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Tyrannenmord an Osama bin Laden?
Was sagt die Kirche? (22. November 2001)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Gastkommentar in: Die Presse, 22.11.2001, Seite 2

Die jüngsten Stellungnahmen zweier Bischöfe (Kardinal Meisner von Köln und Kurt Krenn aus St. Pölten) haben aufhorchen lassen, als diese die mögliche Legitimität des sogenannten „Tyrannenmordes“ in Zusammenhang mit einer Ausschaltung des mutmaßlichen Terror-Chefs Osama Bin Laden zur Sprache brachten.

Vorweg: Obwohl die Diskussion unter dem Stichwort „Tyrannenmord“ geführt wird, kann es niemals darum gehen, einen Mord ethisch zu rechtfertigen. Der Begriff „Mord“ wird ja aufgefaßt als die unrechtmäßige Tötung eines Menschen. Auszublenden ist auch jener „christliche Pazifismus“, der mit Berufung auf die Bergpredigt jede Form von Gewaltanwendung und Tötung kategorisch ablehnt. Demnach wäre selbst die Notwehr im Fall eines ungerechten Angriffs ausgeschlossen.

Als „Tyrann“ im klassischen Sinn gilt der an sich rechtmäßige Inhaber einer politischen Machtstellung, wenn er diese in derart schwerwiegender Weise mißbraucht, daß er nicht mehr im Namen des Gemeinwohls handelt. Im weiteren Sinn werden auch „Usurpatoren“ dazu gezählt, die eine politische Machtstellung auf unrechtmäßige Weise erobert haben und sich dann den Anschein rechtmäßiger Herrschaft geben.

Weit davon entfernt, den Umsturz oder gar die Revolution als legitime Mittel politischer Änderung anzusehen, kennt die katholische Soziallehre doch den Fall, daß eine länger andauernde Gewaltherrschaft grundlegende Rechte der Menschen verletzt, den auf Gerechtigkeit gründenden Frieden und die damit verbundene innere und äußere Sicherheit gefährdet und eine Änderung mit friedlichen Mitteln unmöglich erscheint. Dann – und nur dann – kann es, wie der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2243 betont, gerechtfertigt sein, sogar einen „bewaffneten Widerstand gegen Unterdrückung durch die staatliche Gewalt“ anzuwenden. Dies gilt allerdings nur, wenn gleichzeitig folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Es müssen nach sicherem Wissen Grundrechte in schwerwiegender Form und auf dauernde Weise verletzt werden. 2. Alle anderen Hilfsmittel müssen erschöpft sein. 3. Durch diese Form des Widerstandes darf nicht schlimmere Unordnung als bisher entstehen. 4. Es muß begründete Aussicht auf Erfolg bestehen, und 5. dürfen vernünftigerweise keine besseren Lösungen abzusehen sein.

Wendet man diese Kriterien auf die Situation des Stauffenberg-Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 an, so kann man der Auffassung sein, daß die gewaltsame und unter Umständen sogar tödliche Ausschaltung des Diktators als Akt der Notwehr im Namen und Auftrag des Gemeinwohls berechtigt gewesen wäre.

Die aktuelle Frage lautet: Trifft dies auf Bin Laden zu? Dieser ist weder als Staatsmann noch als Tyrann im klassischen Sinn anzusehen. Als Terror-Chef von höchstem Rang gilt er allerdings, wenn seine Schuld eindeutig erwiesen ist, als besonders gefährlicher Verbrecher, der nach den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit abzuurteilen ist: wenn möglich unter Einbeziehung internationaler Instanzen und – sofern Gefahr im Verzug ist – auch in einem abgekürzten Verfahren.

Würde die Todesstrafe angewandt, so kann die Kirche dies nicht befürworten. Sie wäre aber als Akt der Notwehr gemäß der überlieferten Lehre der Kirche dann nicht auszuschließen, „wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen“ (KKK 2267 gemäß der neuen Fassung der „editio typica“). Terrorismus ist jedenfalls immer als „schwerer Verstoß gegen die Gerechtigkeit und die Liebe“ anzusehen und darum abzulehnen (KKK 2297). Die wirksame Verteidigung der Gesellschaft und ihrer Werte muß dieser Gefahr entschieden, nötigenfalls auch mit Gewalt begegnen!