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Dem Leben auf der Spur?
Rezension zu Johannes Huber: Geheimakte Leben (2000)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: Johannes Huber: Geheimakte Leben: Wie die Biomedizin unser Leben und unsere Weltsicht verändert. Mit einem Vorwort von Franz Kardinal König, Frankfurt/Main 2000 (Verlag Josef Knecht), Gebundene Ausgabe – 222 Seiten; ISBN: 3782008316

Der promovierte Theologe und Mediziner Univ. Prof. DDr. Johannes Huber, Professor für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Universitätsfrauenklinik in Wien, legt unter dem vielversprechenden Titel „Geheimakte Leben“ einen Versuch vor, interdisziplinär die Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkeiten der modernen Biomedizin mit philosophischen und theologischen Einsichten zu verbinden, um so zu einer ethischen Bewältigung der anstehenden Aufgaben und Probleme zu kommen.

Dieses Anliegen trägt seine Berechtigung in sich und verheißt Hoffnungsvolles für einen gerade heute notwendigen Dialog zwischen Theologie, Philosophie und den Naturwissenschaften, was den angesehenen Alterzbischof von Wien, Franz Kardinal König, bewogen hat, dem Buch ein persönliches Vorwort zu widmen.

In populärwissenschaftlicher Sprache werden in diesem Buch dem interessierten Leser Zusammenhänge vor Augen geführt, die er oft nicht beachtet, da sich weithin unbemerkt von der alltäglichen Beobachtung im Bereich der Biomedizin Entwicklungen ergeben, die durchaus den Charakter des Revolutionären aufweisen. Gerade in diesen Tagen wurde ja auch die fast vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms durch internationale Forscherteams bekanntgegeben.

Geburt als Schlüsselerlebnis

Johannes Huber hat seinen Standort in der Gynäkologie, und so ist es nicht verwunderlich, daß er das Ereignis der Geburt als fundamental und prägend für den Menschen beschreibt. Dabei ablaufende biologische Vorgänge sind verbunden mit tiefenpsychologischen Auswirkungen, die das gesamte spätere Erkennen, Urteilen und Entscheiden der Menschen beeinflussen. Das Interpretationsmuster, das der Mensch durch das Ereignis der eigenen Geburt für die Wirklichkeit gewinnt, läßt sich nicht mehr abstreifen. Alles philosophische und religiöse Fragen nach dem Woher und Wohin hat hier seinen Ursprung, meint Huber. Denn der Mensch sei wesentlich „Abbild“, Abbild auch seiner Geburt.

Die Medizin sei nun so weit fortgeschritten, daß sie auch beim erwachsenen Menschen manche biologische Abläufe der embryonalen Entwicklung gleichsam wieder in Gang setzen könne. Das wirke sich positiv aus, wenn infolge von Krankheit oder Alter der Regenerationsprozeß von Zellen und Organen neu aktiviert werden soll. Beispielsweise stellt Huber fest: „Die Stammzelltherapie bei Bluterkrankungen ist nur deswegen möglich geworden, weil man sich jene Rezepte abgeschaut hat, nach welchen Mutter Natur auch in der Schwangerschaft ein neues Knochenmark bildet.“ (32) Und er meint, die Bluterneuerung sei nur ein Beginn, die Medizin habe bereits andere Organe und Substanzen im Visier, „die ebenfalls regeneriert werden sollen und können.“ (38) Soweit, so gut.

Ist das Klonen des Menschen ethisch zu rechtfertigen?

Was nun aber folgt, läßt aufhorchen: Es gebe zwar Schwierigkeiten auf dem beschriebenen Weg, doch diese ließen sich überwinden „durch ein weiteres Mosaiksteinchen, das sich zur Zeit bereits am Horizont abzeichnet und das ebenfalls [wie die In-Vitro-Fertilisierung, Anm. des Rezensenten] als Quantensprung angesehen werden kann, weil es die Bildung embryonaler Stammzellen auf einem besonderen Wege ermöglicht, auf dem des Klonens.“ (38) Es geht – wie es hier euphemistisch beschrieben wird – um die „Verwendung von embryonalem Material als Organersatz“, was nach den Worten Hubers durchaus „moralischen Sprengstoff enthält“ (41). Dennoch sei es diskussionswürdig, da sonst möglicherweise ein „Segen der Menschheit durch stereotype Verbote verhindert“ würde (41). Zwar gibt der Mediziner und Theologe Huber zu, es sei „ethisch fragwürdig, Leben in den frühesten Stadien unter dem Mikroskop zu erzeugen – durch künstliche Befruchtung, um es dann in einzelne Teile zu zerlegen und Stammzellen als Ersatzteillager zu gebrauchen.“ (40) In Gesellschaft und Politik werde hier allerdings mit zweierlei Maß gemessen: Denn der Abbruch einer Schwangerschaft sei gesetzlich straffrei oder erlaubt, wenn eine Konfliktsituation zwischen dem Leben der Schwangeren und dem des Embryos bestehe. Dies läßt Huber trotz eines möglichen Kannibalismus-Vorwurfs fragen, ob es nicht auch eine Konfliktsituation geben könne, „die es gestattet, frühes menschliches Leben zu zerstören, um damit den sicheren Tod eines erwachsenen Menschen verhindern zu können“ (40). Daß der Arzt Huber hier nicht fähig ist, ein ethisch einwandfreies Nein zu vertreten, liegt allem Anschein nach in der unzureichenden Anerkennung des „heranreifenden menschlichen Lebens“ als Person sowie in der Ablehnung einer die personale Würde unbedingt schützenden deontologischen Norm des Verbots in sich schlechter Handlungen begründet. Unter einer solchen Voraussetzung kann dann eine Güterabwägung ansetzen, die etwas zur Disposition stellt, was dem Menschen absolut entzogen ist: die personale Würde jedes Menschen, ob geboren oder ungeboren, kraft der es immer untersagt ist, einen unschuldigen Menschen direkt zu töten. Um zu einer „wenigstens teilweisen ethischen Entlastung“ (46) zu kommen, argumentiert Huber: Beim Klonen eines Menschen werde „kein neues genetisches Material, kein neues Individuum – im Sinne der Reproduktion – kreiert. Geschaffen wird auf dem Wege ungeschlechtlicher Fortpflanzung ein Ableger, der allerdings – und das muss auch offen bekannt werden – die Potenz zur Menschwerdung in sich trägt.“ (43 f) Wohlgemerkt, nur die „Potenz“!

Eine verheißungsvolle Alternative

Wie Huber selbst skizziert, besteht aber eine ethisch einwandfreie Alternative zu derartigen Bemühungen der „Züchtung von embryonalem Gewebe“ (46). Denn es gebe eine „weitere Quelle von embryonalen Zellen, welche möglicherweise auch zur Regeneration und zur Rückspulung des genetischen Programms genutzt werden kann: die Embryonalzellen im Nabelschnurblut“ (47). Diese Lösung ist insofern unbedenklich, da es hier keineswegs um Embryonen geht, sondern um Zellen des Embryo, die eine erhöhte Reproduktions- und Erneuerungsfähigkeit aufweisen und die man vom Zeitpunkt der Abnabelung an womöglich im Labor erhalten und zur Vermehrung bringen kann, um sie später an einem kranken Menschen gezielt einzusetzen.

Huber bringt vielerlei Details über den medizinischen Fortschritt, und es ist ihm zugute zu halten, daß er dies in einer interessanten, auch den medizinischen Laien ansprechenden Weise aufbereitet. Angefragt werden muß aber, ob die Medizin als Theorie und Praxis der „Götter in Weiß“ nicht zuviel verspricht und für manche gleichsam zum Religionsersatz wird, wenn von der Möglichkeit „ewiger Jugend“ gesprochen wird, da die Medizin auf der Suche nach einem „Unsterblichkeitsenzym“ sei. Zwar wird dies im Buch Hubers noch nicht als reale Möglichkeit in Aussicht gestellt, aber es wird auch nicht ausgeschlossen.

Erkenntnistheorie, Metaphysik und „Gottesbeweis“

Ein großer Teil von „Geheimakte Leben“ ist erkenntnistheoretischen Überlegungen gewidmet, die eine Brücke schlagen wollen von der Naturwissenschaft zur Philosophie und Theologie. So lautet eine zentrale These Hubers, der Mensch sei „Abbild der uns umgebenden Wirklichkeit, die sich in unserem Genom widerspiegelt“ (116). So lehnt er die darwinistische Sicht der Entstehung des Lebens durch blinden Zufall ab, sondern nimmt eine „gerichtete Evolution“ an, wonach sich gemäß dem Plan eines Schöpfers, den Huber an vielen Stellen in Anklang an das Gottesbild der Freimaurer als „Weltenbaumeister“ bezeichnet, die einzelnen Lebensformen in ihrer Entwicklung einem inneren Ordnungsprinzip folgend an jenen Bedingungen der Außenwelt orientiert hätten, die dem höherstrebenden Leben förderlich waren.

Huber gelangt auf diesem Weg sogar zu einer Art „Gottesbeweis“: „Wenn wir, unsere Gene und letzten Endes auch unsere Gedanken – denn auch diese sind Funktionen unserer Gene – nur Abbild der uns umgebenden Realität und Beweis dessen sind, was uns umgibt, dann gilt natürlich das Gleiche auch für den Schöpfer: Gäbe es ihn nicht, wir hätten von ihm keine begriffliche Ahnung.“ (117) Der Gedankengang ist bemerkenswert und scheint im Prinzip richtig, allerdings ist er zu befreien von einem darin zum Ausdruck kommenden materialistischen Determinismus, der geistige Vollzüge auf Funktionen der biologischen Gegebenheiten reduziert.

„Wir begreifen nur, wovon wir geprägt sind“ (135): So lautet eine Kapitelüberschrift im Buch „Geheimakte Leben“ von Johannes Huber. Er zeigt auf, daß das menschliche Erkennen abhängig ist von einer vorgängigen Prägung der Sinne durch die Außenwelt. Insofern wird das Erkennen zum Beweis des Erkannten. Eine Parallele zur aristotelisch-thomistischen Sichtweise, daß menschliches Erkennen bei den Sinnen seinen Anfang nimmt, scheint erkennbar. Ist aber das geistige Erkennen des Menschen nur festgelegt auf diesen Bereich? Huber meint, „mit seinem Verständnis“ könne „der menschliche Geist nicht über jene Gesetze hinaus, die gleichzeitig auch die Grundlage des Funktionierens seines Gehirns sind.“ (140) Wird hier nicht eine unzulässige Einengung des menschlichen Erkennens vorgenommen? Als geistiges Vermögen ist es ja nicht auf eine bestimmte Art des Seins beschränkt, sondern ausgerichtet auf Wahrheit schlechthin, auf das Sein jedes Seienden. Natürlich soll dabei nicht übersehen werden, daß dies immer eine menschlich-begrenzte Erkenntnis bleiben wird, da der Mensch nicht an die Stelle Gottes treten kann.

Inkarnation als Prinzip des Christentums und des Menschseins

Beachtenswert sind die Ausführungen Hubers zum inkarnatorischen Charakter des Christentums (211 ff). Gott ist den Menschen nahe gekommen, indem er alles Menschliche auf sich genommen hat. So konnte das Christentum jene Synthese leisten, die auch heute noch nicht überholt ist. Als Kernbotschaft des Christentums ortet er die Aussage, daß der Tod nicht das Ende unserer Existenz ist. Allerdings meint er in bezug auf „Auferstehung“: „Ob dieses geoffenbarte Wissen den Jüngern durch die Demonstration der leiblichen Auferstehung bewusst wurde oder ob andere Ereignisse zu diesem Glauben führten, ist sekundär.“ (220) Ist diese Wertung aus katholischer Sicht annehmbar? Hier scheinen doch radikale Uminterpretationen des kirchlichen Christentums vorgenommen zu werden, die dieses auf die Ebene einer allgemeinen Religion nivellieren und ihm sein Spezifikum zu nehmen drohen.

Zukunftsperspektiven

Huber gibt – was die ethische Leistung des Christentums betrifft – immerhin zu, daß „der menschliche Geist“ bis heute „kein anderes Konzept entwickeln“ konnte, „das das Allgemeinwohl mit dem individuellen Ich ethisch so ausbalanciert, wie das die christliche Offenbarungsreligion vermag.“ (220) So fragt er abschließend, „ob nicht doch viel eher die christliche Offenbarung die nötigen ethischen Hilfestellungen geben kann, die wir im neuen Jahrtausend brauchen.“ (221) Wenn dies aufgegriffen wird, könnte es durchaus eine programmatische Wende für manche orientierungslos gewordene Wissenschaftler und Mediziner darstellen. Denn genau das braucht die Menschheit zum Überleben und zur Kultivierung einer „Zivilisation der Liebe“: Wissenschaft mit Verantwortung!

Daß Huber dieses begrüßenswerte Anliegen durch seine teilweise katastrophalen, in Widerspruch zur katholischen Glaubenslehre stehenden Thesen beträchtlich konterkariert, muß dennoch festgestellt werden, und so sollte das Buch mit kritischer Wachsamkeit gelesen werden.