschen das zu schützende Rechtsgut anerkennen. Das bestätigen auch empirische Untersuchungen[1]
  • Zweitens besteht eine besonders wichtige Wirkung solcher Gesetze in der Bildung der Gewissen vieler Menschen. Denn ob man es will oder nicht, viele Menschen halten das, was nicht verboten oder nicht bestraft wird, für erlaubt. Wie erschreckend schnell sich durch ein Gesetz wie die Fristenlösung das Bewußtsein vieler verändert, zeigt die Entwicklung in Österreich: Es gehört längst zum guten Benehmen, bei Erzählungen auch über konkrete Abtreibungen keine Reaktion zu zeigen – außer der des „Verständnisses“ und der „Toleranz anderer Meinungen“! Man redet darüber wie über einen zwar nicht angenehmen, aber vernünftigerweise wahrgenommenen Arzttermin. Hingegen hält sogar ein Gesetz, das kaum mehr angewendet wird, das Unrechts-Bewußtsein aufrecht und würde verhindern, daß eine Reklame für Abtreibungs-Kliniken auf Broschüren des Ministeriums gedruckt wird (wie in Österreich geschehen). Übrigens ist die Bewußtseinsbildung auch der Hauptgrund der Kirche für ihre spezifische Strafe der Exkommunikation[2].
  • Drittens ist Strafe paradoxerweise sogar für die Bestraften eine Hilfe[3]! Wenn man von dem dunklen Begriff der „Höllenstrafe“ einmal absieht, enthält nach der großen abendländischen Tradition (etwa bei Thomas von Aquin nachzulesen) jede Strafe zwei Elemente: einerseits das Übel, das dem Täter zugefügt wird, und an das man beim Wort „Strafe“ zuerst zu denken pflegt, andererseits aber ein „Gut“, eine „Wohltat“, die ihm zuteil wird. Denn die Strafe hilft dem Täter, sein Unrecht einzusehen, sie ist Verbündete seines Gewissens, das durch sie bestätigt wird. Durch die Strafe läßt die Gesellschaft den Täter mit seinem Schuldbewußtsein nicht allein, sondern bringt ihm zu Bewußtsein, was er angerichtet hat. Gerade dadurch schafft sie die Voraussetzung für den Schuldigen, seine traurig-schuldhafte Vergangenheit zu bewältigen! Dazu kommt noch ein zweites Element: Durch die Strafe wird die Tat gesühnt. Das heißt aber: Der Täter hat Hoffnung, auf diese Weise in die Rechtsgemeinschaft zurückzukehren.

Offenbar wissen die Menschen in der Tiefe ihres Herzens sehr wohl um diese Zusammenhänge. Wie anders wäre es zu erklären, daß man auch Täter straft, die ihre Tat unmöglich nochmals begehen können? Etwa jenen Bomben-Bastler, der sich selbst die Arme weggesprengt hat und für immer ein Krüppel sein wird! Oder Kriegsverbrecher, die sowohl die neue politische Ordnung als auch ihr Alter für immer hindert, ähnliche Taten nochmals zu begehen. Übrigens zeigt auch die Erfahrung, daß Täter bei der Festnahme nicht selten erleichtert sind und selbst eine Strafe wollen. Auch Jesus läßt den „verlorenen Sohn“ in seinem Gleichnis um eine „Strafe“ (nämlich seine Herabsetzung von der Sohnwürde auf die Stellung eines Tagelöhners) bitten.

 

Auch wenn es sich somit zeigt, daß „Helfen auch durch Strafe“ einen tiefen Sinn hat, läßt sich daraus absolut nicht folgern, daß „die Kirche die Frauen bestrafen will“. Dies ist aus mehreren Gründen falsch, und wer es behauptet, macht sich einer Unterstellung schuldig:

 

 

  • Erstens klingt das so, als hätte die Kirche etwas gegen „die Frauen“ und wolle ihnen deswegen auf jeden Fall etwas antun. Wahr ist vielmehr: Strafgesetze richten sich niemals an ein bestimmtes Geschlecht, eine Rasse, einen Berufsgruppe oder sonst eine „Gruppe“ von Menschen, sondern immer nur an Täter, wer immer es auch sein mag.

 

 

  • Zweitens „will“ die Kirche nicht die Strafe, sondern einen umfassenden Schutz aller Menschen, auch der ganz Kleinen! Es geht nicht um „Strafe“, sondern um die Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes auf alle.
  • Drittens darf man das Wort „Strafe“ im Kontext der Abtreibung nicht mit dem Unterton der Empörung darüber versehen! Wer sich darüber erregt, daß jemand die Bestrafung der Abtreibung für angemessen ansieht, muß sich fragen lassen, wofür er Abtreibung eigentlich hält und warum ihn nicht auch die Bestrafung bei anderen Delikten zornig macht. Die Kirche hat Abtreibung auf dem Konzil ein „verabscheuungswürdiges Verbrechen“ genannt[4], und der Papst nimmt sogar das Wort „Mord“ in den Mund[5]. Darum fordert die Kirche den Staat auf, Abtreibung zu bestrafen – wie er ja auch andere Verbrechen bestraft –, und auch sie selbst bestraft jeden, der an einer Abtreibung mitwirkt, auf ihre Weise, nämlich durch Exkommunikation[6].

 


Die Gesetzgebung in vielen Ländern hat allerdings dazu geführt, daß sogar Vertreter der katholischen Kirche die Fristenlösung meinen „akzeptieren“ zu müssen, wie etwa Generalvikar H. Schüller (Wien): „Das gebieten die Spielregeln der Demokratie. Die Kirche kann nicht versuchen, außerparlamentarisch auszuhebeln, was nun einmal demokratisch zustande gekommen ist.“ Es brauche eine „Schutz- statt einer Strafdebatte.“

Abgesehen von der in diesen Aussagen enthaltenen verheerenden Unterwürfigkeit gegenüber staatlichen Gesetzen – die ungültig sind, wenn sie im Widerspruch zum Gesetz Gottes stehen! –, übersieht Schüller, daß sich Schutz- und Strafdebatte nicht trennen lassen. Das hat vor Jahren Kardinal König klargestellt: Ohne Strafbestimmungen „kann von einem Schutz des werdenden Lebens dann“ (= wenn die Fristenlösung eingeführt ist) „nicht mehr gesprochen werden“[7].

Natürlich, Strafe zu fordern, ist nicht die primäre Aufgabe der Kirche, und Gesetze sind nicht alles. Auch ist der erste Schutz der Brieftasche die eigene Aufmerksamkeit, der zweite die Anerkennung des Eigentums durch die Mehrzahl der Bürger. Und doch braucht sie, die Brieftasche, auch noch den dritten Schutz, den des Gesetzes nämlich! Daß dann immer noch Brieftaschen abhanden kommen und Überfälle geschehen, ist kein Argument gegen das Gesetz, dessen Abschaffung nur Diebe wünschen (solange nicht ihre eigene Börse betroffen ist). Eine Sache ist es, die Überzeugungs-Arbeit und die flankierenden Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen, eine andere, einen gesetzlichen Schutz abzulehnen.

Es läßt sich zeigen: Die Kirche hat in allen Ländern, in denen die Fristenlösung eingeführt werden sollte, gekämpft und sich dabei nicht gescheut, auch schwere Vorwürfe zu erheben:

  • In Österreich hat die Kirche ihre guten Beziehungen zur Regierung auf das Spiel gesetzt, um die Fristenlösung zu verhindern.
  • In Deutschland sprachen die Kardinäle Meissner und Wetter in Hinblick auf die Fristenlösung von einem „Gesetz der menschenmißachtenden atheistischen DDR“, und Kardinal Meissner fügt leidenschaftlich hinzu: „Niemand soll uns in Zukunft sagen dürfen: Warum habt ihr damals geschwiegen? Seien wir wachsam, daß nicht durch die Hintertür die sogenannte Fristenlösung in unser vereintes Deutschland einzieht: ‚dann wird es am Ende schlimmer als vorher‘ (Mt 12, 45), sagt der Herr“[8].
  • Die Schweizer Bischöfe erklärten 1977: Der Staat hat die Pflicht, das Leben zu schützen, und dies tut er durch soziale Gesetze, durch Hilfs-Angebote und auch durch strafrechtliche Bestimmungen, die unerläßlich sind. Dabei sind die Bischöfe überzeugt: Es ist die Pflicht aller Christen, diesen Standpunkt zu vertreten[9]. 1999 kämpft Bischof Koch (Basel) gegen die Fristenlösung und nennt sie den „denkbar schlechtesten Weg“[10].

Andere Bischöfe (in letzter Zeit die Bischöfe Spaniens und Portugals) haben dasselbe gesagt, und im Katechismus heißt es: „Als Folge der Achtung und des Schutzes, die man dem Ungeborenen vom Augenblick seiner Empfängnis an zusichern muß, muß das Gesetz die geeigneten Strafmaßnahmen für jede gewollte Verletzung seiner Rechte vorsehen“[11]. Ähnliche Aussagen finden sich in „Evangelium vitae“.

 

Daraus folgt: Nach katholischer Lehre hat der Staat die Pflicht, den noch nicht geborenen Menschen vom ersten Augenblick seiner Existenz an durch ein Strafgesetz zu schützen. Wer also unter anderem auch einen strafrechtlichen Schutz fordert und die Fristenlösung ablehnt, ist einfach katholisch und weder ein Extremist noch ein Rechtsradikaler. Daß diejenigen, die den katholischen Standpunkt vertreten, dennoch diffamiert werden, zeigt, wie groß der Abfall und wie groß die Verwirrung ist.

Das Ziel, die Fristenlösung zu Fall zu bringen, ist im Augenblick politisch nicht durchzusetzen, das ist wahr. Aber was heißt das schon! Auch das „Tausendjährige Reich“ ist untergegangen, der eiserne Vorhang ist gefallen – warum soll nicht jene große Umkehr möglich sein, die zur Abschaffung der Fristenlösung führen wird? Dann wird es zwar immer noch Abtreibungen geben wie viele andere Untaten auch, aber erstens weniger, und zweitens wird es wieder selbstverständlich sein, „daß in allen Ländern der Welt, die man die gesitteten nennt, die Gesetze der Menschen und der Religionen“ Abtreibungen verbieten (Joseph Roth -[12]! Der Übergang von Nicht-Anerkennung des Rechtes zu seiner Anerkennung begründet den Ehrentitel Rechtsstaat – für „gesittete Länder“.


[1] Vgl. Laun A., Abtreibung. In: Fragen der Moraltheologie heute. Wien 1992, 41ff.

[2] Evangelium vitae 62.

[3] Dieser Aspekt ergänzt die oben genannte Studie. Vgl. Laun A., Abtreibung. In: Fragen der Moraltheologie heute. Wien 1992, 38 ff.

[4] 2. Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes 51.

[5] Evangelium vitae 58.

[6] Wie und warum läßt sich in Evangelium vitae 62 nachlesen.

[7] In: Worte der Österreichischen Bischöfe 1. Wien 1974, 12.

[8] Vgl. Laun A., Abtreibung. In: Fragen der Moraltheologie heute. Wien 1992, 17.

[9] Vgl. Hirtenbrief der Schweizer Bischöfe zur Abstimmung über die Fristenlösung 1977.

[10] In: Kathpress 27.1.1999, 14.

[11] Katechismus der Katholischen Kirche 2273.

[12] Roth J., Gesammelte Werke Bd. 3. Köln 1991, 618.