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Das Apostolische Schreiben Papst Johannes Pauls II. „Novo Millennio Ineunte“
Kommentierende Hinführung in vier Teilen (Februar 2001)

Josef Spindelböck

1. Sendung am 03.02.2001

Liebe Hörerinnen und Hörer von „Radio Maria“!

Am Fest der Erscheinung des Herrn, also am 6. Januar 2001, wurde das Heilige Jahr der 2000-Jahr-Feier der Menschwerdung des Sohnes Gottes beendet. Der Heilige Vater, Papst Johannes Paul II., hat zu diesem Anlaß ein Apostolisches Schreiben mit dem Titel „Novo Millennio Ineunte“ (= Zu Beginn des neuen Jahrtausends“ veröffentlicht. Es richtet sich

An die Bischöfe, den Klerus,
die Ordensleute
und an die Gläubigen
zum Abschluss
des grossen Jubiläums
des Jahres 2000.

In diesem Dokument möchte er der Kirche Wegweisung geben für das eben begonnene 3. Jahrtausend nach Christus.

Das Heilige Jahr wurde verkündet mit der Bulle Incarnationis mysterium vom 29. November 1998. Bereits am 10. November 1994 hatte der Heilige Vater das Apostolische Schreiben Tertio millennio adveniente veröffentlicht, in dem er die Jahre der Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2000 beschrieb. Im Zentrum stand die Heiligste Dreifaltigkeit: Durch Christus sollten die Menschen im Heiligen Geist zu Gott dem Vater geführt werden.

Ein „Heiliges Jahr“ ist eine besondere Zeit der Gnade. Reich war das Programm dieses Jahres, vor allem in der Ewigen Stadt Rom. Gläubige konnten in Rom sowie in ausgewählten Kirchen auf der ganzen Erde, ja an jedem Ort (z.B. durch Krankenbesuche unter Einhaltung der besonderen Bedingungen) den „Jubiläumsablaß“ gewinnen, eine besondere Gnadenhilfe von Gott, um die Folgen von Schuld und Sünde leichter aufzuarbeiten, die uns oft so sehr belasten. Christus hat uns von allem Bösen erlöst und die Fülle der Gnade und der Wahrheit geschenkt. Dessen durften wir uns im vergangenen „Jubeljahr“ aufs neue bewußt werden!

Wenn jetzt das „Heilige Jahr 2000“ zu Ende ist und die „Heilige Pforte“ geschlossen wurde, heißt das jetzt auch, daß die Gnadenströme geringer werden? Eben diesem falschen Eindruck möchte der Heilige Vater entgegentreten. Er zeigt uns, daß die Tore des Erlösers weiterhin offen stehen für alle, die in Glaube und Liebe zu ihm kommen. Auch wir sollen unsere Herzen weiterhin für Jesus Christus öffnen. Dazu möge uns die heilige Jungfrau und Gottesmutter Maria eine mächtige Fürbitterin und Helferin sein!

An den kommenden Samstagen im Februar wollen wir das neue Schreiben des Papstes zur Grundlage unserer Überlegungen machen. Der Kirche ist ja im Amt des Petrus ein wichtiges Fundament gegeben gegen alle Bedrohung von innen und außen. Der Heilige Geist leitet den Nachfolger des Apostels Petrus, den jeweiligen Papst, damit er die Kirche als guter Hirte und sichtbarer Stellvertreter Jesu Christi gut durch die Zeit geleitet. So sind auch die Worte dieses Apostolischen Schreibens ein hoffnungsvolles und wegweisendes Programm für die Kirche im neuen Jahrtausend!

Der Heilige Vater legt der Kirche gleichsam ein „Pastoralprogramm“ vor, daß es zu bedenken, auszufalten und vor allem zu leben gilt. Dies ist eine Aufgabe für Bischöfe, Priester und Diakone, für Ordensleute und Laien, für jung und alt, für katholische Christen in allen Lebensständen und mit der Einladung an alle Menschen guten Willens.

Das Evangelium Christi, seine Gnade und Liebe, sind ein unschätzbares Geschenk für jeden Menschen. Denn es ist Christus, der das Geheimnis und die Würde des Menschseins neu bewußt macht und begründet hat durch seine heilige Menschwerdung, durch sein Leiden und Kreuz und durch seine Auferstehung.

Das päpstliche Schreiben besteht aus vier Teilen:

1. DIE BEGEGNUNG MIT CHRISTUS, DAS ERBE DES GROSSEN JUBILÄUMS

2. DAS ANTLITZ, DAS ES ZU BETRACHTEN GILT

3. NEU ANFANGEN BEI CHRISTUS

4. EINE ZUKUNFT DER LIEBE

Die Einleitung des Apostolischen Schreibens (Nr. 1–3)

Die ersten Sätze lauten:

Zu Beginn des neuen Jahrtausends, während das Große Jubiläum zu Ende geht, in dem wir die zweitausend Jahre zurückliegende Geburt Jesu gefeiert haben, und sich für die Kirche ein neuer Wegabschnitt eröffnet, hallen in unserem Herzen die Worte wider, mit denen einst Jesus, nachdem er vom Boot des Simon aus zur Volksmenge gesprochen hatte, den Apostel aufforderte, zum Fischen auf den See hinauszufahren: »Duc in altum!« [Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus!] (Lk 5,4). Petrus und die ersten Gefährten vertrauten dem Wort Christi und warfen ihre Netze aus. »Das taten sie und fingen eine große Menge Fische« (Lk 5,6).

»Duc in altum!«. Dieses Wort erklingt heute für uns und lädt uns ein, dankbar der Vergangenheit zu gedenken, leidenschaftlich die Gegenwart zu leben und uns vertrauensvoll der Zukunft zu öffnen: »Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13,8).

Mit einem Schriftwort eröffnet der Heilige Vater also sein Schreiben. Es ist ein Aufruf zum unbedingten Vertrauen in die Worte Christi. So wie die Apostel das Netz auswarfen und einen reichen Fischfang hatten, weil sie dem Wort Jesu glaubten, ähnlich wird auch die Kirche ihr Netz mit vielen Menschen aus allen Völkern und Nationen füllen dürfen, denen sie das Evangelium in Liebe verkündet. Worauf es ankommt in dieser schwierigen und zugleich verheißungsvollen Zeit, ist der Glaube an das Wort Christi!

In Dankbarkeit blickt der Papst zurück auf das Geschenk des Heiligen Jahres (Nr. 2), das durch Gottes Gnade reiche Früchte bringen möge, und zugleich richtet er den Blick der Kirche auf die Zukunft, Christus entgegen, der alles einmal vollenden wird im Reiche Gottes. Auch die Gegenwart ist Gnadenzeit: „Jetzt gilt es, die empfangene Gnade zu beherzigen und sie in eifrige Vorsätze und konkrete Maßstäbe zum Handeln umzusetzen. Zu dieser Aufgabe möchte ich alle Ortskirchen einladen.“ (Nr. 3)

Der erste Teil des Schreibens (Nr. 4–15):
DIE BEGEGNUNG MIT CHRISTUS,
DAS ERBE DES GROSSEN JUBILÄUMS

Das vergangene Heilige Jahr wird hier noch einmal in wesentlichen Zügen zusammengefaßt. Was erscheint dem Heiligen Vater besonders wichtig in diesem zu Ende gegangenen Jubiläumsjahr?

Da ist zuerst eine große Dankbarkeit, die der Papst zum Ausdruck bringt für alles, was die Kirche in diesem Gnadenjahr feiern und von Gott empfangen durfte. Das Heil in Christus ist bleibend gegenwärtig. Es hat sich im Heiligen Jahr erwiesen, „daß zweitausend Jahre Geschichte vergangen sind, ohne die Frische jenes »heute« zu entkräften, mit dem die Engel den Hirten das wunderbare Ereignis der Geburt Jesu in Betlehem verkündeten: »Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr« (Lk 2,11).“ (Nr. 4) Auch wir leben in diesem „Heute“ des Glaubens und erfahren täglich Gottes Nähe!

Gottes Sohn ist Mensch geworden vor 2000 Jahren, in der „Fülle der Zeit“. So hat sich in der Feier des Heiligen Jahres gezeigt: „Der in seinem göttlichen und menschlichen Geheimnis erfaßte Christus ist das Fundament und der Mittelpunkt der Geschichte, er ist ihr Sinn und ihr letztes Ziel.“ (Nr. 5) Geschichte ist bleibend Heilsgeschichte, dem Ziel der ewigen Vollendung entgegen!

Wesentlich in diesem Heiligen Jahr war nach Auffassung des Heiligen Vaters die „Reinigung des Gedächtnisses“, also die persönliche und die gemeinschaftliche Bitte der ganzen Kirche um Vergebung für alle Sünden und Verfehlungen. So ist der Papst selber am 12. März 2000 in der Petersbasilika, den Blick fest auf den Gekreuzigten gerichtet, gleichsam zur Stimme der Kirche geworden“ und hat „die Vergebungsbitte für die Sünde aller ihrer Söhne und Töchter geleistet“ (Nr. 6).

Ein weiterer Höhepunkt war die Erinnerung an die Zeugen des Glaubens, also an die Heiligen und die Märtyrer. In ihnen kommt das Geheimnis der Kirche am besten zum Ausdruck. Dabei hat der Heilige Vater in einer eindrucksvollen Feier im Kolosseum am 7. Mai 2000 besonders der Glaubenszeugen und Märtyrer des 20. Jh. gedacht. (Nr. 7)

Die vielen Menschen, die in diesem Jahr nach Rom zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus gepilgert sind, waren zugleich ein Zeichen für die pilgernde Kirche Gottes. Unser Ziel ist die ewige Heimat bei Gott im Himmel, dahin sind wir unterwegs „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes“ (Augustinus). (Nr. 8)

Überaus beeindruckend war für den Heiligen Vater und für viele Menschen die Feier des Weltjugendtages in Rom in diesem Heiligen Jahr. Die Jugendlichen haben sich dabei „als ein besonderes Geschenk des Geistes Gottes für Rom und für die Kirche erwiesen“ (Nr. 9). Bei ihnen liegt die Zukunft der Kirche. Jesus Christus vermag auch junge Menschen immer wieder neu anzusprechen und ihnen Licht und Kraft für ihr Leben zu geben, damit sie eine „radikale Glaubens- und Lebensentscheidung“ für Gott treffen können.

Weitere herausragende Begegnungen in diesem Heiligen Jahr erfolgten mit den Kindern und Familien, den Arbeitern, Gefangenen und Schauspielern und vielen anderen: „von den Alten bis zu den Kranken und Behinderten, von den Handwerkern und Landarbeitern bis zu den Sportlern, von den Künstlern bis zu den Universitätsdozenten, von den Bischöfen und Priestern bis zu den Männern und Frauen des geweihten Lebens, von den Politikern bis zu den Journalisten und zu den Soldaten, die gekommen sind, um den Sinn ihres Dienstes als einen Dienst am Frieden zu bekräftigen.“ (Nr. 10)

Das Heilige Jahr war schließlich ein eucharistisches Jahr, in dem die Heilige Messe und die bleibende Gegenwart Christi im Allerheiligsten Sakrament des Altares im Mittelpunkt standen. Zugleich war es ein marianisches Jahr, das nach den Worten des Papstes geprägt war „vor allem durch den großen Weiheakt, mit dem ich, im Beisein eines ansehnlichen Teiles des Weltepiskopates, das Leben der Männer und Frauen des neuen Jahrtausends ihrer mütterlichen Sorge anvertraut habe.“ (Nr. 11)

Im Heiligen Jahr kam es zur Begegnung der Gläubigen aus den verschiedenen Diözesen und Ländern, die miteinander den Reichtum der einen Kirche Christi ausmachen. Auch war das Anliegen der Einheit aller Christen (die Ökumene) wichtig. Hier schreibt der Heilige Vater: „Der ökumenische Weg bleibt sicher mühsam, vielleicht ist er noch lang, doch beseelt uns die Hoffnung, daß wir geleitet werden von der Gegenwart des Auferstandenen und von der unerschöpflichen Kraft seines Geistes, die zu immer neuen Überraschungen fähig ist.“ (Nr. 12)

Ein persönlicher Höhepunkt war für den Heiligen Vater die Wallfahrt zu den heiligen Stätten des Glaubens, nämlich an den Sinai als Ort des Bundesschlusses Gottes mit dem auserwählten Volk Israel sowie ins Heilige Land: „Die Ergriffenheit läßt sich kaum ausdrücken, die mich überwältigte, als ich den Stätten der Geburt und des Lebens Jesu Christi meine Verehrung erweisen, die Eucharistie im Abendmahlsaal, am Ort ihrer Einsetzung, feiern, und auf Golgotha, wo er sein Leben für uns hingegeben hat, neu über das Geheimnis des Kreuzes nachdenken durfte.“ (Nr. 13)

In der Perspektive der christlichen Nächstenliebe war es der Kirche in diesem Jubeljahr ein Anliegen, beitragen zu helfen zu einem Abbau der Verschuldung der armen Länder. Es geht darum, Beziehungen der Gerechtigkeit und der Solidarität herzustellen, da davon „die weitere Entwicklung vieler Länder mit weitreichenden Konsequenzen für die wirtschaftliche und existentielle Situation so vieler Menschen abhängt.“ (Nr. 14)

Das Wichtigste im Heiligen Jahr 2000 war es freilich, daß die Kirche ihren Herrn Jesus Christus, gleichsam sein „Angesicht“, neu entdeckt hat und versucht, ihm nachzufolgen: „Jesus Christus wurde in seinen historischen Zügen und in seinem Geheimnis angeschaut, in seiner vielfältigen Gegenwart in der Kirche und in der Welt aufgenommen, als Sinn der Geschichte und Licht auf unserem Weg bekannt.“ (Nr. 15) Die in diesem Jahr empfangenen Gnaden und die erfahrene Begeisterung gilt es umzusetzen in konkrete Taten, in ein wirksames seelsorgliches Programm. Dabei darf freilich nicht das äußere Tun an erster Stelle stehen, sondern alles muß im Gebet zu Gott und in der Betrachtung der Heilsgeheimnisse verwurzelt sein.

Das Apostolische Schreiben „Novo Millennio Ineunte“ möchte in den weiteren Teilen dazu eine Hilfestellung leisten: „In diesem Geist möchte ich, bevor ich euch einige praktische Leitlinien zur Überlegung vorlege, manche Anregungen zur Meditation über das Geheimnis Christi geben. Er ist ja das absolute Fundament unseres ganzen pastoralen Wirkens.“

Dieser zweite Teil des Apostolischen Schreibens, der den Titel trägt: „Das Antlitz, das es zu betrachten gilt“, soll dann in einer Woche vorgestellt werden!

Bis dahin wünsche ich Ihnen den Schutz und Segen Gottes auf die Fürsprache der Heiligen Jungfrau und Gottesmutter Maria und ihres Bräutigams, des heiligen Josef!

Gelobt sei Jesus Christus!


2. Sendung am 10.02.2001

Der zweite Teil des Schreibens (Nr. 16–28):
DAS ANTLITZ,
DAS ES ZU BETRACHTEN GILT

Liebe Hörerinnen und Hörer von „Radio Maria“!

 

Wir wollen uns heute dem zweiten Teil des Apostolischen Schreibens „Novo Millennio Ineunte“ von Papst Johannes Paul II. zuwenden. In diesem Schreiben gibt der Papst der Kirche Wegweisung für das eben begonnene dritte Jahrtausend. Der zweite Teil trägt den Titel: „Das Antlitz, das es zu betrachten gilt“.

Welches Antlitz ist dies? Der Heilige Vater weist uns auf das Antlitz Christi hin, auf seine Persönlichkeit, auf die lebendige Gegenwart Christi in der Kirche durch alle Zeiten bis zum Ende der Welt und auf die Notwendigkeit einer Begegnung mit ihm. Ja, wir alle sind eingeladen, Christus näher zu kommen im Glauben und durch das Gebet und auf diese Weise in einer freundschaftlichen Beziehung zu unserem Herrn zu stehen!

Nur wenn dies der Fall ist, können Christen ihren Glauben weitergeben; dann werden andere Menschen durch uns zu Jesus finden und sein Antlitz entdecken. Daher bleibt auch nach dem Jubiläumsjahr 2000 der Blick der Kirche fest auf das Antlitz Christi gerichtet (Nr. 16).

Um Jesus Christus zu begegnen, ist uns die Heilige Schrift eine unerläßliche Hilfe. Denn die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen, sagt der Heilige Hieronymus. Im Neuen Testament erfüllt sich, was im Alten Testament angedeutet und verheißen wurde. Die heiligen Evangelien bieten uns das Zeugnis jener, die dem Herrn persönlich begegnet sind: es ist eine Schau des Glaubens, die auf einem zuverlässigen geschichtlichen Zeugnis begründet ist (Nr. 17).

Die wesentlichen Ereignisse des Lebens Jesu und seine Botschaft vom Reich Gottes, seine Wunder, sein Leiden und Sterben und seine Auferstehung – all das wird uns in den Evangelien erzählt und berichtet. Der Papst schreibt in diesem Zusammenhang:

„Die Erzählung der Evangelien spitzt sich dann in der wachsenden Spannung zu, die zwischen Jesus und den in der religiösen Gesellschaft seiner Zeit auftauchenden Gruppen entsteht. Es kommt schließlich zur Krise, die auf Golgota ihren dramatischen Epilog findet. Es ist die Stunde der Finsternis, auf die ein neuer, strahlender und endgültiger Morgen folgt. Denn die Evangelienberichte zeigen am Ende den Nazarener als Sieger über den Tod, sie weisen auf sein leeres Grab hin und folgen ihm in der Reihe der Erscheinungen, bei denen die Jünger, die — zuerst ratlos und verstört — später von unsagbarer Freude erfüllt werden, ihn lebend und strahlend erfahren und von ihm die Gabe des Geistes (vgl. Joh 20,22) und den Auftrag empfangen, »allen Völkern« das Evangelium zu bringen (Mt 28,19).“ (Nr. 18)

Entscheidend für die Apostel als die ersten Zeugen von Leben, Tod und Auferstehung Jesu und auch für uns ist der Glaube. Nur im Glauben dringen wir vor zur letzten und tiefsten Wirklichkeit der Person Jesu Christi. Als Jesus seine Jünger fragte, für wen ihn wohl die Menschen halten würden, da gab es von diesen keine klare Antwort: Es dürfte sich um einen der großen Propheten handeln, meinten sie. Nur Petrus bekannte im Namen der ganzen Kirche die volle Wahrheit, die er im Glauben an Gott erkannte: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). (Nr. 19)

Allerdings war Petrus zu dieser Glaubenseinsicht nicht durch menschliches Nachdenken gelangt, sondern durch die Offenbarung des himmlischen Vaters. Daher ist auch für die Kirche und für uns alle eine Atmosphäre des Gebetes und des schweigenden Hinhörens auf das Wort Gottes wichtig, um die Wahrheit Gottes aufzunehmen und das Antlitz Christi zu erkennen (Nr. 20).

Die Kirche hat ihre Glaubensüberzeugung auf dem Konzil von Chalkedon (451) in gültiger Weise im Bekenntnis formuliert: Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch in der einen Person des göttlichen Wortes (Nr. 21). In der Menschwerdung hat sich der ewige Sohn Gottes entäußert: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Er ist in allem uns gleich geworden, außer der Sünde, ein wahrer Mensch wie wir (Nr. 22). Dies alles hat Gott getan um unseres Heiles willen. Der Papst schreibt daher: „Auf dieser soteriologischen Dimension des Geheimnisses der Menschwerdung Gottes haben die Kirchenväter nachdrücklich bestanden: Nur weil der Sohn Gottes wirklich Mensch geworden ist, kann der Mensch in ihm und durch ihn wirklich Kind Gottes werden.“ (Nr. 23)

In den Evangelien wird auf vielfache Weise bezeugt, daß Jesus Christus sich auch als Mensch seiner Einheit mit dem Vater im Himmel bewußt war: Er bekannte sich als der einzige Sohn des Vaters, den dieser in die Welt gesandt hatte, damit wir durch den Glauben an ihn das Leben haben. Gegenüber rationalistischen Tendenzen in der Bibelauslegung schreibt Papst Johannes Paul II. in diesem Schreiben „Novo Millennio Ineunte“: „So sehr es zulässig ist anzunehmen, daß wegen der menschlichen Verfassung, die ihn an Weisheit und Gnade zunehmen ließ (vgl. Lk 2,52), auch das menschliche Bewußtsein seines Geheimnisses Fortschritte machte bis zum vollen Ausdruck seiner verherrlichten Menschheit, besteht gleichzeitig kein Zweifel daran, daß sich Jesus bereits in seiner historischen Existenz seiner Identität als Sohn Gottes bewußt war.“ (Nr. 24)

Das Geheimnis des Sohnes Gottes, der sich aus Liebe für die Menschen hingibt, offenbart sich in seiner größten Tiefe am Kreuz. Es ist der Augenblick, wo der Sohn von seinem Vater scheinbar verlassen ist, weil er stellvertretend für uns Menschen die Sünde auf sich nimmt. Das Antlitz Jesu ist in dieser Stunde das „Antlitz voller Schmerzen“. Der Heilige Vater schreibt: „Um dem Menschen das Angesicht des Vaters zurückzugeben, mußte Jesus nicht nur das Gesicht des Menschen annehmen, sondern sich sogar das »Gesicht« der Sünde aufladen. »Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden« (2 Kor 5,21).“ (Nr. 25)

Aber wie ist diese Gottverlassenheit Jesu am Kreuz zu deuten? Als wahrer Gott ist er dem Vater gleich und immer mit ihm verbunden und hat teil an seiner Freude und seinem ewigen Glück. In seiner Menschheit nahm er freiwillig körperliches und seelisches Leiden auf sich. Papst Johannes Paul II. faßt zusammen: „Liebe Brüder und Schwestern, der Schrei Jesu am Kreuz verrät nicht die Angst eines Verzweifelten, sondern das Gebet des Sohnes, der sein Leben dem Vater in Liebe darbringt, um allen das Heil zu bringen. Während er sich mit unserer Sünde identifiziert, überläßt der vom Vater Verlassene sich den Händen des Vaters. Sein Blick bleibt auf den Vater gerichtet. Eben wegen der Kenntnis und Erfahrung, die nur er von Gott hat, sieht er auch in diesem Augenblick der Finsternis klar die Schwere der Sünde und leidet dafür. Nur er, der den Vater sieht und darüber Freude in Fülle empfindet, ermißt bis zum Letzten, was es heißt, mit der Sünde seiner Liebe zu widerstehen.“ (Nr. 26)

Manche Heiligen durften teilweise ähnliche Erfahrungen in der Nachfolge Christi machen: Sie erlebten unsagbare geistliche Freude über Gott und auch Stunden der Dunkelheit und der Prüfung. Die heilige Katharina von Siena schreibt, indem sie Gott Vater sprechen läßt: „Die Seele ist selig und leidet Schmerz: sie leidet wegen der Sünden des Nächsten, sie ist selig über die Eintracht und die Zuneigung der Liebe, die sie in sich empfangen hat. Seligkeit und Schmerz ahmen das unbefleckte Lamm nach, meinen eingeborenen Sohn, der am Kreuz selig war und Schmerz litt.“ Auch Therese von Lisieux durfte ihren Todeskampf in Einheit mit dem Todeskampf Christi auf folgende Weise erleben: „Unser Herr im Garten Getsemani erfreute sich aller Freuden der Dreifaltigkeit, doch sein Todeskampf war nicht weniger grausam. Es ist ein Geheimnis, doch ich versichere Ihnen, daß ich aus dem, was ich selbst erlebe, etwas davon begreife.“ (Nr. 27)

Letztlich ist es aber immer das „Antlitz des Auferstandenen“, das die Kirche betrachtet und in dem ihre eigene Vollendung bereits aufleuchtet. Der Gekreuzigte ist der Auferstandene! Bedenken wir den Abschnitt Nr. 28 des Apostolischen Schreibens „Novo Millennio Ineunte“ in vollem Wortlaut, in dem der Heilige Vater der Kirche die Quelle wahrer Hoffnung und Zuversicht im Auferstandenen erschließt:

“Wie am Karfreitag und am Karsamstag versenkt sich die Kirche auch weiterhin in die Betrachtung dieses blutüberströmten Angesichtes, in dem das Leben Gottes verborgen ist und die Rettung der Welt angeboten wird. Aber ihre Betrachtung des Angesichtes Christi kann nicht beim Bild des Gekreuzigten stehenbleiben. Er ist der Auferstandene! Wenn es nicht so wäre, dann wäre unsere Verkündigung leer und unser Glaube sinnlos (vgl. 1 Kor 15,14). Die Auferstehung war die Antwort des Vaters auf seinen Gehorsam, wie der Hebräerbrief ausführt: »Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden« (5,7–9).

Es ist der auferstandene Christus, auf den die Kirche jetzt schaut. Dabei folgt sie dem Beispiel des Petrus, der wegen seiner Verleugnung Tränen vergoß. Dann aber nahm er seinen Weg wieder auf und bekannte mit verständlichem Bangen Christus seine Liebe: »Du weißt, daß ich dich liebe« (Joh 21,15–17). Die Kirche stellt sich auch an die Seite des Paulus, der dem Auferstandenen auf dem Weg nach Damaskus begegnete und davon wie vom Blitz getroffen war: »Für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn« (Phil 1,21).

Zweitausend Jahre nach diesen Ereignissen erlebt die Kirche sie wieder, als wären sie heute geschehen. Im Angesicht Christi betrachtet sie, die Braut, ihren Schatz, ihre Freude. »Dulcis Iesu memoria, dans vera cordis gaudia«: Wie süß ist die Erinnerung an Jesus, die Quelle echter Herzensfreude! Durch diese Erfahrung gestärkt, nimmt die Kirche heute ihren Weg wieder auf, um der Welt zu Beginn des dritten Jahrtausends Christus zu verkünden: Er »ist derselbe – gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13,8).“ (Nr. 28)

Damit endet die Vorstellung des zweiten Teils des Apostolischen Schreibens Papst Johannes Pauls II. „Novo Millennio Ineunte“ zum Beginn des dritten christlichen Jahrtausendes. In der nächsten Sendung, heute in einer Woche, wollen wir den dritten Teil gemeinsam bedenken. Sein Titel lautet: „Neu anfangen bei Christus“.


3. Sendung am 17.02.2001

Der dritte Teil des Schreibens (Nr. 29–41):
NEU ANFANGEN BEI CHRISTUS

Im dritten Teil des Apostolischen Schreibens „Novo Millennio Ineunte“ geht es dem Heiligen Vater, Papst Johannes Paul II., darum, den Gläubigen konkrete Wegweisungen und Linien für die Erneuerung des geistlichen Lebens in Einheit mit Jesus Christus zu Beginn des dritten Jahrtausends aufzuzeigen. Freilich können seine Hinweise nur den Rahmen abstecken für die persönliche Entfaltung und Vertiefung im Glauben sowie im Leben daraus. An uns liegt es, ob wir die Stimme Christi hören, die zu uns durch den Nachfolger des Apostels Petrus spricht, und ob wir bereit sind, gemäß diesen Orientierungen unser Leben aus dem Glauben zu gestalten.

Wenn die Kirche ein „Programm“ sucht, dann kann sie dieses letztlich nur in ihrem Herrn Jesus Christus finden, wie er als Auferstandener allezeit gegenwärtig ist bei denen, die an ihn glauben. So schreibt der Papst in Nr. 29: „Es geht also nicht darum, ein »neues Programm« zu erfinden. Das Programm liegt schon vor: Seit jeher besteht es, zusammengestellt vom Evangelium und von der lebendigen Tradition. Es findet letztlich in Christus selbst seine Mitte. Ihn gilt es kennenzulernen, zu lieben und nachzuahmen, um in ihm das Leben des dreifaltigen Gottes zu leben und mit ihm der Geschichte eine neue Gestalt zu geben, bis sie sich im himmlischen Jerusalem erfüllt. Das Programm ändert sich nicht mit dem Wechsel der Zeiten und Kulturen, auch wenn es für einen echten Dialog und eine wirksame Kommunikation die Zeit und die Kultur berücksichtigt. Es ist unser Programm für das dritte Jahrtausend.“

Zugleich betont der Heilige Vater, daß dieses Programm übersetzt werden muß in die Verhältnisse der einzelnen Teilkirchen, welche von den Bischöfen geleitet werden. Denn „in den Ortskirchen kann man jene konkreten programmatischen Züge festschreiben, die es der Verkündigung Jesu Christi erlauben, die Personen zu erreichen, die Gemeinschaften zu formen und durch das Zeugnis in die Gesellschaft und die Kultur tief einzuwirken. Zu diesen programmatischen Zügen gehören Arbeitsziele und -methoden, Ausbildung und Förderung der Mitarbeiter sowie die Suche der notwendigen Mittel.“ (ebd.)

Wichtig ist hier immer die Verbundenheit mit der Weltkirche und mit den anderen Ortskirchen, was sich durch die gelebte Kollegialität der Bischöfe in Bischofskonferenzen und Bischofssynoden besonders verwirklicht – natürlich unter Voraussetzung der notwendigen Einheit mit dem Papst als dem Nachfolger Petri und sichtbaren Stellvertreter Jesu Christi auf Erden.

In diesem Schreiben „Novo Millennio Ineunte“ möchte der Papst auf besondere Schwerpunkte und Dringlichkeiten für die Seelsorge hinweisen, auf „pastorale Prioritäten“, die sich gerade in unserer Zeit für die Verkündigung des Evangeliums und für ein Leben daraus stellen.

An erster Stelle stehen nicht irgendwelche strukturelle Reformen des kirchlichen Lebens, sondern der allgemeine und stets gültige Aufruf Christi zur Heiligkeit. Mit den Worten des letzten Konzils betont der Papst: »Alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges sind zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen« (LG 40). Die Heiligkeit ist also kein Leistungssport für einige wenige Auserwählte, sondern sie ist in der Vollendung der christlichen Liebe zu finden – ein Ziel, das wir alle anstreben und mit Gottes Hilfe erreichen dürfen. Dazu schreibt der Papst: „Das Konzil selbst hat erklärt, daß man dieses Ideal der Vollkommenheit nicht falsch verstehen darf, als sei es eine Art außerordentlichen Lebens, das nur von einigen »Genies« der Heiligkeit geführt werden könnte. Die Wege der Heiligkeit sind vielfältig, und der Berufung eines jeden angepaßt.“ (Nr. 31)

Christsein heißt mit dem lebendigen und heiligen Gott verbunden sein. Jesus Christus ist der Bräutigam der Kirche. Für sie hat er sich hingegeben, um sie zu heiligen. Jeder Getaufte hat an dieser Heiligkeit der Kirche, die ihr von Gott geschenkt ist, Anteil. Dieses Geschenk Gottes (die objektive Heiligkeit) setzt sich in eine Aufgabe für jeden Menschen um (die subjektive Heiligkeit): Es ist das Bemühen, aus der Taufgnade zu leben und die Gebote Gottes im Leben der Gottes- und Nächstenliebe zu verwirklichen.

Das Christentum darf sich nicht mit einem Minimalismus begnügen, sondern muß aus der Radikalität der Bergpredigt leben, wo Jesus die Ganzhingabe an den Willen des himmlischen Vaters verlangt, um so die Menschen zur wahren Seligkeit zu führen. Ein pastorales Programm, das unter dem Vorzeichen der Heiligkeit steht, wird seine Früchte bringen für das Leben der Kirche und der Welt. „Ich danke dem Herrn, daß er es mir geschenkt hat, in diesen Jahren so viele Christen selig- und heiligsprechen zu dürfen. Darunter waren auch viele Laien, die unter Bedingungen, wie sie das ganz gewöhnliche Leben vorgibt, heilig wurden. Es ist jetzt an der Zeit, allen mit Überzeugungskraft diesen »hohen Maßstab« des gewöhnlichen christlichen Lebens neu vor Augen zu stellen. Das ganze Leben der kirchlichen Gemeinschaft und der christlichen Familien muß in diese Richtung führen. Es ist aber auch offenkundig, daß die Wege der Heiligkeit persönliche Wege sind.“ (Nr. 31)

Gott ruft uns alle mit einem ganz persönlichen Namen. Er kennt uns, und er liebt uns. Er führt uns auf guten Wegen unserem ewigen Ziel entgegen. Er ist es, der uns heiligt. Wir müssen nur bereit sein dazu und mit seiner Gnade mitwirken!

Dieser allgemeine Aufruf zur Heiligkeit setzt sich konkret um in verschiedenen Bereichen. Ein ganz wichtiger Lebensbereich des Christen ist das Gebet, auf das der Papst nun näher eingeht.

Es ist gleichsam der Lebensnerv des christlichen Lebens, der Atem der Seele, ohne den sie geistlich tot ist, weil ihr die Verbindung mit Gott, der die Liebe und das Leben ist, fehlt. Sowohl das persönliche als auch das liturgische Gebet der Kirche muß sich an einer „trinitarischen Logik“ inspirieren: „Vom Heiligen Geist gewirkt, macht“ uns dieses Gebet „durch Christus und in Christus offen, damit wir das Antlitz des Vaters betrachten können.“ (Nr. 32)

Entgegen einer manchmal vertretenen Annahme, das Gebet sei gleichsam ein „alter Hut“ und tauge nichts für die Bewältigung der Probleme der Gegenwart und der Zukunft, wagt der Heilige Vater im Schreiben „Novo Millennio Ineunte“ folgende Einschätzung:

„Ist es nicht vielleicht ein »Zeichen der Zeit«, daß man heute in der Welt trotz der weitreichenden Säkularisierungsprozesse ein verbreitetes Bedürfnis nach Spiritualität verzeichnet, das größtenteils eben in einem erneuerten Gebetsbedürfnis zum Ausdruck kommt? Auch die anderen Religionen, die nunmehr in den alten Christianisierungsgebieten weit verbreitet sind, bieten ihre eigenen Antworten auf dieses Bedürfnis an und tun dies manchmal mit gewinnenden Methoden. Da uns die Gnade gegeben ist, an Christus zu glauben, den Offenbarer des Vaters und Retter der Welt, haben wir die Pflicht zu zeigen, in welche Tiefe die Beziehung zu ihm zu führen vermag.“ (Nr. 33)

Anschließend weist er auf den reichen Schatz an Gebetserfahrung hin, den die Kirche bei sich trägt und auch heute wieder fruchtbar machen kann. Auch diese Aussagen sind es wert, daß wir sie in vollem Wortlaut bedenken. Der Papst schreibt:

„Die große mystische Tradition der Kirche im Osten wie im Westen hat diesbezüglich viel zu sagen. Sie zeigt, wie das Gebet Fortschritte machen kann. Als wahrer und eigentlicher Dialog der Liebe kann er die menschliche Person ganz zum Besitz des göttlichen Geliebten machen, auf den Anstoß des Heiligen Geistes hin bewegt und als Kind Gottes dem Herzen des Vaters überlassen. Dann macht man die lebendige Erfahrung der Verheißung Christi: »Wer mich liebt, wird von meinem himmlischen Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren« (Joh 14,21). Es handelt sich um einen Weg, der ganz von der Gnade gehalten ist und dennoch einen starken geistlichen Einsatz verlangt. Er kennt auch schmerzvolle Reinigungen (die »dunkle Nacht«), führt aber in verschiedenen möglichen Weisen zur unsagbaren Freude, die von den Mystikern als »bräutliche Vereinigung« erlebt wurde. Wie kann man an dieser Stelle unter so vielen strahlenden Zeugnissen die Lehre des heiligen Johannes vom Kreuz und der heiligen Theresia von Avila übergehen?

Ja, liebe Schwestern und Brüder, unsere christlichen Gemeinden müssen echte »Schulen« des Gebets werden, wo die Begegnung mit Christus nicht nur im Flehen um Hilfe Ausdruck findet, sondern auch in Danksagung, Lob, Anbetung, Betrachtung, Zuhören, Leidenschaft der Gefühle bis hin zu einer richtigen »Liebschaft« des Herzens. Ein intensives Gebet also, das jedoch nicht von der historischen Aufgabe ablenkt: Denn während es auf Grund seiner Natur das Herz der Gottesliebe öffnet, öffnet es dieses auch der Liebe zu den Brüdern und befähigt sie, die Geschichte nach Gottes Plan aufzubauen.“ (Nr. 33)

Das Gebet bewahrt unser christliches Leben also vor Erstarrung. Es gibt uns auch Wegweisung und Inspiration für das Miteinander als Brüder und Schwestern in Christus. Nur eine Aktion, die wirklich auf der Kontemplation gründet, ist letztlich geistlich fruchtbar!

Ist es richtig, wenn man das vertiefte Gebet nur den Gott besonders geweihten Personen in den verschiedenen Orden und religiösen Gemeinschaften sowie den Bischöfen, Priestern und Diakonen überläßt? Keineswegs: „Aber man ginge fehl, würde man annehmen, die gewöhnlichen Christen könnten sich mit einem oberflächlichen Gebet zufriedengeben, das ihr Leben nicht zu erfüllen vermag. Besonders angesichts der zahlreichen Prüfungen, vor die die heutige Welt den Glauben stellt, wären sie nicht nur mittelmäßige Christen, sondern »gefährdete Christen«. Denn sie würden das gefährliche Risiko eingehen, ihren Glauben allmählich schwinden zu sehen. Schließlich würden sie womöglich dem Reiz von »Surrogaten« [Ersatzformen] erliegen, indem sie alternative religiöse Angebote annehmen und sogar den seltsamen Formen des Aberglaubens nachgeben.“ (Nr. 34)

Darum ist es wichtig, daß auch in den Pfarrgemeinden ein wirkliches „Klima des Gebets“ vorherrscht! Papst Johannes Paul II. schlägt hier vor: „Man müßte mit der gebotenen Unterscheidung die Weisen der Volksfrömmigkeit hochschätzen und das Volk vor allem für die liturgischen Formen bilden. Der Tagesplan einer christlichen Gemeinde müßte die vielfältigen pastoralen Tätigkeiten und das Zeugnis in der Welt mit der Feier der Eucharistie und womöglich mit den Laudes und der Vesper verbinden. Ein solcher Tagesablauf ist denkbarer, als man gemeinhin glauben mag. Das zeigt die Erfahrung vieler christlich engagierter Gruppen, die auch einen hohen Anteil an Laien unter sich verzeichnen.“ (Nr. 34)

Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens bleibt aber die Hochform des liturgischen Betens, nämlich die Feier der heiligsten Eucharistie!

Der Papst bekräftigt hier, „daß die Teilnahme an der Eucharistie für jeden Getauften wirklich das Herz des Sonntags sei. Dies ist ein unverzichtbarer Anspruch, den man nicht nur erfüllt, um einer Pflicht nachzukommen, sondern weil er für ein wahrhaft bewußtes und stimmiges christliches Leben notwendig ist.“ (Nr. 36) Er anerkennt alle Bemühungen um eine würdige Mitfeier der heiligen Messe, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten unternommen worden sind: „Im 20. Jahrhundert, besonders seit dem Konzil, ist die christliche Gemeinde in der Feier der Sakramente, vor allem der Eucharistie, gewachsen. Man muß diese Richtung weiterverfolgen durch besondere Hervorhebung der sonntäglichen Eucharistiefeierund des Sonntagsselbst, der als besonderer Tag des Glaubens, als Tag des auferstandenen Herrn und des Geschenkes des Geistes, als wöchentliches Ostern wahrgenommen wird.“ (Nr. 35)

Im Zentrum steht die Auferstehung des Herrn, die am ersten Tag der Woche geschehen ist: „Die Wahrheit von der Auferstehung Christi ist das Ur-Ereignis, auf dem der christliche Glaube beruht (vgl. 1 Kor 15,14), das Ereignis, das im Zentrum des Geheimnisses der Zeit steht und auf den letzten Tag vorausweist, an dem der glorreiche Christus wiederkommen wird.“ (Nr. 35) So feiert die Kirche nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden Sonntag Ostern!

Überall dort, wo sich die christliche Gemeinde sammelt, um am Sonntag das Opfer Jesu Christi in der heiligen Eucharistie zu feiern, verwirklicht sich Kirche, wird sie erfahrbar. So sammelt die Eucharistie als Sakrament der Einheit „jede Woche am Sonntag die Christen als Familie Gottes um den Tisch des Wortes und des Lebensbrotes.“ (Nr. 36)

Ein weiteres Sakrament, das die Kirche wieder entdecken muß, ist das „Sakrament der Versöhnung“, also der Buße. Auch im neuen Jahrtausend gilt: „Das Bußsakrament ist für einen Christen »der ordentliche Weg, um die Vergebung und die Verzeihung seiner schweren Sünden zu erlangen, die er nach der Taufe begangen hat«.“ (Nr. 37) Auch wenn mancherorts eine „Krise des Sündenbewußtseins“ festzustellen ist, gibt es auch ermutigende Erfahrungen: So „war das Jubiläumsjahr besonders von einer Rückkehr zur sakramentalen Buße geprägt; so hält es eine ermutigende Botschaft bereit, die man nicht unterschlagen sollte: Wenn viele Gläubige, darunter auch zahlreiche Jugendliche, dieses Sakrament fruchtbar empfangen haben, dann müssen wahrscheinlich die Hirten mehr Vertrauen, mehr Phantasie und einen längeren Atem haben, um das Bußsakrament in der Verkündigung vorzulegen und seine Wertschätzung zu fördern. Wir dürfen, liebe Brüder im Priesteramt, vor zeitbedingten Krisen nicht resignieren! Die Gaben des Herrn — und die Sakramente gehören zu den wertvollsten — kommen von Demjenigen, der das Herz des Menschen gut kennt und der der Herr der Geschichte ist.“ (Nr. 37)

Im geistlichen Leben und in der Seelsorge – so der Papst – kommt es nicht zu allererst auf das menschliche Machen und Planen an, so notwendig auch die menschliche Mitwirkung mit Gottes zuvorkommender Gnade ist. Entscheidend ist der Vorrang Christi und des Gebetes, alles übrige wird uns gleichsam dazugegeben werden. Denn ohne Christus können wir nichts vollbringen (vgl. Nr. 38).

Die Kirche muß stets auf das Wort Gottes hören, um es den Menschen immer wieder neu zu verkünden. Darum empfiehlt die Kirche das gläubige und aufmerksame Lesen der Heiligen Schrift, auch in den Familien.

Die Kirche wird sich zu Beginn des 3. Jahrtausends mit erneuertem Engagement der Verkündigung des Evangeliums zuwenden und auf diese Weise die „Neuevangelisierung“ fördern. Wer die Liebe Gottes erfahren hat, kann diese nicht für sich behalten. Daher meint der Heilige Vater: „Ein neuer apostolischer Aufbruch tut not, der als tägliche Verpflichtung der christlichen Gemeinden und Gruppen gelebt werden soll.“ (Nr. 40) Die Verkündigung des Evangeliums und auch die Mission sind das Anliegen aller Glieder der Kirche, nicht nur etwas, da einige wenige „Spezialisten“ betrifft. Dabei sollen alle Menschen erreicht werden, getreu dem Vorbild des Apostels Paulus, der „allen alles werden“ wollte. Die Märtyrer sind der Kirche im Leben aus dem Glauben und im Zeugnis dafür, bis in den Tod hinein, ein bleibendes Vorbild!

Mit diesen Hinweisen endet der 3. Teil des Apostolischen Schreibens „Novo Millennio Ineunte“, das wir an diesen Samstagen im Monat Februar vorstellen wollen. Es ist die Lebenskraft und Gegenwart Christi, die der Kirche eine „Zukunft der Liebe“ eröffnet, wie die Überschrift des 4. Teils betitelt ist. Diesem Abschnitt werden wir uns heute in einer Woche wieder zuwenden, wozu ich Sie jetzt schon ganz herzlich einladen darf!

Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen gib!


4. Sendung am 24.02.2001

Der vierte Teil des Schreibens (Nr. 42–57):
EINE ZUKUNFT DER LIEBE

Liebe Hörerinnen und Hörer von „Radio Maria“!

Der Blick der Kirche ist in lebendiger Erinnerung und Vergegenwärtigung der Heilsgeheimnisse, die in Jesus Christus ihren Höhepunkt und ihre Vollendung finden, auf die Zukunft Gottes ausgerichtet. Das Reich Gottes, das bereits zu uns gekommen ist, wird sich am Ende der Tage auch sichtbar vollenden, wenn Christus wiederkommt und Gott alles in allem sein wird. Der Pilgerweg der Kirche durch die Zeiten ist darum ein Weg der Hoffnung, inmitten der Prüfungen und Drangsale des täglichen Lebens.

Papst Johannes Paul II. möchte mit seinem Apostolischen Schreiben „Novo Millennio Ineunte“ der Kirche einen Dienst der Ermutigung und Bestärkung im Glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes auch im neuen Jahrtausend leisten. Heute wollen wir den vierten Teil besprechen. Er trägt den Titel: „Eine Zukunft der Liebe“.

Zentral für die Kirche ist das neue Gebot des Herrn, das Gebot der Liebe: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“ (Joh 13,34) Nur dann ist die Kirche eine wahre Gemeinschaft in Gott und untereinander, wirkliche „koinonia“ („communio“), also »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (LG 1). Die Liebe ist das „Herz der Kirche“ (Therese von Lisieux). Sie ist unersetzbar.

Bevor konkrete Initiativen zur Förderung der kirchlichen Gemeinschaft unternommen werden, muß es um die Pflege einer „Spiritualität der Gemeinschaft“ gehen. Im Zentrum steht die Allerheiligste Dreifaltigkeit: Denn der eine Gott ist zugleich lebendige Gemeinschaft der drei göttlichen Personen und das Urbild jeder echten menschlichen Gemeinschaft. Dazu schreibt der Heilige Vater:

„Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den Bruder und die Schwester im Glauben in der tiefen Einheit des mystischen Leibes zu erkennen, d.h. es geht um »einen, der zu mir gehört«, damit ich seine Freuden und seine Leiden teilen, seine Wünsche erahnen und mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm schließlich echte, tiefe Freundschaft anbieten kann. Spiritualität der Gemeinschaft ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein »Geschenk für mich«. Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder »Platz machen« können, indem »einer des anderen Last trägt« (Gal 6,2) und den egoistischen Versuchungen widersteht, die uns dauernd bedrohen und Rivalität, Karrierismus, Mißtrauen und Eifersüchteleien erzeugen.“ (Nr. 43)

Einen besonderen Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft leisten „das Petrusamt und, in enger Beziehung zu ihm, die bischöfliche Kollegialität“. Nach den Worten des Papstes handelt es sich dabei „ um Wirklichkeiten, die ihre Grundlage und ihren Bestand im Plan Christi für die Kirche haben, aber eben deshalb einer ständigen Überprüfung bedürfen, damit garantiert bleibt, daß sie wirklich vom Evangelium her inspiriert sind.“ Nicht unbedeutend sind auch „die Reform der Römischen Kurie, die Organisation der Synoden und die Arbeitsweise der Bischofskonferenzen“ (Nr. 44). „Die Räume der Gemeinschaft müssen im gesamten Leben jeder Kirche Tag für Tag auf allen Ebenen gepflegt und ausgeweitet werden. Hier muß die Gemeinschaft zum Strahlen kommen in den Beziehungen zwischen Bischöfen, Priestern und Diakonen, zwischen Hirten und dem ganzen Volk Gottes, zwischen Klerus und Ordensleuten, zwischen kirchlichen Vereinigungen und Bewegungen.“ (Nr. 45) Auch die Priester- und Pastoralräte haben ihren wichtigen Ort in der konkret gelebten kirchlichen Gemeinschaft. Obwohl sie beratenden und nicht entscheidenden Charakter haben, darf ihr Beitrag zum Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft nicht unterschätzt werden. Dazu schreibt der Papst:

„Zu diesem Zweck müssen wir uns die alte pastorale Weisheit zu eigen machen, welche die Hirten, ohne jegliche Schmälerung ihrer Autorität, dazu ermutigte, das ganze Volk Gottes so weit wie möglich anzuhören. Bezeichnend ist, woran der heilige Benedikt den Abt des Klosters erinnert, wenn er ihn auffordert, auch die jüngsten Mitglieder zu befragen: »Der Herr offenbart oft einem Jüngeren, was das Bessere ist«. Und der heilige Paulinus von Nola mahnt: »Wir wollen an den Lippen aller Glaubenden hängen, weil in jedem Gläubigen der Geist Gottes weht«. (Nr. 45)

Die Kirche als durch die Gegenwart und Kraft des Heiligen Geistes geeinter „Leib Christi“ existiert in der Vielfalt der Berufungen. Ein jeder hat hier seinen besonderen Platz und seiner besonderen Aufgaben: „Neben dem geweihten Amt können zum Wohl der ganzen Gemeinschaft noch andere Dienste blühen, die durch Einsetzung oder einfach durch Anerkennung übertragen werden. Diese Dienste unterstützen die Gemeinschaft in ihren vielfältigen Bedürfnissen — von der Katechese bis zur Gestaltung des Gottesdienstes, von der Erziehung der Kinder bis zu den verschiedenartigsten Formen der Nächstenliebe.“ (Nr. 46)

In besonderer Weise muß die Kirche den „Herrn der Ernte“ um Berufungen zum Priester- und Ordensleben anflehen. In vielen Teilen der Weltkirche gibt es einen Reichtum an geistlichen Berufen. Dennoch ist auch eine Krise nicht zu leugnen: „In bestimmten Ländern, die schon seit alten Zeiten das Evangelium empfangen hatten, ist es geradezu dramatisch geworden. Das liegt an dem veränderten gesellschaftlichen Umfeld und an der religiösen Austrocknung, die vom Konsumismus und vom Säkularismus herrührt. Es ist dringend notwendig, eine breitangelegte und engmaschige Berufungspastoral zu schaffen. Sie muß die Pfarreien, Bildungszentren und Familien erreichen und ein aufmerksameres Nachdenken über die wesentlichen Werte des Lebens wecken. Diese finden ihre entscheidende Zusammenschau in der Antwort, die jeder auf den Ruf Gottes geben soll. Dies gilt besonders dann, wenn die Antwort es erfordert, sich selbst ganz hinzugeben und die eigenen Energien für das Reich Gottes einzusetzen.“ (Nr. 46)

Auch die Berufung der Laien, die die Welt mit dem Geist des Evangeliums durchdringen und heiligen sollen, sowie ihre verschiedenen Zusammenschlüsse, wie sie in traditionellen Formen und auch in neuen geistlichen „Bewegungen“ gegeben sind, haben ihren berechtigten Platz in der Kirche.

Der Familienpastoral, also der seelsorglichen Begleitung von Eltern mit ihren Kindern, gilt eine besondere Aufmerksamkeit der Kirche, gerade auch heute, wo die Familie als Institution mancherorts in einer tiefen Krise steht. Hier muß die Kirche immer wieder an das „Geheimnis des Anfangs“ erinnern, als Gott Mann und Frau nach seinem Bild erschuf und sie dazu bestimmte, eins zu werden in der Liebe und Kindern das Leben zu schenken. Jesus Christus hat die Ehe zur Würde eines Sakraments erhoben. In ihr kommt das Geheimnis der bräutlichen Liebe Christi zu seiner Kirche zum Ausdruck. Der Papst schreibt hier:

„Die Kirche darf in diesem Punkt dem Druck einer bestimmten Kultur, mag sie auch weit verbreitet und mitunter kämpferisch sein, nicht nachgeben. Vielmehr muß man alles daran setzen, daß durch eine immer vollkommenere Erziehung im Geist des Evangeliums die christlichen Familien ein überzeugendes Beispiel dafür geben, daß man eine Ehe leben kann, die voll und ganz dem Plan Gottes und den tatsächlichen Bedürfnissen der menschlichen Person entspricht: jener der Eheleute und vor allem jener viel zerbrechlicheren der Kinder. Die Familien selbst müssen sich immer mehr die den Kindern gebührende Sorge und Aufmerksamkeit bewußt machen und zu aktiven Trägern einer wirksamen Präsenz in Kirche und Gesellschaft zum Schutz ihrer Rechte werden.“ (Nr. 47)

Besonders wichtig für die Kirche ist das ökumenische Anliegen, also das Gebet und das Bemühen um die Einheit aller Christen in der Wahrheit des Glaubens und in der brüderlichen Liebe. Das wirksame Gebet Christi um die Einheit aller, die an ihn glauben, trägt seine Früchte: So ist der Leib Christi, die Kirche, von seinem Wesen her ungeteilt. Dort, wo es Spaltung gibt, ist diese auf die menschliche Schwäche und Gebrechlichkeit sowie auf Irrtum und Sünde der Menschen zurückzuführen. Der Weg zur Einheit scheint zwar noch lang zu sein, er muß aber dennoch mit Vertrauen auf den Heiligen Geist und den Willen Christi zur Einheit gegangen werden. Die Kirche bekennt demütig und dankbar zugleich, daß sich diese Einheit „trotz der dem Menschlichen eigenen Grenzen in der katholischen Kirche konkret verwirklicht“ und „in verschiedenem Maß auch in den vielen Elementen der Heiligung und Wahrheit“ wirkt, „die sich in den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften finden. Diese Elemente sind der Kirche Jesu Christi eigene Gaben und drängen die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften unablässig zur vollen Einheit.“ (Nr. 48) Es besteht also nach den Worten des Heiligen Vaters eine innere Dynamik auf die volle Einheit hin überall dort, wo sie bei den von der katholischen Kirche getrennten Brüdern und Schwestern verlorengegangen ist und in ihren Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften dennoch Elemente der Heiligung und der Wahrheit vorhanden sind. Der Papst drückt insbesondere seine Hoffnung aus, daß die Kirchen des Ostens wieder einen gemeinsamen Weg mit der katholischen Kirche gehen und es zu einer Annäherung mit der anglikanischen Glaubensgemeinschaft sowie den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften kommt.

Als katholische Christen sind wir nach Auffassung von Papst Johannes Paul II. nicht nur aufgerufen, der Wahrheit des Glaubens treu zu bleiben, sondern auch verpflichtet zu „einer tätigen, konkreten Liebe zu jedem Menschen“, denn in jedem Menschen – in jedem Bruder, in jeder Schwester – begegnet uns Jesus Christus, der sich in seiner Menschwerdung mit jedem Menschen vereinigt hat. Der Heilige Vater schreibt:

„Wenn wir wirklich von der Betrachtung Christi ausgegangen sind, werden wir in der Lage sein, ihn vor allem im Antlitz derer zu erkennen, mit denen er sich selbst gern identifiziert hat: »Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen« (Mt 25,35–36). Diese Aussage ist nicht nur eine Aufforderung zur Nächstenliebe; sie ist ein Stück Christologie, das einen Lichtstrahl auf das Geheimnis Christi wirft. Daran mißt die Kirche ihre Treue als Braut Christi nicht weniger, als wenn es um die Rechtgläubigkeit geht.“ (Nr. 49)

Die besondere Zuwendung der Kirche gilt den Armen, und zwar nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch in geistiger:

„Kann es tatsächlich möglich sein, daß es in unserer Zeit noch Menschen gibt, die an Hunger sterben? Die dazu verurteilt sind, Analphabeten zu bleiben? Denen es an der medizinischen Grundversorgung fehlt? Die kein Haus, keine schützende Bleibe haben? Der Schauplatz der Armut läßt sich unbegrenzt ausweiten, wenn wir zu den alten die neuen Formen der Armut hinzufügen, die häufig auch die Milieus und gesellschaftlichen Gruppen betreffen, die zwar in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mittellos sind, sich aber der sinnlosen Verzweiflung, der Drogensucht, der Verlassenheit im Alter oder bei Krankheit, der Ausgrenzung oder sozialen Diskriminierung ausgesetzt sehen.“ (Nr. 50)

So verbindet die Kirche in der Liebe Christi die Verkündigung der Worte mit dem Zeugnis ihrer Werke.

Was sind nun für die Kirche in unserer Zeit besondere Herausforderungen angesichts der Entwicklung der Welt, inmitten derer sie Zeugnis geben muß? Der Papst stellt hierzu eine Frage: „Wie könnten wir uns abseits halten angesichts eines voraussichtlichen ökologischen Zusammenbruchs, der weite Gebiete des Planeten unwirtlich und menschenfeindlich macht? Oder im Hinblick auf die Probleme des Friedens, der immer wieder durch den Alptraum katastrophaler Kriege bedroht ist? Oder angesichts der Verachtung der menschlichen Grundrechte gegenüber so vielen Personen, besonders den Kindern? Es gibt so viele Dringlichkeiten, die den Christen nicht kalt lassen dürfen.“ (Nr. 51)

Vor allem ist es das Lebensrecht eines jeden Menschen, das die Kirche schützen muß: So spricht Johannes Paul II. auch im Schreiben „Novo Millennio Ineunte“ – wie so oft in seinem Ponfitikat – von der „Verpflichtung, sich für die Achtung des Lebens eines jeden Menschen von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Hinscheiden einzusetzen.“ Der Kirche geht es in der Verteidigung dieser grundlegenden menschlichen Werte nicht darum, „den Nichtglaubenden eine Perspektive des Glaubens aufzudrücken, sondern die Werte zu deuten und zu schützen, die in der Natur des Menschen selbst verwurzelt sind.“ (Nr. 51)

Die Laien haben eine unersetzbare Aufgabe, wenn sie die Welt mit dem Geist des Evangeliums erfüllen sollen. Ihre Orientierung soll dabei an der kirchlichen Soziallehre erfolgen. Gottes- und Weltdienst sind hier kein Gegensatz, wie schon das 2. Vatikanische Konzil formuliert hat: „Es ist klar, daß die christliche Botschaft die Menschen nicht vom Aufbau der Welt ablenkt noch zur Vernachlässigung des Wohls ihrer Mitmenschen hintreibt, sondern sie vielmehr strenger zur Bewältigung dieser Aufgaben verpflichtet.“ (GS 34)

Ein konkretes Zeichen der Liebe wurde im Heiligen Jahr gesetzt: Einerseits wurden Initiativen durchgeführt, um auch ärmeren Menschen die Teilnahme am Heiligen Jahr 2000 zu ermöglichen. Weiters soll der Rest jenes Betrages, der für die Durchführung aufgebracht wurde, als ein Werk offenbar werden, „das gewissermaßen die Frucht und das Siegel der vom Großen Jubiläum verkündeten Liebe darstellen sollte.“ Der Papst führt aus:

„Nach Begleichung der Ausgaben, die im Laufe des Jahres notwendigerweise angefallen sind, soll das Geld, das man dabei sparen konnte, für karitative Zwecke bestimmt werden. Denn es ist wichtig, daß von einem so bedeutsamen religiösen Ereignis jeder Schein von wirtschaftlicher Spekulation ferngehalten werde. Was an Überschuß bleibt, soll dazu dienen, auch bei dieser Gelegenheit die im Laufe der Geschichte so oft gelebte Erfahrung zu wiederholen. Diese Erfahrung begann damit, daß in der Anfangszeit der Kirche die Gemeinde von Jerusalem den Nichtchristen den ergreifenden Anblick eines spontanen Gabentausches bis hin zur Gütergemeinschaft zum Wohl der Ärmsten bot (vgl. Apg 2,44–45).“ (Nr. 53)

Für die Kirche bleibt es im 21. Jahrhundert und darüber hinaus unerläßlich, daß sie den Dialog der Liebe mit den Angehörigen anderer Religionen fortsetzt. Der Papst schreibt in Nr. 55:

„In der Situation eines immer ausgeprägteren kulturellen und religiösen Pluralismus, wie man in der Gesellschaft des neuen Jahrtausends voraussehen kann, ist dieser Dialog auch wichtig, um eine sichere Voraussetzung für den Frieden zu schaffen und das düstere Gespenst der Religionskriege zu vertreiben, die viele Epochen der Menschheitsgeschichte mit Blut überzogen haben. Der Name des einzigen Gottes muß immer mehr zu dem werden, was er ist, ein Name des Friedens und ein Gebot des Friedens.“

Es ist ein Dialog, der die Wahrheit des Glaubens nicht verleugnet, sondern auf deren Verkündigung hin ausgerichtet ist, unter voller Achtung der Freiheit des anderen. Der Glaube an Christus ist ein Geschenk für alle Menschen: „Wir brauchen uns nicht zu fürchten, daß das eine Beleidigung für die Identität des anderen sein könnte, was frohe Verkündigung eines Geschenkes ist: eines Geschenkes, das für alle bestimmt ist und das allen mit größter Achtung der Freiheit eines jeden angeboten werden soll. Es ist das Geschenk der Verkündigung des Gottes, der Liebe ist und »die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab« (Joh 3,16).“ (Nr. 56)

In all den wichtigen Fragen bleibt für die Kirche das 2. Vatikanische Konzil (1962–1965) eine bleibende Orientierung:

„Während die Jahre vergehen, verlieren jene Texte weder ihren Wert noch ihren Glanz. Sie müssen auf sachgemäße Weise gelesen werden, damit sie aufgenommen und verarbeitet werden können als qualifizierte und normgebende Texte des Lehramtes innerhalb der Tradition der Kirche. Zum Abschluß des Jubiläums fühle ich mich mehr denn je dazu verpflichtet, auf das Konzil als die große Gnade hinzuweisen, in deren Genuß die Kirche im 20. Jahrhundert gekommen ist. In ihm ist uns ein sicherer Kompaß geboten worden, um uns auf dem Weg des jetzt beginnenden Jahrhunderts zu orientieren.“ (Nr. 57)

Der Schluß des Apostolischen Schreibens (Nr. 58–59)

Mit hoffnungsvollen Worten beendet der Heilige Vater sein Apostolisches Schreiben „Novo Millennio Ineunte“, da er auf die Hilfe Gottes für die Kirche auch im neuen Jahrtausend zählt: „Wir können auf die Kraft desselben Geistes zählen, der am Pfingstfest ausgegossen wurde und uns heute dazu anspornt, einen Neuanfang zu setzen. Dabei fühlen wir uns getragen von der Hoffnung, »die nicht zugrunde gehen läßt« (Röm 5,5).“ (Nr. 58)

In besonderer Weise soll sich die Kirche auch der Mutter unseres Herrn Jesus Christus zuwenden. Der Papst schreibt: „Uns begleitet auf diesem Weg die allerseligste Jungfrau Maria, der ich vor einigen Monaten zusammen mit vielen Bischöfen, die aus allen Teilen der Welt nach Rom gekommen waren, das dritte Jahrtausend anvertraut habe. Viele Male in diesen Jahren habe ich sie als »Stern der Neuevangelisierung« vorgestellt und angerufen. So weise ich wiederum auf sie hin als leuchtende Morgenröte und sicheren Leitstern auf unserem Weg. »Frau, siehe deine Söhne und Töchter«, wiederhole ich im Anklang an Jesu eigene Worte (vgl. Joh 19,26) und mache mich bei ihr zur Stimme der kindlichen Liebe der ganzen Kirche.“ (Nr. 58)

Jetzt, wo das Heilige Jahr 2000 vorüber ist, ist für die Christen keine Rückkehr zu einem bequemen und am Heil uninteressierten Leben möglich: „Das Symbol der Heiligen Pforte schließt sich hinter uns, um aber die lebendige Pforte, die Christus ist, weiter geöffnet zu lassen denn je. Nach der Begeisterung des Jubiläums kehren wir in keinen grauen Alltag zurück. Im Gegenteil, wenn unser Pilgerweg echt war, hat er unsere Beine gleichsam gelockert für den Weg, der auf uns wartet. Wir müssen den Schwung des Apostels Paulus nachahmen: »Ich strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt« (Phil 3,13–14).“ (Nr. 59)

Nach diesen wichtigen Ermutigungen und Richtungsangaben für den Weg der Kirche im neuen Jahrtausend schließt der Papst mit folgenden Worten:

„Während das Jubiläum zu Ende geht und für uns eine hoffnungsvolle Zukunft einleitet, steige das Lob und der Dank der ganzen Kirche durch Christus im Heiligen Geist zum Vater auf. Mit diesem Wunsch sende ich allen aus tiefstem Herzen meinen Segen.

Aus dem Vatikan, am 6. Januar, dem Hochfest der Erscheinung des Herrn, des Jahres 2001, im 23. Jahr meines Pontifikates.“

Zum Abschluß dieser Sendereihe darf ich Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer von „Radio Maria“, ganz herzlich danken für Ihre aufmerksame Treue, mit der Sie die Sendung über das Apostolische Schreiben „Novo Millennio Ineunte“ an diesen vier Samstagen des Februar angehört haben. Möge ein jeder von uns auf die Fürsprache der Gottesmutter Maria und im Licht des Heiligen Geistes erkennen, worauf es für ihn im Leben ankommt. Vertrauen wir an jedem Tag auf den Schutz und die Hilfe Gottes! Je mehr wir dem Geschenk der Erlösung in Liebe verbunden sind, desto mehr werden wir auch für die Mitmenschen zum Licht, das Hoffnung gibt und die Menschen zu Jesus Christus führt. Das wünsche ich uns allen von ganzem Herzen!

Gelobt sei Jesus Christus!