www. St Josef.at
Die katholische Informationsseite der Gemeinschaft v. hl. Josef
Navigation

Gott der Vater
(30. November 1998)

Karl Josef Wallner

Hinweis/Quelle: Vortrag in der Reihe „Maria im Advent“ im Bischöflichen Sommerrefektorium St. Pölten (30. Nov. 1998). Der Autor dieses Beitrages, Pater Dr. Karl Wallner, ist Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Stift Heiligenkreuz.

1. Das Jahr des Vaters

Papst Johannes Paul II. hat am 1. Adventsonntag, 29. November 1998, das letzte der drei Vorbereitungsjahre hin zum Jahr 2000 eröffnet. In diesem neuen Jahr betrachten wir die erste göttliche Person, die wir im Glaubensbekenntnis den „Vater den allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ nennen. Gott war und ist für die Menschen aller Zeiten ein großes Geheimnis, ein Rätsel. Deshalb trägt Gott in den Religionen und Vorstellungen der Menschen viele Namen. Sie nennen ihn Zeus oder Juppiter, Allah oder Jehova; die Philosophen bezeichnen ihn als „den letzten Grund“ oder als „das höchste Gut“; für Platon ist dieser geheimnisvolle Gott ein ewiger „Nous“, Geist; für Plotin ist er „to hen“, das „schlechthin Eine“, für Aristoteles die reine materielose „Form“. Für die Österreicher ist Gott: „irgendetwas wird’s scho geben!“

Alle Religionen und Philosophien suchen ja, ob sie nicht etwas von dem geheimnisvollen Letzten, das allgemein Gott genannt wird, „ertasten und finden könnten“ (Apg 17,27). Wir Christen genießen nun das Privileg, im Glauben zu wissen, daß jener geheimnisvolle Gott „unser Vater“ ist. Täglich rufen wir Gott unter dem Namen „Vater“ an, wenn wir dasjenige Gebet beten, das Christus uns zu beten gelehrt hat. Das Vater-Unser ist mit Recht das Hauptgebet der Christenheit. Keine andere Religion wagt es, Gott mit einem so vertrauten und liebevollen Namen anzureden: „Unser Vater im Himmel.“

Aber woher wissen wir, daß Gott unser Vater ist? Die Antwort lautet: Allein durch die Offenbarung Jesu Christi. Er sagt: „Wer mich sieht, hat den Vater gesehen!“ (Joh 14,9; 12,45) In Jesus Christus allein wird das Wesen Gottes sichtbar, das sonst für menschliches Erkennen verborgen ist: Er allein ist „das Ebenbild – die Ikone – des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,14). Der menschgewordene Sohn ist der „Abglanz seiner [göttlichen] Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens“ (Hebr 1,3). Weil er der Einzige ist, der „am Schoß des Vaters ruht“, hat er vom Vater Kunde gebracht (Joh 1,18). Ohne Jesus Christus wüßten wir nicht, daß Gott unser Vater ist.

Wenn wir also über den Vater nachdenken, dann sind wir nicht auf luftleere Spekulationen, philosophische Grübeleien und Tüfteleien angewiesen. Wir Christen brauchen Gott nicht mehr krampfhaft zu suchen und zu ermeditieren, denn er hat uns von sich aus in seinem Sohn sein liebendes Antlitz zugewendet. „Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“, sagt Jesus (Lk 10,24). Mose im Alten Testament durfte Gott nicht von Angesicht zu Angesicht sprechen, er mußte seine Augen mit einer Binde verhüllen, wenn er Gott auf dem Sinai gegenübertrat (Ex 34,33.35; 2 Kor 3,13) Am leeren Grab finden die Jünger das Schweißtuch, das das Antlitz Jesu verdeckte zusammengefaltet liegen. Das soll besagen, daß jetzt das Antlitz Gottes endgültig enthüllt ist (Joh 20,7; vgl. Lk 24,12); ebenso wie der Tempelvorhang beim Tod Jesu entzweireißt, um den Blick auf das Allerheiligste für alle Menschen freizugeben, den Blick auf das innerste Wesen Gottes (Mk 15,38; Mt 27,51; Lk 23,45; Hebr 10,20).

Der Kern der Offenbarung Jesu Christi liegt also darin, daß er uns den unsichtbaren Gott, seinen Vater, als unseren Vater enthüllt. Ich behaupte, daß wir Christen auf diese Tatsache oft vergessen. Es gibt eine „Vatervergessenheit“ unter uns Christen. Das dritte und letzte Vorbereitungsjahr auf 2000 ist eine Chance, das Geheimnis der göttlichen Vaterschaft neu zu entdecken.

Die „Theologisch-Historische Kommission für das Heilige Jahr 2000“ hat dazu ein ausgezeichnetes Dokument herausgegeben, in dem wir an vieles erinnert werden, was wir vergessen haben. Das Anliegen dieses Dokumentes möchte ich heute aufgreifen. Ich werde Ihnen weder theologische Sensationen noch brandneue Spekulationen bringen, sondern nur normale Kost. Sie werden aber (hoffentlich merken), daß dieses Normale aufregend genug schmeckt, weil wir eben sosehr auf die Vaterschaft Gottes vergessen haben.

Warum aber vergessen wir sosehr auf die Vaterschaft Gottes, was sind die Gründe für dieses Verdrängen und Vergessen? Ich möchte dazu einige Punkte nennen.

2. Gründe für das Vergessen auf Gott den Vater

2.1. Das Vergessen auf die liturgische Gebetsrichtung

Unsere Vater-Vergessenheit rührt einmal daher, daß wir in unserem Denken und beten oft nicht „liturgisch“ sind. Die Liturgie mit ihren uralten Formeln und Riten ist ja ein Lehrmeisterin des rechten Glaubens. „Lex credendi, lex orandi“. Wem aber ist bewußt, daß sich alle Gebete der Heiligen Messe (mit wenigen Ausnahmen) an den Vater, den allmächtigen Gott richten. Dasselbe gilt für das Stundengebet der Kirche, das erfreulicherweise auch immer mehr Laien beten. Der Vater wird nicht nur immer an erster Stelle genannt, er ist auch das Ziel aller unserer Gebete, zu ihm steigen unsere Bitten durch den gottmenschlichen Mittler Jesus Christus im Heiligen Geist auf.

Natürlich dürfen und sollen wir direkt zu Jesus Christus oder direkt zum Heiligen Geist beten; natürlich dürfen und sollen wir die Hilfe und Fürsprache der Gottesmutter, der Engel und Heiligen anrufen. Aber wir müssen uns fragen: Sind wir uns bewußt, daß alle unsere Gebete von diesen nur gleichsam „nach oben“ getragen werden und ihren letzten Ort der Erhörung in Gott, dem Vater dem allmächtigen haben?

Gerade bei der Heiligen Messe wird deutlich, daß der Vater das letzte Ziel der Anbetung und Verherrlichung ist. Alle Gebete gehen an ihn. Christus wird als Sühneopfer auf dem Altar gegenwärtig. Am Schluß des Hochgebetes betet der Priester: „Durch ihn und mit ihm und in ihm ist Dir, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre.“

In der Liturgie stehen wir also immer vor dem allmächtigen Gott, und das ist uns oft zu wenig bewußt. Hans Urs von Balthasar hat gesagt, daß unser Geist unmittelbar an den göttlichen Geist grenzt, so müssen wir ihm unsere Herzen entgegenerheben. Im Heiligen Geist und durch den Sohn Jesus Christus erklingen unsere Gebete. Und wir Priester sollten bedenken, daß wir wie Mose niemand geringerem als dem allmächtigen Gott unsere Arme entgegenbreiten, wenn wir die Gläubigen auffordern: „Lasset uns beten!“

2.2. Die Irreführung durch bildliche Darstellungen

Unser Vergessen auf Gott den Vater hat vielleicht auch seinen Grund in der Naivität, mit der man die erste göttliche Person in früheren Zeiten in der Kunst dargestellt hat: der uralte Mann mit schlohweißem Haar, von Wolken und Engeln um geben. Es handelt sich bei dieser Darstellung um ein Bild, eine Metapher, ein Symbol, das sich eigentlich auf die Ewigkeit und Zeitlosigkeit Gottes bezieht. In der Spätgotik und Barockzeit wollte man durch Bart und Alter die Unendlichkeit Gottes symbolisieren. Doch auch wenn man die Motive versteht, die zu solchen künstlerischen Ausdrucksformen geführt haben, bleibt ein schlechtes Gefühl.

Im Alten Testament heißt es ja in Dtn 4,16: „Macht euch kein Gottesbildnis, das irgend etwas darstellt, keine Statue, kein Abbild eines männlichen oder weiblichen Wesens“. Dieses Bildverbot gilt im Neuen Testament freilich nicht mehr, weil ja in Jesus Christus Gott selbst uns das „Abbild“ seines unsichtbaren Wesens (Kol 1,14; Hebr 1,3) geschenkt hat. Aber: Eben nur der Sohn ist das Abbild, sonst nichts. Man kann an Jesus zwar ablesen, wie der Vater wirklich ist, wir müssen uns aber hüten, uns den Vater in irgendeiner Weise vorzustellen. Die Theologie muß hier die Kunst kritisch korrigieren, denn Gott der Vater ist weder alt, noch ist er ein begrenztes Einzelindividuum, noch ist er geschlechtsspezifisch männlich oder ähnliches, wie die genannten Darstellungen es nahelegen konnten.

Wo solche Bilder allzu ernst genommen wurden – Gott als ergrauter Weltenherrscher – da drohen große Mißverständnisse. Es ist noch relativ harmlos, wenn Antoine de Saint-Exupery im „Kleinen Prinzen“ Gott auftreten läßt als lieben Opa, der auf einem Stern sitzend Weisheiten von sich gebend die Welt regiert. Schlimm wird es dann, wenn das Bild vom grauen Weltenvater psychologisch mißdeutet wird. Es gibt in unserem Jahrhundert das traurige Beispiel des Psychoanalytikers Carl Gustav Jung, der im New Age als Vater von Neugnosis und Esoterik gehandelt wird. Im Unterschied zu Sigmund Freud war Jung Christ und bekam als Kind eine völlig falsche Vorstellung von Gott dem Vater. Er schreibt in seinen Memoiren, daß er sich Gott wirklich oben droben auf einem Thron sitzend vorstellte. Das war für ihn schon insofern beängstigend und bedrängend, da er Angst hatte, von den „Exkrementen“ dieses übergroßen unsichtbaren Weltenvaters getroffen zu werden. Diese – freilich völlig absurde – Kindheitsangst hat wesentlich zur Abkehr Jungs vom christlichen Glauben geführt.

Wir müssen uns deshalb im „Jahr des Vaters“ auch selbst fragen, welche psychologischen Vorbedingungen wir mitbringen, also, welche Vater- bzw. Elternerfahrungen bei uns mitschwingen, wenn wir von Gott dem „Vater“ sprechen. Wenn jemand seinen Vater etwa nur als betrunkenen Randallierer und Familienzerstörer erlebt hat, dann kann seine Vatervorstellung verbogen sein, und er wird sich schwer tun, in Gott als den liebenden, sorgenden, barmherzigen Vater anzubeten.

2. 3. Die feministische Kritik am Vatergott

Ein dritter Grund, warum wir heute das Thema „Gott Vater“ ein bißchen verdrängen, ist natürlich die feministische Theologie. Die macht uns Christen den Vorwurf, aus dem unfaßbaren Gott einen Mann gemacht zu haben, eben den Vater-Gott, um so die Vormachtsstellung des Mannes zu begründen und abzusichern. Der Feminismus hat viele Schattierungen, das gemeinsame Feindbild aller exstremen Feministinnen ist aber schon der Name „Vater“ an sich. Man möchte sich Gott lieber als Frau vorstellen.

Nun ist ein Körnchen Wahrheit an dieser Kritik, denn tatsächlich ist für die hohe Theologie immer klar gewesen, daß Gott-Vater keine Geschlechtsbezeichnung aussagen kann. Der Vater ist weder männlich noch weiblich! Wir nennen die erste göttliche Person so, weil Jesus sie so genannt hat. Tatsache ist auch, daß die Phantasie dort, wo man Gott nach dem Bild des Weiblichen dachte, sehr bald in die Mythologie abgeglitten ist.

Den extremen Anhängern des Feminismus muß gesagt werden: Gerade der Bibel geht es nicht um eine geschlechtliche Bestimmung Gottes. Alle anderen Götter des Altertum sind geschlechtlich bestimmt. In der Götterwelt Homers aber auch der Assyrer, Babylonier usw. verhalten sich die Götter menschlich sexuell, ja manchmal unmenschlich sexuell. Der Gott-Vater der biblischen Offenbarung aber gerade nicht. Er ist in identischer Weise weder Mann noch Frau, er ist Gott der Urgrund von allem und sonst nichts.

2.4. Das Vergessen auf Gott den Schöpfer

Schließlich möchte ich noch einen Grund dafür nennen, warum wir nicht gerne oder zuwenig über Gott den Vater nachdenken: der Grund liegt darin, daß für uns die Natur entmythologisiert ist, entzaubert. Als neuzeitliche naturwissenschaftliche Menschen sind unsere Augen vielfach erblindet und wir sehen in den Werken der Natur nicht mehr das Wirken dessen, der dies alles gemacht hat. Konkret: Wir vergessen, daß hinter alledem ein allmächtiger Schöpfergott steht. So bekennen wir im Glaubensbekenntnis als erstes, daß der Vater „allmächtiger Schöpfer“ ist, er ist „allesvermögender Pantokrator“, wie es im griechischen Text heißt, denn er hat den Himmel und die Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt erschaffen.

Menschen früherer Zeiten haben sich da leichter getan, sie waren unmittelbar den Gewalten und Gefahren des Lebens ausgesetzt, hinter dem Zyklus der Gestirne und der Willkür des Wetters, hinter der Bedrohung durch Krankheit und dem Rhythmus von Geburt und Tod sahen sie ziemlich deutlich die Hand Gottes. Uns neuzeitlichen ist diese Hand Gottes ziemlich unsichtbar geworden, je mehr Phänomene wir erklären können, desto weniger denken wir über den allerletzten Grund nach. Und das ist schade, denn der Glaube, daß die Naturwissenschaft alles erklären kann oder können wird, ist widervernünftig und abergläubisch.

Heute spricht man viel von „Natur“ und „Schöpfung“, typisch ist, daß man die beiden Begriffe in sich absolutiert, so als wären „Natur“ und „Schöpfung“ etwas ewiges in sich vorgegebenes. „Natur“ kommt aber von „nasci“, geboren werden. Die Natur ist von jemandem geboren, nämlich von Gott. Dasselbe gilt für das Wort „Schöpfung“. Es gibt keine „Schöpfung“, wenn es keinen „Schöpfer“ gibt. Die großen, wirklich denkenden Physiker und Naturwissenschaftler der Neuzeit waren alle gläubig, weil sie gerade durch ihr Forschen zum „Staunen“ gekommen sind: Von selbst kann das alles nicht geworden sein – „von nix kommt nix“, es muß einen letzten allweisen Grund, eine letzte Ursache geben. Das sooft gehörte Argument vom Urknall erklärt gar nichts, denn es beantwortet die Frage nicht, wer denn da eigentlich „geknallt“ hat.

Es gibt keine Schöpfung ohne Schöpfer! Wir sehen ja, welch zwiespältige und widersprüchliche Folgen es hat, wenn man den Schöpfergott wegläßt, in den ökologischen Bewegungen: Ja zum Bruder Baum, und nein zum ungeborenen Menschen?

2.5. Das Verdrängen der Gottesfurcht

Der moderne Mensch fürchtet sich nicht mehr vor Gott. Dabei ist die Gottesfurcht eine Grundhaltung, die der Mensch gegenüber Gott einnehmen soll. Die Bibel spricht von der Furcht Gottes und meint damit nicht die „Angst“ vor einem dunklen und bösartigen Gott, sondern vielmehr den ehr-fürchtigen Respekt vor einem liebenden und sorgenden Gott. Wer Gott fürchtet, achtet ihn in Ehrfurcht. An etlichen Stellen der Schrift heißt es, daß die Gottesfurcht „der Anfang der Weisheit“ ist (Ps 111,10; Spr 1,7; 9,10; Ijob 28,28).

Hier geht auch ein Vorwurf an die christliche Verkündigung und Theologie, die zu fragen ist, ob sie den biblischen Gott nicht zu sehr verharmlost hat. Es ist zwar eine große und positive Errungenschaft der letzten Jahrzehnte, daß man soviel über die Liebe Gottes gesprochen hat. Aber die Rede von der „Liebe“ wird oft nicht biblisch verstanden: Liebe ist das belanglose Tun, was einem gefällt, Lust und Spaß macht, ein unernstes Tun. Die Liebe, die Gott uns aber erweist, ist nicht eine unernste Liebelei, sondern kommt in der blutigen Gestalt des Gekreuzigten auf Golgotha daher: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Joh 3,16)

Der allmächtige Vater liebt uns nicht harmlos, sondern radikal. Er bietet uns in seinem Sohn Rettung an, aber wir müssen sie auch noch frei und ganz annehmen, sonst wehe uns! Das Angebot der Barmherzigkeit gilt, der barmherzige Vater hat das Kreuz seines Sohnes mitten in der Weltgeschichte aufgerichtet. Wir bleiben weiter frei, und der liebende Gott bleibt weiter gerecht.

Der Mensch der Moderne wollte keine transzendente Autorität anerkennen, er wollte selbst mit dem Leben, mit den Weltproblemen, mit der Sinnfrage fertigwerden. Dazu meinte er, Gott abschaffen zu müssen, um frei und furchtlos zu sein. Seit Voltaire wird die Kirche bekämpft „Écrasez l’infame!“ (Löscht die infame Kirche aus!), um nicht daran erinnert zu werden, daß es einen Gott gibt, dem man einmal Rechenschaft ablegen muß. Diese aufklärerische Autonomie hat sich als gefährliche Täuschung erwiesen. Wir erleben ja gerade, wie die Menschen, die den liebenden Gott des Christentums nicht mehr kennen oder kennen wollen, neuen Ängsten anheimfallen: die Angst vor der Sinnlosigkeit treibt sie in postmodernen Aberglauben, esoterische Irrtümer, okkulte Praktiken oder hedonistische Beschwichtigungsrituale.

Wer sich vor Gott nicht mehr fürchtet und keine anderen Wirklichkeiten als die des Diesseits anerkennt, fällt er viel schrecklicheren Ängsten anheim. der Angst vor dem Nichts. Vielleicht reden und denken wir deshalb nicht gerne über die erste göttliche Person, weil wir die biblische Wahrheit verdrängen wollen, daß Gott der allmächtige Herr ist und es uns geboten ist, ihn zu fürchten. Natürlich nicht sklavisch, sondern aus freier Liebe, weil er die Liebe ist. (Dtn 10,12.20; Mt10,28; Röm11,20f). Im Magnificat betet Maria, daß Gott sich über alle erbarmt, „die ihn fürchten“ (Lk 1,50).

3. Die christliche Botschaft von Gott dem Vater

3.1. Der Name Gottes

Jesus offenbart einen neuen Namen Gottes: Dieser Name lautet: Gott ist „Vater“. Dazu müssen wir einiges darüber wissen, was „Name“ im jüdischen bzw. orientalischen Denken bedeutet. „Name“ ist nämlich etwas überaus Wichtiges für den Juden. Sie können das leicht anhand der liturgischen Formeln nachprüfen, die ja aus der Bibel stammen, und in denen so oft vom „Namen“ Gottes die Rede ist: So machen wir etwa das Kreuzzeichen „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Wir beten: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn“. Übrigens hatte Papst Paul VI. den Wahlspruch „In nomine Domini“. In den Psalmen wird unzählige Male „der Name“ des Herrn gepriesen usw.

Schon diese Beispiele sind uns ein Hinweis darauf, daß der „Name“ in biblischer Zeit – wie überhaupt im Orient – mehr ist als nur ein „Rufmittel“. Kurz: „Name“ steht für Identität, steht für Wesen. Deshalb ist es auch so aufregend, daß Gott bei der Schöpfung dem Menschen das Recht einräumt, die Tiere zu benennen; hier darf der Mensch mitwirken am Schöpfungswerk Gottes (Gen 2,19f.). Wir sehen das aber auch daran, daß im AT die Namen, welche man Personen gibt, immer eine Eigenschaft ausdrücken sollen. Oft steckt in diesen Personennamen auch der Gottesname. Die Anfangssilbe „J“ etwa ist die Kurzform für „Jahwe“, sie steckt etwa in Joschua, Jesaja, Jeremia, Johannes, Jesus usw. Der Name Jesus will etwa schon in sich ein Programm besagen: „Gott/Jahwe schafft Heil“. Dasselbe gilt für die Kurzform „El“ des Gottesnamens „Elohim“: Eljakim, Elischa, Samuel. Die Bedeutung des Namens zeigt sich aber auch darin, daß ein Wechsel des Namens auch immer eine Änderung des Wesens aussagt: Aus Abrahm wird Abraham (Gen 17,5), aus Jakob wird Israel (Gen 35,10), aus Sarai wird Sara (Herrin: Gen 17,5); und im Neuen Testament geht das weiter: aus Simon wird Petrus, aus Saulus wird Paulus.

Wenn der Name also das Wesen bezeichnet, dann verstehen wir auch, warum die Selbstoffenbarung Gottes auf dem Sinai vor allem in der Offenbarung des Namens Gottes besteht: Gott gibt sich vom brennenden Dornbusch weg den Namen: „Ich bin der ich bin da!“ (Ex 3,14) Eine Art Kurzformel dieser Selbstbeschreibung ist der Gottesname Jahwe. Dieser besteht, da die hebräische Schrift keine Zeichen für die Vokale a-e-i-o-u kannte, nur aus den 4 Konsonanten JHWH. Niemand durfte den erhabenen Gottesnamen aussprechen, weshalb man ihn absichtlich falsch vokalisiert hat, indem man zwei „a“ einfügte. Nach jüdischem Sprachgebrauch wurde dann aber nicht Jahwah ausgesprochen, sondern Jehova.

Das Aufregende ist eigentlich die Ehrfurcht vor dem Gottesnamen. Wenn Gott seinen Namen nennt, so gibt er gleichsam sein Wesen preis. Er lüftet sein innerstes Geheimnis: Jahwe ist der Gott, der schlechthin ist. Gott ist der gleichbleibende. Als die hebräische Bibel dann um 150 vor Christus von angeblich 70 Weisen ins Griechische übersetzt wird (LXX), da gibt man Ex 3,14 wieder mit: „Ego eimi ho oon“. „Ich bin der Seiende.“ In der Apokalypse nennt er sich „der da ist und der da war und der da kommt.“ (Offb 1,8) Jedesmal, wenn wir das „Ehre sei dem Vater“ beten sagen wir: „wie es war im Anfang so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit“. Eigentlich ist das eine Umschreibung für das Jahwe-Sein Gottes, für sein ewiges: „Ich bin der ich bin.“ Für die Juden war dieser ewig-seiende Gott, der nun mit seinem Volk einen Bund einging, der „Herrliche“ und „Heilige“, dem man Ehrfurcht, Anbetung und Furcht schuldete.

Wir müssen festhalten, daß das Alte Testament darauf abzielt, Gott als den einzigen zu offenbaren und den Israeliten Ehrfurcht vor dem Namen Gottes einflößt. Die Kirchenväter haben das AT die Zeit der Pädagogik Gottes genannt: Gott erzieht die Menschen, daß sie ihn so annehmen, wie er wirklich ist. Der Name, unter dem Gott sich im AT offenbart, ist noch nicht der „Vatername“. Sehr wohl aber offenbart er sich bereits in seinem Verhalten „wie ein Vater“.

3.2. Das Vater-Sein Gottes im AT

Wie gesagt: Der Gott des AT trägt den erhabenen Namen „Jahwe“, vor ihm neigt sich der ganze Erdkreis. Er ist der Schöpfer, der allmächtige Herrscher. Alle Hilfe, die Israel hat, liegt im „Namen des Herrn“, der „Himmel und Erde erschaffen hat.“ (Ps 124,8). Aber im Alten Testament wird nur das väterliche Leiten und Sorgen Gottes geoffenbart, nicht aber, daß „Vater“ die innerste Bezeichnung des Schöpfergottes selbst ist.

Gott selbst wird nur an seltenen Stellen mit dem Vaternamen bezeichnet. Das Wort „ab“ kommt etwa 1200mal im hebräischen Alten Testament vor. Aber davon sind nur 15 Stellen, wo Gott „Vater“ genannt wird. (Dtn 32,6; 2 Sam 7,14; 1 Chr 17,13; 22,10; 28,6; Jes 63,16; 64,7; Jer 3,4.9; 31,9; Mal 1,6; 2,10; Ps 89,27; Sir 23; l.4; 51,10; Weish 2,16; 14,3; Tob 13,4). Es geht in diesen Stellen auch nicht um den Namen Vater, sondern um ein Bild für Gott, um einen Vergleich: Gott handelt sorgend wie ein Vater. Es soll dadurch ausgesagt werden: Jahwe handelt väterlich. Er will deshalb auch wie ein Vater geehrt werden: „Der Sohn ehrt den Vater, und der Unrecht fürchtet seinen Herrn. Wenn ich nun Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir?, spricht Jahwe Sebaot.“ (Mal 1,6) Mose muß sich etwa vor das abtrünnige Volk hinstellen und es daran erinnern, daß Gott doch bisher wie ein Vater für sie gesorgt hat: „Ist Gott nicht dein Vater, dein Schöpfer?“ (Dtn 32,6)

Wir können sagen: Der Vatername ist im Alten Testament eine Eigenschaftsbezeichnung Jahwes, also ein Bild, ein Vergleich: Gott sorgt „wie ein Vater“. Deshalb ist es dem AT auch egal, ob man den Vater oder die Mutter als Vergleichspunkt heranzieht. Es gibt etlich Stellen, in den die Sorge Gottes auch durch Vergleiche mit weiblich-mütterlichen Eigenschaften beschrieben. Durch einen Satz wie: „Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen, eine Mutter ihren eigenen Sohn? Und selbst wenn sie ihr Kind vergessen würde, ich vergesse dich nicht!“ (Jes 49,15; vgl. Hos 11,1–4; Jes 66,9.13) soll das Fürsorge-Verhältnis Gottes zu Israel beschrieben werden. Wenn aber die Bezeichnung „Vater“ auf Gott angewandt wird, handelt es sich um ein „Beziehungswort“. [1]

Doch wir verlassen jetzt das Alte Testament und kommen ins Neue Testament, zu Jesus Christus.

3.3. Jesus offenbart Gott als seinen Vater

Durch Jesus Christus kommt nicht bloß eine Vertiefung, sondern etwas völlig Neues. Daß Gott „väterlich“, wie ein Vater, für die Menschen sorgt, das war vom Alten Testament her erkennbar. Aber daß er von Ewigkeit einen Sohn hat und diesen im Heiligen Geist uns hinschenken will, diese Offenbarung erfolgt erst im Neuen Testament. Und erst hier wird auch erkennbar, daß „Vater“ nicht irgendeine Eigenschaft von vielen ist, die man Gott zuerkennen kann, sondern hier wird seine intimste und innerste Seite angesprochen. Und ich bitte Sie wirklich zu beachten, daß hierin eine Besonderheit der christlichen Offenbarung liegt.

Doch zunächst einmal müssen wir feststellen, daß Jesus die Linie des Alten Testamentes fortsetzt. Auch er verkündigt, daß Gott „wie ein Vater“ ist, daß er „väterlich sorgt“. In seinen Gleichnissen vergleicht Jesus das Verhalten Gottes ja zigmal mit dem eines gütigen Vaters! Denn „Euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet“ (Mt 6,7). 174mal nennt Jesus in den Evangelien Gott „Vater“: Jesus möchte sagen: Gott sorgt sich um euch, wie ein Vater um seinen verlorenen Sohn (Lk 15,11–32); er gibt euch, seinen bettelnden Kindern, nur Gutes wie ein Vater, wenn er durch Bitten bedrängt wird (Mt 7,11; Lk 11,13) usw. Sie kennen alle diese Gleichsnisse.

Dabei fällt aber schon etwas auf, und dem stimmen alle Bibelwissenschaftler zu: Daß Jesus nämlich immer einen Unterschied macht zwischen „mein Vater“ und „euer Vater“. Offensichtlich meint Jesus etwas Tieferes, wenn er den Gott Israels als seinen Vater anredet. Jedenfalls unterscheidet er eindeutig zwischen „mein Vater“ (Mt 11,27par; Lk 22,29) und „euer Vater“ (Lk 6,36 par; 12,30par; Mk 11,25 par; vgl. Mt 23,9; Joh 20,17). Sehr eindrucksvoll etwa in Joh 20,17, wo Jesus am Ostermorgen zu Maria von Magdala sagt: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ (Joh 20,17)

Warum macht Jesus eine solche Unterscheidung? Weil er sein Verhältnis zu Gott dem Vater als etwas einzigartiges weiß: es ist das Verhältnis des eingeborenes Sohnes Gottes zu seinem Vater, der ihn in die Welt gesandt hat, um allen Menschen zu retten. Jesus ist der ewige Sohn des ewigen Vaters, von Ewigkeit ist er aus der Wesenheit Gottes des Vaters hervorgangen und hat Menschengestalt angenommen in der Zeit. So bekennt es die Kirche feierlich gegen die Irrlehre des Arianismus.

Doch diese Häresie aus dem 4. Jahrhundert ist seit Jahrzehnten wieder sehr populär. Der Arianismus wird benannt von Arius; dieser war Priester und Leiter der Katechetenschule von Alexandrien in Ägypten. Seinen Beruf kann man mit dem eines heutigen Theologieprofessors vergleichen. Arius lehrte damals, und er fand viele Anhänger, daß der Sohn nicht wahrhaft Gott sei; nur der Vater ist wahrer Gott, der Sohn aber ist ein Geschöpf. Jesus Christus ist folglich nur ein Prophet, es gibt kein besonderes Verhältnis zwischen ihm und Gott dem Vater. Jesus hat sich nur in einem allgemeinen Sinn als „Sohn Gottes“ bezeichnet, wie sich jeder von uns als „Sohn Gottes“ bezeichnen kann.

Heute vertreten die Zeugen Jehovas diese Lehre mit großem Nachdruck: Jesus Christus ist nicht Gott von Gott, Licht vom Licht, eines Wesens mit dem Vater, wie der katholische Glaube lehrt. Die Zeugen Jehovas sind die Arianer unserer Zeit. Aber auch die liberale Bibeltheologie kann mit einer einzigartigen Gottessohnschaft Jesu Christi nichts anfangen. All die vielen Stellen in den Evangelien, vor allem bei Johannes oder in den Paulusbriefen, wo Jesus sich „Sohn“ nennt und wo davon die Rede ist, daß er von Ewigkeit her existiert, läßt man nicht gelten. Dies seien Erfindungen der frühen Kirche, fromme Wunschphantasien, die man da im Neuen Testament zusammengeschrieben habe. Kurz gesagt: Falls Jesus überhaupt gelebt hat, dann war er halt irgendein besonders frommer oder radikaler Wanderrabbi, aber nicht der ewige Sohn des ewigen Vaters, der Mensch geworden ist, um uns die barmherzige Liebe des Vaters zu schenken.

Gegen die neoarianischen Irrlehren läßt sich nun von der Heiligen Schrift her ein wichtiges Argument anführen.

Es gibt im Evangelium eine Stelle, die sicher nicht Erfindung der Evangelisten ist, sondern aus dem Munde Jesu stammt. Und dort läßt uns Jesus gleichsam in die intimsten Abgründe seiner Beziehung zu Gott schauen. Es ist dies die Stelle im ältesten Evangelium, also bei Markus, und zwar in der Passionserzählung vom Ölberg: Markus überliefert, daß Jesus in der Not von Getsemani mit folgenden Worten betet: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst (soll geschehen).“ (Mk 14,36)

Warum ist diese Stelle so bedeutungsvoll? Die Evangelien des NT sind in griechischer Sprache verfaßt worden. Jesus aber hat aramäisch gesprochen. Nur ganz wenige aramäische Worte sind uns überliefert: Z. B. „Amen“, „Kephas“, „Talita kum“ oder „Maranatha“ (1 Kor 16,22; Offb 22,20). Hier nun findet sich auch ein hebräisches Wort, mit dem Jesus Gott anredet: „Abba, Vater“.

Es fällt dabei auf, daß der griechischschreibende Markus dieses aramäische Fremdwort dort gerade in der extrem zugespitzten Todessituation am Ölberg bringt. Sonst übersetzt er immer mit „pater“ und bringt überhaupt wenig Aramäisches. Warum gerade hier „abba“? Offensichtlich sagt Jesus auch und gerade in dieser Situation äußerster Bedrängnis noch „abba“, weil das seine Grundrelation auf Gott hin ist: Gott ist sein „abba“.

Was bedeutet „abba“? Lange Zeit hat man mit dem evangelischen Exegeten Joachim Jeremias [2] gemeint, daß es sich bei dem Ausdruck „abbah“ um eine völlig außergewöhnliche, diminutive und affektive Form von „ab“ handelt. Sie sei etwa im Sinn von „Papi“, „Papilein“, „Papsch“ oder „Daddy“ zu verstehen. Joachim Jeremias später etwas zurückgezogen: Abbah sei eine kindliche aber nicht kindische Anrede des Kindes an den Vater gewesen, etwa vergleichbar unserem „Papa“. Wie auch immer: eindeutig schwingt in „abba“ ein aufregender Hauch von Intimität mit. Und eine solche ist Anrede an Gott ist für Juden unerhört: Gott ist transzendent, Gott ist herrlich, Gott ist erhaben und heilig, – so heilig, daß man nicht einmal seinen Namen aussprechen darf. Und da kommt Jesus, und spricht Gott als „Papa“ an, noch dazu in der Situation, wo er sich von Gott eigentlich verraten und verlassen fühlen müßte.

Wir wissen heute, daß es für Juden zur Zeit Jesu unvorstellbar gewesen wäre, Gott als „Vater“ anzureden [3] (als würde man den Bundespräsidenten mit „Schatzimausi“ begrüßen). Ein solcher vertrauter, umgangssprachlicher Ton – und es handelt sich hier unbestreitbar um ein originales Jesuswort – bezeugt, wie vertraut der göttliche Vater Jesus war. Das ist mehr als die Vertrautheit zwischen einem menschlichen Propheten und einem göttlichen Meister. Das ist die vielmehr die Vertrautheit dessen, der von sich sagen kann: „Der Vater und ich sind eins“. „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“ „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“ (Mt 11,27 vgl. 28,18; Joh 3,35; 13,3; 10,15)

Halten wir also fest: Jesu Beziehung zu seinem Vater ist also einzigartig. Und mehr noch: Er offenbart uns etwas Neues, Tieferes, als es je vom Alten Testament her erahnbar gewesen wäre: Er offenbart uns, daß der innerste Name Gottes, des Schöpfers und Herrschers über Himmel und Erde, daß dieser Name „Vater“ ist: Und zwar nicht nur SEIN Vater, sondern sogar UNSER Vater. Jesus will diese Beziehung nicht für sich behalten. Sondern er will, daß wir alle an ihr teilnehmen. Er will, daß auch wir die Liebe Gottes erkennen, damit auch wir zu Gott „Vater, Abba“ sagen können.

4. Wir sind Kinder Gottes

Wir sind am Anfang des Advent, am Anfang des Jahres des Vaters nach. Und damit es keine luftleeren Spekulationen bleiben, kommen wir jetzt am Schluß zum eigentlichen und entscheidenden: zu dem, was das Vatersein Gottes „für uns“ bedeutet:

Es geht darum, daß wir erkennen, daß wir Kinder Gottes sind. Jesus hat Gott, seinen „Vater“ unendlich geliebt. Er wollte offenbaren, daß dieser Vater kein grausamer Tyrann, verborgen hinter Blitzen und Donner ist, wie die Römer und Griechen das dachten; er wollte offenbaren, daß Gott nicht bloß eine abstrakte mitleidslose Schicksalsmacht ist, wie die Gnosis damals und New Age heute das lehren; er wollte offenbaren, daß Gott den Sünder nicht verwirft, sondern ihn retten will, daß er wie ein barmherziger Vater Ausschau hält nach der Rückkehr des verlorenen Sohnes. – Daher geschah es, als die Jünger Jesus baten: „Herr, lehre uns beten!“, da antwortete er: So sollt ihr beten: Und er lehrte die Jünger, Gott als „unseren Vater“ (Mt 6,9; Lk 11,2) anzureden. Er will, daß wir erkennen, daß sein Vater auch unser Vater sein will. Anders gesagt: Er will, daß wir Kinder Gottes werden.

Wie wird man zum Kind des Vaters? Indem man Christus wird, indem man in die Gestalt Christi eintritt; das geschieht durch die Taufe. In der Taufe ziehen wir Christus wie ein Gewand an (Taufkleid), er wird zu unserem inneren Licht (Taufkerze), wir werden gesalbt (Chrisam), weil Christus ja Gesalbter heißt, und düfen fortan den Namen Christ tragen, was ja soviel heißt wie „Gesalbter“. Durch die Taufe sind wir Kinder Gottes, genauer: wir sind Söhn im Sohn. Und weil der Sohn den Heiligen Geist ausgießt, schreibt Paulus: „ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ (Röm 8,15; vgl. Gal 4,6)

Das ist eigentlich aufregend: Wir sterblichen Menschen haben durch den Sohn Gottes eine solche Salbung durch den Geist empfangen, daß wir in genau derselben Zutraulichkeit zu Gott beten dürfen, wie Jesus selbst. Wir dürfen zu Gott auch sagen: „Abba“, „Papa“. Unser guter lieber Vater.

Und keine Angst: Dadurch verharmlosen wir Gott nicht, weil er ja weiterhin der allmächtige bleibt, der Schöpfer, der erhabene Herrscher aller Mächte und Gewalten. Wir haben als Christen das Privileg, diesen Gott, den alle Religionen suchen, als unseren guten Vater zu kennen und anzubeten. Wir können mit dem Epheserbrief beten: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ (Eph 1,3; vgl. 1 Petr 1,3; 2 Kor 1,3)

5. Geistliche Anregungen

Wir befinden uns am Anfang des Adventes und am Anfang des „Jahres des Vaters, des allmächtigen, des Schöpfers des Himmels und der Erde.“ Ich erlaube mir, uns noch einige geistliche Anregungen zu geben:

1. Erwecken wir in uns das Gefühl für die Größe und Erhabenheit Gottes. Das zweite Gebot ist weiterhin aktuell: Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. In einer Zeit, in der die Blasphemie in Kunst und Literatur schon allgemein geworden ist, müssen wir dieses Gefühl für die Größe Gottes in uns neu erwecken. Maria betet: „Magnificat anima mea Dominum!“ Das heißt eigentlich: „Meine Seele macht Gott groß!, läßt Gott groß sein, erschaudert vor der Größe Gottes!“ Denken wir einmal nach, wie es mit der Gottesfurcht bei uns steht. – Wie leicht und oberflächlich plappern wir oft das Vater unser! Maria betet auch: „Der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig!“ Der Name Gottes ist wahrhaft heilig!

2. Die liturgischen Gebete richten sich an Gott den Vater, an die Quelle der dreifaltigen Lebens. Beten wir diese Gebete bewußt mit dem Herzen mit. Denken wir tiefer über das Heilswerk nach, daß der ewige Gott durch seinen Sohn im Heiligen Geist an uns getan hat. Er, der Gott aller Menschen, hat uns die Fülle seines Heiles geschenkt. Durch die Sakramente der Kirche kommt er uns ganz nahe. Er, der Vater, ist es, der in der Kirche an uns handelt. Am Ende der Schöpfung wird Christus dem Vater alles zu Füßen legen, und Gott wird alles in allem sein, wie Paulus schreibt.

3. Die Ehrfurcht vor der Schöpfung ergibt sich von selbst, wenn wir den Schöpfer ehren. Aber es ist nicht nur eine Ehrfurcht vor Hunden und Katzen, Bäumen und Wiesen, sondern es ist eine Ehrfurcht auch vor jenen Gesetzen, die der Schöpfer in seine Schöpfung gelegt hat. Es gibt gut und böse, das Böse widerspricht der Natur, dem Plan, den der Schöpfer mit dem Menschen hat. Wir werden in den nächsten Vorträgen über die Barmherzigkeit des Vaters hören, mit der er uns zu Hilfe kommt, wenn wir gegen seine Gebote verstoßen.

4. Jesus, der ewige Sohn des ewigen Vaters, ist deshalb Mensch geworden, damit wir die Sohnschaft erlangen, damit wir Kinder Gottes werden. Er sagt zu seinem Vater „Abba, lieber Vater, Papa!“ und das in der Stunde seiner Todesangst. Bedenken wir also, daß wir nie in den Abgrund des Nichts fallen können, weil Jesus uns geschenkt hat, Kinder Gottes zu sein. Wir dürfen „durch ihn und mit ihm und in ihm“ Gott unseren Vater, ja unseren Papa nennen nennen.

Ich schließe mit einem Gebet von Charles de Foucauld:

Mein Vater, ich überlasse mich Dir, mit Deinem Sohne, ganz und gar, für alle, damit sie den Weg finden zu Dir. Mach mit mir, was Dir gefällt. Was immer Du mit mir tust, ich danke Dir. Ich bin zu allem bereit, ich nehme alles an. Wenn nur Dein Wille an mir geschehe und an allen Deinen Geschöpfen, so wünsche ich nichts anderes, mein Gott. Ich lege mich in Deine Hände. Ich schenke mich Dir, mein Gott, mit der ganzen Liebe meines Herzens. Weil ich Dich liebe und es mich aus Liebe danach verlangt, mich zu geben, mich in Deine Hände zu geben, ohne Maßen, mit unendlichem Vertrauen. Denn Du bist mein Vater. Amen.


[1] R. HAMERTON KELLY, Gott als Vater in der Bibel und in der Erfahrung Jesu. Eine Bestandsaufnahme, in: Conc (D) 17 (1981) 247–256, hier: 249.

[2]J. Jeremias, Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie. Göttingen 1966.

[3] Erst in jüngster Zeit wurde in Qumran ein Text entdeckt, wo ein palästinensischer Jude von Gott als „abba“ spricht. Es handelt sich um das einzige Zeugnis. Zu beach-ten ist, daß es sich hier nicht um eine Anrede Gottes handelt.