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Eine moraltheologische Verteidigung von "Humanae vitae"
Rezension zu Christian Schulz, Die Enzyklika „Humanae vitae“ im Lichte von „Veritatis splendor“ (2008)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Christian Schulz, Die Enzyklika „Humanae vitae“ im Lichte von „Veritatis splendor“ – Verantwortete Elternschaft als Anwendungsfall der Grundlagen der Katholischen Morallehre, EOS Verlag 2008, 290 Seiten; Diese Buchbesprechung erschien in Theologisches 38 (2008) 328–330: www.theologisches.net

Als Band 6 der im EOS Verlag, St. Ottilien, von Josef Georg Ziegler begründeten und nunmehr von Clemens Breuer herausgegebenen Reihe „Moraltheologische Studien – Neue Folge“ ist jetzt die gedruckte Dissertation von Christian Schulz mit dem Titel „Die Enzyklika ‚Humanae vitae’ im Lichte von ‚Veritatis splendor’ – Verantwortete Elternschaft als Anwendungsfall der Grundlagen der Katholischen Morallehre“ erschienen. Christian Schulz, geb. 1969 in Oberhausen und seit 2001 Pfarrer in Bartholomäberg, promovierte mit der hier publizierten Arbeit 2008 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg zum Doktor der Theologie. Die Studie wurde von Prof. em. Dr. Joachim Piegsa betreut, der auch das Erstgutachten verfasste, Zweitgutachter war Prof. em. DDr. Anton Ziegenaus.

Inhaltlich geht es, wie schon der Titel anzeigt, um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen der kirchlichen Morallehre in spezieller Anwendung auf die von Paul VI. vor 40 Jahren (1968) in der Enzyklika „Humanae vitae“ vorgelegten sittlichen Weisungen betreffend das ausnahmslose Verbot empfängnisverhütender Mittel und Praktiken, deren Anwendungen darin als „in sich schlechte Handlungen“ qualifiziert werden, die unabhängig von den Umständen und Intentionen der Handelnden auf jeden Fall abzulehnen sind.

Die anspruchsvolle Studie von Christian Schulz begnügt sich nicht mit bloßen Wiederholungen und Verweisen auf lehramtliche Stellungnahmen; es ist dem Verfasser ein wirkliches Anliegen, das er in seiner Untersuchung auch einlöst, die tieferen Gründe für das lehramtliche Selbstverständnis in seiner in der Autorität Christi begründeten Zuständigkeit sowohl für den Glauben als auch für das Leben aus dem Glauben, einschließlich der Darlegung und Konkretisierung der Prinzipien des natürlichen Sittengesetzes, aufzuzeigen und dann zu einer konkreten Anwendung auf die von „Humanae vitae“ nicht erstmalig vorgelegte, sondern vielmehr in einzigartiger Deutlichkeit bekräftigte und – wie der Verfasser nachweist – mit höchster Autorität vorgelegte Lehre zu gelangen. Dies geschieht in drei Teilen:

Im I. Teil (4–39) werden in der gebotenen Kürze, aber stets mit der nötigen Präzision zwei Dokumente päpstlichen und bischöflichen Ursprungs vorgestellt, nämlich die am 6. August 1993 veröffentlichte Enzyklika „Veritatis splendor“ von Johannes Paul II. und das am 29./30. August 1968 publizierte Pastoralwort der deutschen Bischöfe zur seelsorglichen Lage nach Erscheinen der Enzyklika „Humanae vitae“, die sog. „Königsteiner Erklärung“, auf deren Problematik und teilweisen Widerspruch zum päpstlichen Lehramt im Laufe der Studie noch ausführlich eingegangen wird und die zuletzt – das sei vorweggenommen – in Ergebnis dieser Analyse als Form einer pastoralen Lösung, die im Gegensatz zur Lehre des Lehramtes steht (vgl. „Veritatis splendor“, Nr. 56), qualifiziert wird, deren Revision längst überfällig ist.

Der II. Teil steht unter der Überschrift „HV [= Humanae vitae] in der Diskussion. Lehramtskompetenz und Argument“ (40–219) und ist als eigentliches Herzstück der Studie anzusehen. In drei Unterkapiteln wird erstens „HV und der Anspruch des kirchlichen Lehramtes – die Frage nach der Überschreitung lehramtlicher Kompetenz“ (40–173) thematisiert, zweitens das „Handlungsobjekt von ‚Humanae vitae’ – ein ‚intrinsece malum’“ (174–187) vorgestellt und drittens das „natürliche Sittengesetz und der Vorwurf des ‚Biologismus’ (188–219) erörtert. Unter Rückgriff auf die wissenschaftliche Forschung und Diskussion zu den Ausführungen des 1. Vatikanischen Konzils zum Bereich des Sittlichen als möglichem Objekt der Unfehlbarkeit des Lehramts der Kirche wird in diesem II. Teil aufgezeigt, dass nicht nur jene sittlichen Wahrheiten, die unmittelbar zur göttlichen Offenbarung gehören, da sie in ihr explizit oder implizit enthalten sind, von der Kirche mit unfehlbarer Lehrautorität verkündet werden können, sondern dass auch Wahrheiten des natürlichen Sittengesetzes, sofern sie im Konkreten einen notwendigen Bezug zur Darlegung und Verteidigung der göttlichen Offenbarung besitzen, von der Kirche sowohl im außerordentlichen als auch im ordentlichen Lehramt des Papstes und der Bischöfe auf unfehlbare Weise vorgelegt werden können. In voller Kontinuität damit stehen die Ausführungen des 2. Vatikanischen Konzils und wichtiger nachkonziliarer Dokumente wie die Erklärung der Glaubenskongregation „Mysterium Ecclesiae“ vom 24. Juni 1973, die Instruktion der Glaubenskongregation „Donum veritatis“ vom 24. Mai 1990 und das Motu proprio von Johannes Paul II. „Ad tuendam fidem“ vom 18. Mai 1998. Darüber hinaus gibt es den Bereich „authentischen Lehrens“ der Kirche, das zwar keine „Glaubenszustimmung“ im eigentlichen Sinn und auch kein endgültiges Festhalten wie im Bereich irreformabler Lehre verlangt, aber dennoch im Sinne von „Lumen gentium“, Nr. 25, einen „religiösen Gehorsam des Willens und des Verstandes“ erfordert, um gerade so dem Anspruch des an der Lehre der Kirche zu bildenden Gewissens gerecht zu werden. Der Verfasser zeigt mit guten Gründen, warum die in „Humanae vitae“ vorgelegte sittliche Weisung betreffend die Empfängnisverhütung in den Bereich einer vom ordentlichen Lehramt bezeugten unfehlbaren Lehre fällt; selbst wer diese Auffassung nicht teilt, hat sie als mit hoher Autorität und Konstanz vorgetragene authentische Lehre der Kirche anzunehmen und zu befolgen. Auf die besondere Verantwortung der Bischöfe und Moraltheologen wird hingewiesen. Die Berufung auf das sittliche Naturgesetz hat nichts mit Biologismus und Naturalismus zu tun, sondern nimmt die menschliche Person in ihrer leib-seelischen Einheit ernst, die gemäß dem Willen und Plan des Schöpfers in ihrer Würde am ewigen Gesetz Gottes partizipiert und dessen unbedingten Anspruch erfährt.

Im III. Teil steht „der Gläubige vor dem Anspruch der kirchlichen Lehre“ (220–259) und wird das Spannungsverhältnis von Wahrheit und Freiheit, von Gesetz und Gewissen einer theologischen Reflexion unterzogen. Es geht hier zuerst um „’Humanae vitae’ und die Freiheit des Gewissens“ (220–245), dann um das Thema „Sittlichkeit und die Dynamik der Nachfolge Jesu“ (246–252) und schließlich um „Alfred Kardinal Bengsch und die ‚Hinweise zur pastoralen Besinnung nach der Enzyklika Humanae vitae’“ (253–259). In diesem Teil werden die Fragen der Ehepastoral im engeren Sinn behandelt, inwieweit nämlich die Eheleute aufgrund ihrer Umstände und persönlichen Situation in der Lage bzw. willens sind, die Weisungen von „Humanae vitae“ anzunehmen und zu verwirklichen. Sehr richtig zeigt der Verfasser auf, dass das „Gesetz der Gradualität“ nicht mit einer „Gradualität des Gesetzes“ verwechselt werden darf. D.h. gerade um des Heiles der Gläubigen willen und in Übereinstimmung mit der von der Kirche im Namen Jesu zu praktizierenden Barmherzigkeit bei schuldhaftem Versagen darf kein Abstrich von der Norm als solcher gemacht werden, da sich diese als Weg zum Heil und auch zu einem auf Erden bereits möglichen Glück in Ehe und Familie erweist. Im Gegensatz zur Königsteiner Erklärung steht das Pastoralschreiben von Kardinal Bengsch in voller Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche, wie Schulz aufzeigt.

Ein Abkürzungs- und Literaturverzeichnis (263–289) beschließt die Studie.

Der Verfasser hat eine fundierte und lesenswerte Arbeit über das Verhältnis von kirchlichem Lehramt, sittlicher Normativität und dem in Gewissen erfahrenen Anspruch des sittlich Guten vorgelegt. Exemplarisch zeigt er dies in positiver Darstellung und Analyse der Enzyklika „Humanae vitae“ Papst Pauls VI. auf, wodurch er 40 Jahre nach diesem Schreiben einen wichtigen Dienst für Theologie und Pastoral leistet. Die jetzt im Druck vorliegende Dissertation ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Verbindung theologischer Forschung im Bereich der Fundamentalmoral und einer Fragestellung aus der speziellen Moraltheologie. Für alle, die sich der Mühe des Begriffes und der Argumentation unterziehen wollen und die im Sinn eines „sentire cum Ecclesia“ nach Orientierung und Vertiefung im angesprochenen Themenbereich suchen, ist das Buch auf jeden Fall zu empfehlen!