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"Christ, erkenne deine Würde!"
Der Mensch als Gottes Ebenbild und seine Berufung zur Gotteskindschaft (2004)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Beitrag für die Zeitschrift „Gottgeweiht“, 17 (2004) 37–42

Vorbemerkung

Der 3. Teil des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (= KKK) will Wegweisung für das sittliche Leben der Gläubigen geben.[1] Der erste Abschnitt dieses auf die christliche Moral bezogenen Teils des Katechismus entfaltet in allgemeiner Weise die „Berufung des Menschen“, nämlich das „Leben im Heiligen Geist“ (KKK 1699–2051). Der zweite Abschnitt wendet sich ganz konkret den „Zehn Geboten“ Gottes zu (KKK 2052–2557).

Die hier gegebenen Überlegungen zu den beiden ersten Artikeln des ersten Abschnittes (KKK 1701–1729) sollen Denkanstöße sein, um zu entdecken, wie groß Gott den Menschen erschaffen hat und zu welch erhabenem Ziel er ihn bestimmt hat. Wer seine Würde als Abbild Gottes erkennt und die Berufung zur Gotteskindschaft bejaht, wird von da aus mit Hilfe der Gnade Gottes sein Leben zu ordnen versuchen und die Gebote Gottes als Hilfe auf diesem Weg begreifen.

Der Mensch: Gottes Ebenbild (KKK 1701–1715)

Bereits die Schöpfungsordnung lässt uns die Größe des Menschen erkennen. Alles, was Gott geschaffen hat, ist „gut“, ja „sehr gut“ (vgl. Gen 1,1–2,4a). Der Mensch stellt die Krone der sichtbaren Schöpfung dar, denn er wurde nach Gottes Bild und Gleichnis erschaffen (vgl. Gen 1,26 f). Es ist ein Geheimnis der göttlichen Weisheit und Güte, wie es überhaupt möglich ist, dass es geschaffenes Sein gibt, das von Gott als seinem Schöpfer verschieden ist und doch ganz von ihm abhängt. Noch größer erscheint dieses Wunder, wenn wir auf den Menschen blicken, den Gott mit Vernunft und Freiheit ausgestattet hat, sodass er aus eigenem Antrieb die Wahrheit suche und das Gute liebe und dadurch Gott dem Schöpfer anhange. „Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke“ (Ps 139,14).

Leider hat der Mensch gleich zu Beginn seine Sonderstellung missbraucht und sich durch die Sünde von Gott getrennt (vgl. Gen 3,1–24). In stolzer Auflehnung versagte er sich der Berufung zur Gottesfreundschaft und gab den Verlockungen des Versuchers nach. In der Folge dieses Abfalls verlor der Mensch die heiligmachende Gnade und sein Anrecht auf den Himmel (was die Vertreibung aus dem Paradies zum Ausdruck brachte). Der Tod als Strafe der Sünde trat ins Leben, und viele Mühen und Leiden waren die Folge. Auch die geistigen Kräfte des Menschen sind betroffen: „Der in seiner Natur durch die Erbsünde verwundete Mensch ist dem Irrtum unterworfen und in der Ausübung seiner Freiheit zum Bösen geneigt“ (KKK 1714; vgl. 1707).

Wie unfassbar scheint es, dass auf diesem negativen Hintergrund der Menschheit doch noch ein Erlöser verheißen wurde. Denn Gott sprach zur Schlange: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse“ (Gen 3,15). Mit diesem Erlöser ist Jesus Christus gemeint, der Sohn der „Frau“ (vgl. Joh 2,4; 19,26), der durch sein Leiden und Sterben am Kreuz und durch seine glorreiche Auferstehung Sünde, Tod und Teufel endgültig besiegt hat (vgl. KKK 1708). Voraussetzung für die Annahme an Kindes statt durch Gott den Vater ist die gläubige Zustimmung zu Jesus Christus und seiner Botschaft und die Bereitschaft, seinen Willen zu tun.[2] So wird ein Heilsweg eröffnet, der die Schuld Adams sowie auch alle persönliche Schuld der Menschen tilgt und das Tor des Himmels neu aufschließt. Der täglich bleibende Kampf des glaubenden, hoffenden und liebenden Menschen um das Gute wird nun von der Gnade Gottes unterstützt und kann siegreich bestanden werden.

Unsere Berufung zur Seligkeit (KKK 1716–1729)

Von daher lässt sich begreifen, dass die Grundlegung der christlichen Moral nicht bei Gebot und Gesetz beginnt (so wichtig und unaufgebbar diese Dimension auch ist), sondern bei der von Gott in Jesus Christus an uns Menschen ausgesprochenen Verheißung des ewigen Lebens. Insbesondere sind es die Seligpreisungen der Bergpredigt, die von Gott geschenkt sind, um die Herzen zur Gottes- und Nächstenliebe zu bewegen.[3] In diesen Verheißungen leuchtet die göttliche „Vorgabe“ auf, die uns von Jesus Christus, dem „neuen Mose“, gegeben ist: Gott hat uns von Ewigkeit her geliebt und im voraus erwählt, da wir berufen sind, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben.[4] Verheißen ist uns nicht irdisches Wohlergehen, sondern die ewige Erfüllung im Reiche Gottes. Es geht ja „um das letzte Ziel, zu dem Gott uns beruft: das Himmelreich, die Schau Gottes, die Teilhabe an der göttlichen Natur, das ewige Leben, die Gotteskindschaft und die Ruhe in Gott“ (KKK 1726).

Wo aber setzen die Seligpreisungen beim Menschen an? Hat er überhaupt eine „Antenne“ dafür? Tatsächlich ist es die unausrottbare Sehnsucht nach Glück, die jedem Menschen ins Herz gelegt ist und die letztlich nur Gott allein stillen kann. Alles Irdische erweist sich nicht als dauerhaft und umfassend sättigend für das Verlangen der Seele. „Gott allein genügt“[5], formuliert die heilige Teresa de Jesus. Jahrhunderte vorher hatte Augustinus festgestellt: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“[6]

Das menschliche Glücksbedürfnis darf freilich nicht im Sinn eines platten Utilitarismus verstanden werden, der das „größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl“ im Sinne hat und dabei aufgrund einer entschieden immanenten Ausrichtung nicht anzugeben vermag, worin dieses Glück letztlich besteht und der bei der Realisierung menschlicher Erwartungen grundlegende Rechte anderer missachtet, sofern diese eine Minderheit darstellen, die sich nicht zu wehren vermag (z.B. die Ungeborenen). Möglicherweise hat der heutige Mensch einen besseren Zugang, wenn man von der Sinndimension des Daseins spricht, die es aufzuschließen gilt. Die letzte Antwort auf die Fragen des Menschen, ja auf jene Frage, die der Mensch selber ist, kann er nur in Jesus Christus, dem wahren Gott und Menschen, finden. Erst im Geheimnis Jesu Christi, des fleischgewordenen Wortes, klärt sich das Geheimnis des Menschen voll auf, wird die Fraglichkeit des Menschseins ihrer tiefsten und endgültigen Antwort zugeführt.[7]

Wenn uns Gott selber eine ewige Glückseligkeit verheißt, so ist damit die Antwort auf die Grundfrage des Menschseins gegeben. Denn „Gott hat uns ins Dasein gerufen, damit wir ihn erkennen, ihm dienen, ihn lieben und so ins Paradies gelangen“ (KKK 1721). Es ist eine schlechthin übernatürliche Seligkeit, die die eigenen Kräfte des Menschen übersteigt und ihm durch die Gnade zuteil wird, mit der er bewusst und in Freiheit mitwirken soll. Jene höchste Glückseligkeit des Menschen ist nicht bloß ein Gefühl, sondern der Inbegriff der Vollendung des Menschseins. Nur in der Vollkommenheit der Liebe und daher einzig und allein in Gott kann dieses Glück gefunden werden. Hier stellt der Katechismus fest: „Das wahre Glück liegt nicht in Reichtum und Wohlstand, nicht in Ruhm und Macht, auch nicht in einem menschlichen Werk – mag dieses auch noch so wertvoll sein wie etwa die Wissenschaften, die Technik und die Kunst – und auch in keinem Geschöpf, sondern einzig in Gott, dem Quell alles Guten und aller Liebe“ (KKK 1723).

Diese Wahrheit ist mit dem Begriffsinhalt des „Reiches Gottes“ verbunden, dessen Anbruch Jesus verkündet hat (vgl. Mk 1,15) und dessen gottgewirkte Vollendung im persönlichen Menschsein und im Schicksal von Welt und Menschheit noch aussteht. Auf diese Weise werden die alttestamentlichen Verheißungen von Jesus Christus auf das Himmelreich hingelenkt, in dem sie ihre definitive Erfüllung finden sollen. Es gibt ein letztes Ziel, zu dem Gott uns beruft und in dem wir unser Glück finden sollen. Vom Maßstab jener himmlischen Seligkeit erhält der Christ Orientierung für den rechten Gebrauch der irdischen Güter. Nur im Leben und Handeln nach den Geboten Gottes erreichen wir unser Heil. Es geht darum, Gott über alles zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Wie der Mensch seine Freiheit verantwortungsvoll einsetzt, um diese Berufung zur Liebe zu verwirklichen, mag das Thema weiterer Ausführungen sein.

 

 


 

[1] Inzwischen ist der endgültige deutsche Text des KKK vorgelegt worden: Katechismus der Katholischen Kirche, Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München-Wien-Leipzig-Freiburg/Schweiz-Linz 2003. Vgl. zur Orientierung: Josef Spindelböck, Das Leben in Christus – Geschenk und Anspruch. Eine erste Hinführung zum 3. Teil des „Katechismus der Katholischen Kirche“, in dieser Zeitschrift Jg. 16, 2003, Nr. 2, S. 37–42.

[2] „Wer an Christus glaubt, wird Kind Gottes“ (KKK 1709). „Wer an Christus glaubt, hat das neue Leben im Heiligen Geist“ (KKK 1715).

[3] Vgl. Mt 5,3–12; Lk 6,20–26.

[4] Vgl. 1 Joh 4,10; Röm 8,28 f.

[5] „Nichts soll dich ängstigen, Nichts dich erschrecken. Alles vergeht, Gott bleibt derselbe. Geduld erreicht alles, Wer Gott besitzt, Dem kann nichts fehlen. Gott nur genügt.“ – Santa Teresa de Ávila (1515–1582), Poesías 9, in: Aloysius Alkofer (Hg.), Weg der Vollkommenheit, mit kleineren Schriften der hl. Theresia von Jesu (Sämtliche Schriften, 6. Bd.), München-Kempten 19633, S. 295.

[6] „Tu excitas, ut laudare te delectet; quia fecisti nos ad te, et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.” – Augustinus, Confessiones, liber primus I, 1, in: PL 32,661.

[7] Das 2. Vatikanische Konzil erklärte in „Gaudium et Spes“, Nr. 21: „Jeder Mensch bleibt vorläufig sich selbst eine ungelöste Frage, die er dunkel spürt. Denn niemand kann in gewissen Augenblicken, besonders in den bedeutenderen Ereignissen des Lebens, diese Frage gänzlich verdrängen. Auf diese Frage kann nur Gott die volle und ganz sichere Antwort geben; Gott, der den Menschen zu tieferem Nachdenken und demütigerem Suchen aufruft.“ Und in Nr. 22 heißt es: „Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. ... Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung.“