www. St Josef.at
Die katholische Informationsseite der Gemeinschaft v. hl. Josef
Navigation

Immakulata-Dogma und Person-Beginn
(29. März 2006)

Werner Gieffers

Anlasss und Vorgeschichte

Zum 150. Jahrestag der Verkündigung des Dogmas zur Unbefleckten Empfängnis Mariens (1854) hat mich ein bestimmter Gedanke zu diesem Mariendogma erneut beschäftigt. Es war ein Gedanke, der schon Jahre zurücklag und den ich an diesem Festtag erneut überdachte und dann auch formulierte. Ich gebe im folgenden den Inhalt meiner Aufzeichnungen von 2004 wieder:

Ich fand im Herbst 2001 in einer Zeitung die Lesermeinung eines Arztes, der sich ohne Vorbehalte zum absoluten Schutz menschlicher Embryonen bekannte und die embryonenverbrauchende Stammzellenforschung ablehnte. Er war froh darüber, dass die katholische Kirche sich ohne Wenn und Aber zum Embryonenschutz bekennt. Allerdings bedauerte er es sehr, dass zum zeitlichen Beginn eines menschlichen Lebens die Kirche bisher leider keine lehramtliche Definition formuliert habe.

Ich konnte sein Bedauern verstehen, denn eine solche Formulierung wäre schon sehr hilfreich, sich in dieser Kontroverse auf eine lehramtliche Äußerung der Kirche definitiv stützen zu können, um auch mit dem Gewicht der kirchlichen Lehrautorität die Tötung von Embryonen begründet ablehnen zu können.

Die Vorstellung, daß es vielleicht doch eine kirchliche Formulierung gäbe, die in dieser Sache hilfreich wäre, verließ mich nicht mehr. Ich begab mich auf die Suche und fand nach einigen Wochen die Lösung.

Auf der Suche

In der Dogmatik von Ludwig Ott (1963) und im Weltkatechismus (1993) fand ich dazu nichts Brauchbares. Ich hoffte, bei Karl Rahner fündig zu werden, aber das Gegenteil war der Fall. In den „Questiones Disputatae 12/13, Probleme der Hominisation“ im Buchteil „Die Hominisation als theologische Frage“ (1963) findet sich die Feststellung, dass die Kirche über den Zeitpunkt der Erschaffung der Geistseele keine Angabe mache, indem er schreibt, dass „das kirchliche Lehramt sich über den genaueren Zeitpunkt dieser Erschaffung innerhalb der embryonalen Entwicklung nicht geäußert hat.“ (S. 80 ebenda). Rahner greift dann auf eine mittelalterliche Vorstellung der Beseelung des Embryos zurück, die drei Monate nach der Empfängnis geschehen soll. Im weiteren versteigt er sich dann zu der Behauptung, daß der Mensch selber in einem Akt der „Selbstüberbietung“ die neue Seele im heranwachsenden Embryo zu diesem Zeitpunkt, also drei Monate nach der Empfängnis, begründet. Der Mensch würde also selber die Seele in seinem Kinde hervorbringen.

Ich habe das Buch kopfschüttelnd aus den Händen gelegt und kam dann, warum auch immer, auf die Idee, mir das Immakulatadogma einmal genau im Wortlaut anzusehen, weil dort ja auch von der Empfängnis die Rede ist. Als ich den Text dieses Dogmas las, wurde mir blitzartig klar, daß ich nach meinem Verständnis das gefunden hatte, wonach ich gesucht hatte.

3. Das erweiterte Verständnis des Immakulatadogmas

Ich zitiere nachstehend dieses Dogma nach Neuner und Roos (1965) in den wesentlichen Formulierungen, die hier interessieren:

„Zu Ehren der … Dreifaltigkeit … verkünden … Wir … die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk … Gottes , …, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, …

Dieses Dogma von 1854 impliziert natürlich die hier nicht ausgesprochene Lehre der Kirche über die Erbsünde, mit deren Makel jeder Mensch im Augenblick der Empfängnis behaftet ist. Erst auf diesem Hintergrund wird vollständig klar, dass genau dieser Seinsumstand für Maria nicht zutraf, denn sie war frei von dieser Erbsünde eben im ersten Augenblick ihrer Empfängnis. Im Zustand der Erbsünde zu sein oder davon frei zu sein, setzt in beiden Fällen die Existenz der Seele voraus. Nur die Seele kann sich im Zustand der Erbsünde befinden oder frei davon sein. Geist und Körper sind mibetroffen von der Erbsünde, die Sünde selber aber haftet der Seele an, die dadurch ja auch nicht mehr zu Gott gelangen kann, solange sie davon nicht durch die Spendung des Taufsakraments befreit wird.

Der erklärende Zusatz „im ersten Augenblick ihrer Empfängnis“ sagt aus, dass im ersten Augenblick der Empfängnis auch die Seele existent ist, bei Maria wie auch bei allen Menschen.

Der erste Augenblick der Empfängnis ist biologisch präzise definiert: es ist die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Die einzellige Zygote liegt vor mit dem vollständigen Genom, also allen Erbanlagen dieses Menschen.

In und ab diesem Zustand war die Seele Mariens vollkommen makellos, ganz ohne Sünde und blieb es für immer. Gleichzeitig bedeutet es, dass in und ab diesem Zellstadium Maria als Person existiert. Mit der Empfängnis ist also auch die Seele gegeben. Empfängnis und Beseelung fallen zusammen und bedingen den Beginn eines Menschen. Das ist das, was das Immakulata-Dogma einschließend mitaussagt.

Obwohl das Dogma die Wahrheit über die ohne die Erbsünde empfangene Gottesmutter verkünden will, macht es eine nicht zu umgehende implizite Aussage auch über den Existenzbeginn der Seele und Person Mariens: Die Person Maria existiert im ersten Augenblick ihrer Empfängnis. Durch den impliziten Bezug dieses Dogmas auf die Erbsündenlehre wird gleichzeitig ausgesagt, dass auch jeder Mensch im ersten Augenblick seiner Empfängnis eine Seele hat.

Auf der Stufe der Natur wie der Übernatur gibt der Mensch in der Zeugung sein Erbe weiter. Die Zeugung geschieht in der Empfängnis. Mann und Frau geben ihr Genom weiter und den Zustand ihrer Seele (nicht die Seele selber). Die Weitergabe der Erbsünde setzt natürlich die Existenz der Seele des neuen Menschen voraus. So wird auch in der Lehre von der Erbsünde, die im Akt der Zeugung weitergegeben wird, implizit auf das Vorhandensein der Seele hingewiesen, denn nur wenn die Seele ab der Zeugung existent ist, ist die Weitergabe dieser Sünde möglich. Wäre die Seele noch nicht da, könnte die Erbsünde auch nicht weitergegeben, weitervererbt werden. Der Erbe würde ja fehlen. Die Vorstellung einer späteren Beseelung, wie sie Rahner denkt, ist daher logischerweise für die Erbsündenlehre vollkommen unhaltbar. (Außerdem würde Rahners Vorstellung der „Selbstüberbietung“ an eine Häresie grenzen, denn nach der Lehre der Kirche erschafft Gott die Seele, nicht aber der Mensch selber.)

In der Empfängnis ist also ein Mensch gezeugt, keine bloße seelenlose Zygote. Die Form des Menschen in diesem Stadium ist aber die einer Zygote, also einer einzigen Zelle, die sich bald weiter teilt. Später sind es mehrere Zellen, und dann wird allmählich die typische menschliche Gestalt des Körpers erkennbar. Aber ab der Empfängnis, der Zygote, ist es stets und immer der beseelte Mensch, nie etwas anderes. Das Imakulata-Dogma stellt gerade diesen Zusammenhang eindeutig heraus.

4. Die Kirche muss entscheiden

Noch hat die Kirche meines Wissens über ein solches Verständnis des Imakulatadogmas sich nicht geäußert, so dass darauf hingewiesen sei, dass dies die Interpretation des Autors ist.

Soweit ich das überschauen kann, sagt die Kirche, dass der Mensch von Anfang an beseelt ist,

ohne aber einen Zeitpunkt zu nennen. Der Zeitpunkt der Beseelung ist nicht definiert.

Insofern könnte die hier dargelegte Deutung des Immakulatadogmas helfen, eine Aussage über den Zeitpunkt der Beseelung zu erkennen und zu formulieren.

Über Wert und Richtigkeit eines weitergehenden Verständnisses dieses Mariendogmas mögen gläubige Fachleute und Autoritäten der Kirche urteilen. Vielleicht aber habe ich nur etwas bereits Bekanntes gesagt. Dann aber sollte man diesen Zusammenhang verstärkt herausstellen und es den Gläubigen sagen.

Es wäre wünschenswert, dass die Theologen der Kirche über dieses Dogma im Glauben nachdenken, um durch dieses Mariendogma auf der theologischenn Ebene die Unantastbarkeit allen embryonalen Menschseins auf jeder Zellstufe klar herauszuarbeiten. Ein neues Dogma wäre dazu wahrscheinlich nicht erforderlich, wohl aber eine zusätzliche und weiterführende Interpretation des Immakulatadogmas, damit das bereits implizit vorliegende Verständnis zum zeitlichen Beginn der Seele und damit des Personseins im ersten Augenblick der Zeugung unmißverständlich und klar ausgesagt wird.

Maria als Mutter und Frau aller Völker wird dabei gewiss die nächste Hilfe und die beste Fürsprecherin sein, entweder, um die Vertiefung des Immakulatadogmas zu bestätigen oder aber um zu zeigen, daß dieser Gedanke sich doch nicht an der Wahrheit orientiert.

Literatur

Katechismus der Katholischen Kirche, 1993: Johannes Paul II., München

Neuner, Josef und Heinrich Roos, 1965: Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Regensburg. Hrsg. Karl Rahner.

Ott, Ludwig, 1963: Grundriss der katholischen Dogmatik, Freiburg.

Rahner, K. 1983: Die Hominisation als theologische Frage. In: Das Problem der Hominisation, Quaestiones Disputatae 12/13, Freiburg, Hrsg. K. Rahner und H. Schlier.