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Das Evangelium des Lebens
Moraltheologische Überlegungen zum 5. Gebot Gottes – eine katechetische Darlegung anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (Juli 2002)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: 5-teilige Radioserie im Juli 2002

Liebe Hörerinnen und Hörer von Radio Maria sowie von Radio Horeb!

Pater Clemens Reischl hat mich eingeladen, mit Ihnen im Juli jeweils am Mittwoch nachmittag von 14 – 15 Uhr nachzudenken über all das, was die katholische Glaubenslehre anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (KKK) mit dem Bereich des Schutzes und der Förderung vor allem des menschlichen Lebens verbindet.

I. Die Kirche und das „Evangelium des Lebens“

Wir kennen ja das 5. Gebot Gottes, das durch die entsprechenden Abschnitte des KKK in Nr. 2258–2328 erklärt und dargelegt wird. Es lautet in der uns bekannten katechetischen Fassung: „Du sollst nicht töten!“ Dem Urtext näher kommt die Übersetzung in der Form: „Du sollst nicht morden!“ (hebr. „rasach“: ungesetzliches, willkürliches Töten). Es ist ein kategorisch d.h. unbedingt formuliertes Gebot, das auf die Heiligkeit des menschlichen Lebens hinweist und uns auf seinen unbedingt zu leistenden Schutz verpflichtet. Daß es in der näheren Ausfaltung dieses Gebotes, in seiner Anwendung und Begründung so manche Schwierigkeiten gibt, liegt in der Natur der Sache. Unser Leben verläuft nicht immer glatt. Wir sind bedroht durch Gefahren für Leib und Seele. Letztlich ist es die Macht der Sünde, die dem wahren Leben entgegensteht und für uns alle eine bleibende Herausforderung darstellt. Diese fundamentale Infragestellung unseres Lebens durch die Mächte der Sünde und des Todes läßt sich nur aushalten und letztlich siegreich überwinden durch die Annahme des Geschenkes der Erlösung, woran uns Jesus Christus Anteil gibt. Er ist das wahre Leben, das beim Vater war vor aller Zeit und eingetreten ist in unsere Welt durch seine heilige Menschwerdung. In seinem Leiden und Kreuz sowie in seiner Auferstehung hat er „Sünde, Tod und Teufel“ besiegt und uns allen eine unzerstörbare Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott gegeben.

Die frohe Botschaft (das „Evangelium“), die uns Jesus verkündet hat, ist ein „Evangelium des Lebens“. Es handelt von Gott, der die Liebe und das Leben ist und der uns beruft zur Liebe und zur Teilnahme an seinem göttlichen Leben. In diesem Sinn heißt es bereits im Buch der Weisheit 1,13–15, also noch im Alten Testament: „Denn Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt. Kein Gift des Verderbens ist in ihnen, das Reich des Todes hat keine Macht auf der Erde; denn die Gerechtigkeit ist unsterblich.“ Was bereits im Alten Bund anklingt, das ist in Jesus Christus, dem Erlöser der Menschen, in Erfüllung gegangen. In ihm empfangen wir die Fülle des Lebens. Er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Als Weg geleitet er uns zum Vater, da er als Gott und Mensch der einzige Mittler ist. Als Wahrheit offenbart er uns im Heiligen Geist den himmlischen Vater, als Leben ist er unser ewiges Ziel, denn nur Gott allein kann die Sehnsucht unseres Herzens nach Leben stillen!

Unser Heiliger Vater, Papst Johannes Paul II., hat am 25. März 1995 eine wegweisende Enzyklika „über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ veröffentlicht. Das Schreiben trägt den Titel „Evangelium vitae“ (= EV), auf deutsch: Das Evangelium des Lebens. Genau darum geht es dem Papst: Er möchte der „Kultur des Todes“, den lebensfeindlichen Kräften in unserer Gesellschaft, wieder die unzerstörbare Hoffnung des Evangeliums auf ein Leben, das diesen Namen wirklich verdient, entgegenstellen. Es geht um eine „klare und feste Bekräftigung des Wertes des menschlichen Lebens und seiner Unantastbarkeit“ und zugleich um einen leidenschaftlichen „Appell im Namen Gottes an alle und jeden einzelnen sein: achte, verteidige, liebe das Leben, jedes menschliche Leben, und diene ihm! Nur auf diesem Weg wirst du Gerechtigkeit, Entwicklung, echte Freiheit, Frieden und Glück finden!“ (EV 5)

Gott ist ein Freund des Lebens. Nicht der Tod hat das letzte Wort im Heilsplan Gottes, sondern das Leben. Jenseits von Leiden, Krankheit und Tod gibt es eine Perspektive der Hoffnung und der Erlösung. Es ist jenes Leben, das uns durch den Tod des gekreuzigten Herrn zuteil geworden ist und in seiner Auferstehung aufleuchtet. Bereits jetzt haben wir Anteil daran durch die heiligmachende Gnade, die wir in der Taufe empfangen haben. Es soll sich vollenden in der himmlischen Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht. So erfüllt sich das Wort Jesu: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

Wir wollen heute in der ersten Folge dieser Sendereihe diese Grundlagen bedenken: Was ist das Leben und insbesondere das menschliche Leben? Worin liegt sein einmaliger und unüberbietbarer Wert? Welche Beziehung hat unser Leben zu Gott? Worin besteht die Fülle des Lebens?

Die weiteren Folgen wenden sich wichtigen Einzelbereichen des Lebensschutzes und der Lebensförderung zu, wie dem Schutz des menschlichen Lebens an seinem Anfang und an seinem Ende, der Frage von Notwehr und gerechtfertigter Verteidigung sowie von Krieg und Frieden, der Förderung der Gesundheit und der medizinischen Forschung und Behandlung sowie gewissen Problemen, die durch die biotechnologische Entwicklung aufgeworfen worden sind.

Dabei ist es nur möglich, auf gewisse Aspekte einzugehen. Manches muß ausgeklammert werden, und nicht jede Frage wird ihre erschöpfende und letztgültige Antwort finden können. Die Kirche stellt sich den spezifischen Problemen unserer Zeit und Gesellschaft auch und gerade im Hinblick auf den Lebensschutz und gibt dazu sichere und wegweisende Orientierung.

Das Bewußtsein für die Würde des menschlichen Lebens wie auch für die vielfachen Verletzungen des Rechts auf Leben ist in der Kirche zu allen Zeiten wach geblieben. So erhebt sie unermüdlich ihre Stimme und setzt sich für den Menschen und seine Würde ein. Von geradezu prophetischer Aktualität erweist sich auch für unsere gegenwärtige Lage die Stellungnahme des 2. Vatikanischen Konzils in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, Nr. 27. Dort heißt es:

Zu praktischen und dringlicheren Folgerungen übergehend, will das Konzil die Achtung vor dem Menschen einschärfen: alle müssen ihren Nächsten ohne Ausnahme als ein „anderes Ich“ ansehen, vor allem auf sein Leben und die notwendigen Voraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens bedacht. Sonst gleichen sie jenem Reichen, der sich um den armen Lazarus gar nicht kümmerte. Heute ganz besonders sind wir dringend verpflichtet, uns zum Nächsten schlechthin eines jeden Menschen zu machen und ihm, wo immer er uns begegnet, tatkräftig zu helfen, ob es sich nun um alte, von allen verlassene Leute handelt oder um einen Fremdarbeiter, der ungerechter Geringschätzung begegnet, um einen Heimatvertriebenen oder um ein uneheliches Kind, das unverdienterweise für eine von ihm nicht begangene Sünde leidet, oder um einen Hungernden, der unser Gewissen aufrüttelt durch die Erinnerung an das Wort des Herrn: „Was ihr einem der Geringsten von diesen meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Was ferner zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird: all diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers.

II. Die Heiligkeit des menschlichen Lebens

„Ehrfurcht vor allem, was lebt“: Chancen und Grenzen eines Prinzips

In gewissen Kreisen – vor allem in der Umweltbewegung und im „grünen Lager“ ist es gang und gäbe, sich auf Albert Schweitzer (1875–1965), den berühmten Urwaldarzt von Lambarene sowie Philosophen und Theologen, zu berufen, der mit seinem Prinzip der „Ehrfurcht vor allem, was lebt“ eine hilfreiche Orientierung gegeben zu haben scheint für die Fragen nach Schutz und Achtung des Lebens. Schweitzer sieht das Leben als solches als heilig und unantastbar an. Für den Menschen gelte dann die Erfahrung: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Der Mensch sei dazu aufgerufen, sich ethisch zu verhalten, d.h. Ehrfurcht vor jeder Form des Lebens zu haben und dementsprechend zu handeln. Zugleich anerkennt Schweitzer, daß der Mensch, um selber leben zu können und anderem Leben zu helfen, gezwungen ist, mitunter und in einem gewissen Maße fremdes Leben zu zerstören. Wie sonst sollte sich der Mensch ernähren? So meint Schweitzer, jeder werde zwangsläufig in mehr oder weniger großem Ausmaß schuldig, weil er Leben vernichte.

In einer kritischen Würdigung ist festzustellen, daß Schweitzer gewiß dem Leben ein Höchstmaß an Achtung bezeugt. Problematisch ist allerdings der Schuldbegriff: Ist es tatsächlich so, daß der Mensch unvermeidbar schuldig wird, wenn er zum Beispiel sein Leben durch Nahrung zu erhalten sucht? Als katholische Christen werden wir dies verneinen. Eine weitere Unschärfe im Prinzip der Ehrfurcht vor allem, was lebt, liegt in der fehlenden Klarheit der Unterscheidung zwischen dem Leben des Menschen und dem der Tiere und Pflanzen. Gewiß hat auch das tierische und pflanzliche Leben einen Eigenwert, der nicht mutwillig zerstört werden darf. Der Mensch ist aber als einziges Wesen dieser Erde zugleich auch Person und besitzt eine geistige, unsterbliche Seele. Die höchste Achtung gebührt also nicht einfach dem Leben an sich, sondern dem Leben des Menschen, und hier wiederum dem Menschen als Person. Denn diese besitzt eine unvergleichliche Würde, die in ihrer Gottebenbildlichkeit gründet sowie in ihrer Berufung zum übernatürlichen Heil in Christus.

Die Wertschätzung des Lebens in der Heiligen Schrift

In der Heiligen Schrift wird das Leben in der Vielfalt seiner Dimensionen anerkannt und gewürdigt. Nicht nur vom Menschen, sondern von der ganzen Schöpfung und damit auch von den Pflanzen und Tieren, denen Gott der Herr als Schöpfer das Leben geschenkt hat, heißt es: „Gott sah, daß es gut war“ (Gen 1,25). Nach der Bildung des Menschen aus Lehm und dem Einhauchen seines Geistes durch Gott am 6. Schöpfungstag stellt das Buch Genesis (1,31) sogar fest: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“

Gott ist der Lebendige, der das Leben aus sich und in sich besitzt und allen Lebewesen mitteilt, die er geschaffen hat. Sein Wille ist es, das Leben zu erhalten und in seiner Entfaltung zu fördern. Dabei gibt es eine Rangordnung: Pflanzen und Tiere sind dem Menschen übergeben, damit er für sie Sorge trage; sie sollen dem Menschen aber zugleich auch als Nahrung dienen. Der Eigenwert des pflanzlichen und tierischen Lebens wird also durchaus anerkannt, wobei das Menschenleben einen einzigartigen Rang und eine unvergleichliche Würde einnimmt. Denn Gott schuf den Menschen nach seinem Abbild (vgl. Gen 1,26).

Bereits im ersten Buch der Heiligen Schrift wird allerdings ersichtlich, daß der Mensch mit seiner ihm von Gott geschenkten Freiheit nicht nur das Gute tun kann, sondern oft auch das Böse wählt. Der Tod kommt durch den Neid des Teufels (vgl. Gen 3,1.4–5) und die Sünde der Stammeltern in die Welt (vgl. Gen 2,17; 3,17–19). Und bald kommt es zur himmelschreienden Sünde des ersten Mordes durch Kain an Abel, seinem Bruder: „Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn. Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? Der Herr sprach zu ihm: Was hast Du getan? Das Blut deines Bruder schreit zu mir vom Ackerboden.“ (Gen 4,8–10). In diesem Zusammenhang stellt der KKK in Nr. 2259 fest: „Im Bericht über die Ermordung Abels durch seinen Bruder Kain offenbart die Schrift, daß im Menschen schon von Anfang seiner Geschichte an Zorn und Eifersucht als Folgen der Erbsünde wirksam sind. Der Mensch ist zum Feind des Mitmenschen geworden.“

Die Geschichte des Menschen ist auf diesem Hintergrund immer wieder Unheilsgeschichte. Trennt sich der Mensch durch die Sünde von Gott, der das Leben ist, dann gibt er sich selbst preis und zerstört er sein Leben. Der Mensch ohne Gott lebt in Finsternis und Todesschatten. Umso klarer leuchtet auf diesem düsteren Hintergrund das Geschenk der Erlösung auf. Gott hat den Menschen nicht aufgegeben. Bereits den Stammeltern wurde die Erlösung verheißen. In der Geschichte der Patriarchen des Alten Bundes sowie des ganzen Volkes Israel, durch die Predigt und das Beispiel der Propheten hat sich Gott oftmals als Gott des Lebens erwiesen, der den Sündern die Gnade der Umkehr und eines neuen Lebens aus der Verbundenheit mit ihm schenkt. Somit erweist sich die Erlösung durch Gott immer größer als alles menschliche Scheitern. Die Geschichte der Menschen wird durch Gottes rettende Tat umgewandelt von der Unheils- zur Heilsgeschichte.

Gott schließt durch Mose seinen Bund der Liebe mit dem auserwählten Volk und gibt ihm das Gesetz am Sinai – uns bekannt als die „10 Gebote Gottes“ –, worin sowohl die Pflichten des Menschen gegenüber Gott wie auch gegenüber dem Mitmenschen aufgeführt sind. Im 5. Gebot Gottes heißt es, uns gut bekannt: „Du sollst nicht töten!“ (vgl. Ex 20,13; Dtn 5,17). Darin ist die unbedingte Aufforderung enthalten, das Leben des unschuldigen Menschen zu schützen und ihm nichts Böses anzutun, ihn weder leiblich noch seelisch zu verletzen, ihn nicht fahrlässig zu gefährden oder ihn gar zu töten. Denn eine die Tötung eines Unschuldigen ist nichts anderes als Mord, den die Heilige Schrift an vielen Stellen verurteilt. Ein Mord kann durch nichts gerechtfertigt werden, er bleibt eine verwerfliche Tat, eine Sünde vor Gott und den Menschen, wer immer dies auch tut. So wird auch König David durch den Propheten Natan zurechtgewiesen und von Gott bestraft, nachdem er den Hetiter Urija in den Tod geschickt hatte (vgl. 2 Sam 11,14–17), um dessen Frau Batseba zu bekommen. Dies war schwerstes Unrecht, wofür der König büßen mußte, obwohl er dies bereut hatte (vgl. 2 Sam 12,21–25).

Die im Alten Bund anzutreffende Wertschätzung für das menschliche Leben erweitert sich im Fortgang der Offenbarungsperspektive, indem immer deutlicher die Perspektive der ewigen Erfüllung dieses Lebens durch Gott herausgestellt wird. Der Erlöser Jesus Christus zeigt auf, daß das Reich Gottes zwar in dieser Welt wirksam ist, aber nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 18,36). Das wahre Leben ist nicht im Diesseits zu finden, sondern besteht in der innigen Verbundenheit des Herzens mit Gott. Durch seinen Tod am Kreuz, durch die Hingabe seines Leibes und Blutes für die Vielen hat der menschgewordene Sohn Gottes, Jesus Christus, der Welt das Leben geschenkt. Wer an ihn glaubt, wird mit ihm leben, auch wenn er gestorben ist. Der zweite Tod kann ihm nichts anhaben. Das Leben Gottes hat endgültig triumphiert. So spricht der Herr zu Martha: „Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“ (Joh 11,25–26)

Das bereits im Alten Bund ausgesprochene Tötungsverbot bleibt aufrecht, ja es wird von Jesus sogar noch verschärft, wenn er in der Bergpredigt verkündet: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.“ (Mt 5,21–22)

Nicht erst die äußere Tat, sondern bereits die innere Gesinnung zählt. Somit verbietet sich von daher jede Form von Haß- und Rachegelüsten. Wer Christus nachfolgt, ist dazu aufgerufen, den Nächsten zu lieben (vgl. Lk 10,27), ja sogar den Feind (vgl. Mt 5,44 ff). Denn auch dessen Leben ist in Gottes Augen kostbar. Hat jemand gesündigt, so soll man für ihn beten, daß er sich bekehrt und so wieder zum Leben bei Gott gelangt.

Die klare und eindeutige Lehre der Kirche

Die Kirche hat die biblischen Aussagen stets ernst genommen und verkündet die Botschaft von der Würde des menschlichen Lebens als zentrales Element der christlichen Heilslehre. So kann der KKK in Nr. 2258 die auf der Heiligen Schrift aufbauende Lehrtradition der Kirche mit einem Zitat aus „Donum vitae“ in bezug auf das 5. Gebot Gottes folgendermaßen beschreiben:

„Das menschliche Leben ist heilig, weil es von seinem Beginn an ‚der Schöpfermacht Gottes‘ bedarf und für immer in einer besonderen Beziehung zu seinem Schöpfer bleibt, seinem einzigen Ziel. Nur Gott ist der Herr des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende: Niemand darf sich, unter keinen Umständen, das Recht anmaßen, ein unschuldiges menschliches Wesen direkt zu zerstören“ (DnV intr. 5).

Vordergründig besitzt das Gebot „Du sollst nicht töten“ einen negativen Inhalt: Es zeigt eine absolute Grenze auf, die niemals überschritten werden darf: „Es verpflichtet alle und jeden, immer und überall.“ (KKK 2261) Zugleich ruft uns dieses Gebot dazu auf, das Leben absolut zu achten und uns in positiver Weise zu verhalten, um es zu erhalten und zu fördern und auf diesem Weg auf dem Weg der Liebe voranzuschreiten (vgl. EV 54).

Ganz feierlich hat Papst Johannes Paul II. in „Evangelium vitae“ Nr. 57 erklärt:

„Mit der Petrus und seinen Nachfolgern von Christus verliehenen Autorität bestätige ich daher in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen immer ein schweres sittliches Vergehen ist. Diese Lehre, die auf jenem ungeschriebenen Gesetz begründet ist, das jeder Mensch im Lichte der Vernunft in seinem Herzen findet (vgl. Röm 2,14–15), ist von der Heiligen Schrift neu bestätigt, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt gelehrt.“

In welchen Einzelbereichen des Lebens sich dieses sittliche Gebot zu entfalten und zu bewähren hat, soll der Inhalt der folgenden Ausführungen sein.

III. Der unbedingte Schutz des menschlichen Lebens
von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod

Die Fragen nach dem sittlich guten Handeln im Hinblick auf alles, was mit dem menschlichen Leben als solchen zu tun hat, werden heute oft mit dem Begriff „Bioethik“ zusammengefaßt. Die Bezeichnung stammt aus dem angelsächsischen Sprachraum und kam in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. auf; die Anliegen und Probleme einer medizinischen Ethik wurden nun in einem weiteren Horizont behandelt.

Gerade am Anfang des menschlichen Lebens stellt sich das Anliegen eines umfassenden und wirkungsvollen Schutzes für das ungeborene Kind. Hier sind Christen, aber auch andere Menschen guten Willens gefordert, sich mit Entschiedenheit für das Leben des Menschen einzusetzen. Wird am Lebensanfang bereits eine Ausnahme vom Lebensschutz zugelassen (durch die gesetzliche Möglichkeit oder gar eine „Recht“ auf Abtreibung), so drängt die Dynamik der „schiefen Ebene“ dahin, daß dies schließlich auch im Hinblick auf das Lebensende diskutiert und dann auch durchgeführt wird. Das Stichwort „Euthanasie“ läßt die Verschiebung bisher unaufgebbarer Grenzmarken erkennen.

Wann beginnt das menschliche Leben? Der Mensch ist Person von Anfang an!

Mit Berufung auf geschichtlich vertretene Positionen haben manche gemeint, den Beginn des Menschenlebens später ansetzen zu können als dies mit guten Gründen von ernstzunehmenden Wissenschaftlern und Philosophen und auch von der Kirche angenommen wird. So gibt es die Auffassung, das Menschsein beginne erst mit der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter; vorher handle es sich bloß um einen „Zellklumpen im Entwicklungsstadium“, nicht aber um eine menschliche Person. Der Lebensschutz sei demgemäß zu relativieren, vor allem, wenn er mit anderen Gütern konkurriere.

Philosophisch wird womöglich die sog. Theorie der „Sukzessivbeseelung“ ins Spiel gebracht, welche von Aristoteles und sogar von Thomas von Aquin vertreten worden ist. Nach dieser Auffassung erhalte der Mensch die geistige Seele erst einige Zeit nach der Empfängnis; vorher habe er bloß eine sinnenhafte Seele, sei also noch nicht Person. Diese Positionen sind verständlich auf dem Hintergrund der früheren naturwissenschaftlichen Kenntnisse, erweisen sich heute aufgrund der Ergebnisse der genetischen und embryologischen Forschungen aber als unhaltbar. Bereits in der befruchteten Eizelle, der Zygote, ist all das angelegt, was den Menschen zum Menschen macht. Er ist genetisch festgelegt. Alles Weitere fügt dem Wesen „Mensch“ nichts Qualitatives mehr hinzu. Es gibt nur eine Entfaltung und Entwicklung des schon Vorhandenen. Nicht der Genotypus ändert sich, sondern allein der Phänotypus entfaltet sich. Der Mensch entwickelt sich also nicht zur Person, sondern er entwickelt sich als Mensch und als Person von Anfang an!

Die Kirche hat in diesem Sinn ganz klar festgehalten, daß „das menschliche Leben ... vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen“ ist. „Schon im ersten Augenblick seines Daseins sind dem menschlichen Wesen die Rechte der Person zuzuerkennen, darunter das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben“, heißt es im KKK unter der Nr. 2270.

Wir können als Menschen und Christen nur staunen über die Wunder Gottes, die er am Anfang des Menschseins vollbringt. Der Bauplan des Menschen ist bereits grundgelegt in der befruchteten Eizelle. Wir dürfen davon ausgehen, daß Gott diesem Menschen im ersten Augenblick seines Daseins bereits die unsterbliche Seele eingeschaffen hat. Vor uns steht nicht irgendein Zellgebilde, sondern ein Mensch wie Du und ich. Vom Schöpfer ist ihm das Leben zugedacht – zuerst im Mutterschoß, dann hier auf Erden und schließlich in der Vollendung des ewigen und seligen Lebens bei Gott im Himmel. Jeder Mensch hat einen unschätzbaren Wert – hat Ewigkeitswert!

Abtreibung ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen

Seit es in Österreich möglich ist, während der ersten drei Monate nach der Empfängnis (und in Ausnahmefällen, etwa bei Behinderung sogar bis zur Geburt!) straffreie Abtreibungen durchzuführen (seit 1975 durch die sog. „Fristenregelung), ist das Unrechtsbewußtsein für diese Tat massiv geschwunden. Bei der Einführung wurde argumentiert, man wolle betroffene Frauen, die eine Abtreibung durchführen, nicht kriminalisieren; heute sind wir bald so weit, daß Mütter in Extremlagen, die sich beispielsweise für ein möglicherweise behindertes Kind entscheiden, als verantwortungslos dargestellt werden. In Deutschland und in der Schweiz ist die Situation ähnlich schlimm; das ungeborene Kind in seinen ersten Monaten hat faktisch kaum mehr einen rechtlichen Schutz. Das jüngste Beispiel für derartige fatale Sichtweisen: Der deutsche Bundesgerichtshof hat vor kurzem eine Entscheidung getroffen, wonach eine Ärztin für den Unterhalt eines schwerstbehinderten Kindes aufkommen muß. Sie hatte während der Schwangerschaft Fehlbildungen übersehen. Die Eltern hätten nach eigenem Bekunden mit dem Wissen dieser Fehlbildungen das Kind abtreiben lassen. Nach diesem Urteil sind Behinderte nicht mehr Mitmenschen, sondern im Abwägungsfall lebensunwertes Leben. Andere dürfen sich anmaßen, Herren über ihr Leben und ihren Tod zu sein.

Von Anfang hat sich das Christentum gegen die Tötung des ungeborenen Menschenlebens ausgesprochen. In der Didaché 2,2 heißt es: „Du sollst ... nicht abtreiben noch ein Neugeborenes töten“ (KKK 2271). Unter den kirchlichen Schriftstellern aus dem griechischen Raum erwähnt Athenagoras, daß die Christen Frauen, die auf medizinische Eingriffe zur Abtreibung zurückgreifen, als Mörderinnen ansehen, weil die Kinder, auch wenn sie noch im Mutterschoß sind, „bereits Gegenstand der Fürsorge der göttlichen Vorsehung sind“. Mit dieser ihrer Auffassung stellten sich die Christen gegen die weitverbreitete Praxis bei den Heiden. Sie bekannten sich aufgrund des Glaubens an die Menschwerdung des Sohnes Gottes zu einem umfassenden Schutz des menschlichen Lebens von Anfang an.

Ganz feierlich hat Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Evangelium vitae“ zur Abtreibungsfrage Stellung genommen. Er schreibt in Nr. 62: „Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat, erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen – die mehrfach die Abtreibung verurteilt und, obwohl sie über die Welt verstreut sind, bei der eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben –, daß die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sittliches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.“ Damit schließt sich der Papst auch der Wertung des 2. Vatikanischen Konzils an, das in GS 51 Abtreibung und Kindstötung als „verabscheuungswürdige Verbrechen“ bezeichnet hatte.

Rechtliche Sanktionen bei Abtreibung sind unverzichtbar

Es soll nicht Ausdruck einer unbarmherzigen Haltung gegenüber jenen Frauen sein, die oft unter massivem Druck von Seiten ihrer Umgebung eine Abtreibung durchführen lassen, wenn die Kirche feststellt, daß durch die Tat der Abtreibung selbst die Kirchenstrafe der Exkommunikation eintritt (vgl. CIC can. 1398). Damit ist jeder, der wissentlich und willentlich (formell) an einer Abtreibung mitwirkt, von der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen. Eine Versöhnung ist nur möglich, wenn der Sünder mit wahrer Reue und aufrichtigem Vorsatz die Schuld vor Gott und der Kirche bekennt, d.h. das Bußsakrament empfängt. Hierbei erfolgt dann zugleich auch die Lossprechung von der Exkommunikation.

Auch die früher üblichen gesetzlichen Strafsanktionen von staatlicher Seite für die Durchführung oder Mitwirkung bei einer Abtreibung können nicht generell als falsch bezeichnet werden. Das Schlagwort „Helfen statt strafen“ trifft nicht den Kern der Sache. Nur dort, wo es auch eine Strafe für schwere Verletzungen menschlicher Rechte gibt, bleibt ein Unrechtsbewußtsein bestehen. Wenn das Gesetz das ungeborene Kind vom Augenblick seiner Empfängnis an wirksam schützen will, dann muß es auch die geeigneten Strafmaßnahmen für jede gewollte Verletzung dieser Rechte vorsehen (vgl. KKK 2273). Die bei der Einführung der Fristenregelung versprochenen „flankierenden Maßnahmen“ zum Schutz der Familien und zur Förderung einer Entscheidung der Frau für das Kind sind nicht ausreichend und haben sich nur als bedingt wirksam erwiesen; eine sekundäre Absicherung der Menschenrechte der ungeborenen Kinder durch ein wirksames und maßvolles Strafrecht erscheint unverzichtbar. In diesem Zusammenhang muß bedauert werden, daß gerade hier die im übrigen durchaus verdienstvolle österreichische „Aktion Leben“ ihren früheren Standpunkt aufgegeben hat und sich im Prinzip mit der derzeit geltenden Fristenregelung abgefunden hat. Andere Lebensschutzbewegungen sehen weiterhin die Notwendigkeit einer Abschaffung der Unrechtsparagraphen, die zur Tötung vieler ungeborener Kinder führen. Alle Initiativen des Lebensschutzes gilt es aus einem christlich motivierten Gewissen heraus zu unterstützen!

Bei aller Klarheit des Zeugnisses für das Lebensrecht der Ungeborenen gilt auch, daß wir Frauen, die vielleicht unter großem Druck von Seiten ihrer Angehörigen und Freunde eine Abtreibung durchführen ließen, nicht verurteilen, sondern ihnen eine Perspektive der Hoffnung und der Umkehr eröffnen. Viele leiden körperlich und seelisch an den Folgen der Abtreibung (am sog. „Post-abortion-Syndrom“) und suchen nach einem Weg der Versöhnung mit sich selber, den Mitmenschen und der Gesellschaft sowie mit Gott. Dieser Prozeß ist oft lang und schmerzvoll; wenn er von Wahrheit und christlicher Liebe geleitet ist, kann er letztlich nur heilsam sein und ein Weg der Erlösung.

Zur gegenwärtigen Euthanasiedebatte

Nach der Darstellung des Lebensrechtes des ungeborenen Menschen wenden wir uns nun in Kürze den Problemen am Lebensende des Menschen zu. Die enormen Fortschritte in der Medizin führen mitunter zu Situationen, wo Patienten und ihre Angehörigen das Gefühl haben, übertherapiert zu werden. Es wird gleichsam das Letzte aufgeboten, und das mit derart hohem Einsatz, als ob eine minimale Lebensverlängerung der höchste Wert überhaupt wäre. Daß die Lebensqualität unter dem Eindruck einer Apparatemedizin nicht unbedingt steigen muß, wissen viele. Generell ist das Verständnis und die Bereitschaft, mit Leid zu leben und es in einer Perspektive der Hoffnung und Erlösung anzunehmen, zurückgegangen. Auch von daher ist es naheliegend, daß am Lebensende der Wunsch auftaucht, in freier Selbstbestimmung dem nicht mehr als lebenswert empfundenen Dasein ein Ende zu setzen. Dies wird dann als „Sterben in Würde“ propagiert!

Hierzu ist vom katholischen Standpunkt aus zunächst festzustellen, daß bei der Behandlung und Therapie kranker Menschen zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Maßnahmen zu unterscheiden ist. Ein Kranker oder gar Sterbender ist nicht verpflichtet, die Anwendung jener Maßnahmen und Mittel auf sich zu nehmen, die nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand durchgeführt werden können und sowohl das Leben nur unwesentlich verlängern wie auch die Lebensqualität kaum verbessern. So heißt es dazu im KKK 2278:

„Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis. Außerordentliche oder zum erhofften Ergebnis in keinem Verhältnis stehende aufwendige und gefährliche medizinische Verfahren einzustellen, kann berechtigt sein. Man will dadurch den Tod nicht herbeiführen, sondern nimmt nur hin, ihn nicht verhindern zu können. Die Entscheidungen sind vom Patienten selbst zu treffen, falls er dazu fähig und imstande ist, andernfalls von den gesetzlich Bevollmächtigten, wobei stets der vernünftige Wille und die berechtigten Interessen des Patienten zu achten sind.“

Hier handelt es sich also nicht um ein aktives Herbeiführen des Lebensendes, sondern um die Annahme des natürlichen Sterbeprozesses, der durch außerordentliche Mittel nicht auf unnötige Weise verlängert werden soll. Keineswegs ist dies mit Euthanasie gleichzusetzen. Diese besteht darin, daß der Patient oder seine Angehörigen und Freunde bzw. die Ärzte oder das Pflegepersonal bestimmte Maßnahmen einleiten, die den Tod des Patienten direkt anzielen. Dies kann sowohl durch aktives Tun wie auch durch Unterlassung geschehen. Weil diese Entscheidung nicht in der Verfügungsmacht des Menschen liegt, der damit eine ihm vom Schöpfer gesetzte Grenze überschreitet, handelt es sich um ein sittlich schwerwiegendes negatives Verhalten. Der KKK urteilt in Nr. 2277 darüber folgendermaßen:

„Die direkte Euthanasie besteht darin, daß man aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer dem Leben behinderter, kranker oder sterbender Menschen ein Ende setzt. Sie ist sittlich unannehmbar. Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus oder der Absicht nach den Tod herbeiführt, um dem Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres Vergehen gegen die Menschenwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, schuldet. Das Fehlurteil, dem man gutgläubig zum Opfer fallen kann, ändert die Natur dieser mörderischen Tat nicht, die stets zu verbieten und auszuschließen ist.“

Ähnlich klar hat sich Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Evangelium vitae“ Nr. 65 ausgesprochen:

„Nach diesen Unterscheidungen bestätige ich in Übereinstimmung mit dem Lehramt meiner Vorgänger und in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die Euthanasie eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt. Eine solche Handlung setzt, je nach den Umständen, die Bosheit voraus, wie sie dem Selbstmord oder dem Mord eigen ist.“

Wenn es nun in manchen Ländern bereits zur gesetzlich ermöglichten Durchführung der Euthanasie gekommen ist (z.B. in den Niederlanden oder in Belgien), so ist darin ein sittlicher und gesellschaftlicher Verfall zu sehen, dem aktiv entgegenzuwirken ist. Dies geschieht vor allem dadurch, daß wir uns um Kranke und Sterbende kümmern und ihnen vor allem mitmenschliche Nähe zuteil werden lassen. Auch die Palliativmedizin sowie die Hospizbewegung leisten hier Wichtiges, sowie neuestens die eben in Österreich gesetzlich beschlossene Möglichkeit der Famlienhospizkarenz. Es geht darum, dem Kranken in seinen Ängsten und Leiden beizustehen und ihm Trost und Linderung zu vermitteln. Die Pflege, die man einem kranken Menschen schuldet, darf auch bei Sterbenden nicht abgebrochen werden. Schmerzlindernde Mittel dürfen auch dann angewandt werden, wenn damit eine relative Lebensverkürzung verbunden ist, da diese nicht als solche beabsichtigt ist, sondern bloß in Kauf genommen wird (vgl. KKK 2279).

Schließlich ist es die Aufgabe der seelsorglichen Begleitung, dem kranken Menschen zu helfen, Krankheit und Tod anzunehmen und mit Christus den Weg der Erlösung durch das Kreuz zur Auferstehung zu gehen. Gerade in solchen Extremsituationen des Lebens erweist sich die Botschaft der Kirche, die sie im Namen Christi verkündet, als „Evangelium des Lebens“ mit einer Verheißung, die trägt und Hoffnung gibt auch über den irdischen Tod hinaus.

IV. Mord und Selbstmord, Notwehr und Todesstrafe

Diesmal wollen wir uns im Zusammenhang einer „Ethik des Lebens“ mit den Fragen von Mord und Selbstmord sowie mit dem Recht auf Notwehr und dem Problem der Todesstrafe beschäftigen. Dies alles kann uns helfen, jenes absolut gültige Prinzip besser zu verstehen und anzuwenden, das Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Evangelium vitae“ (zu deutsch: „Das Evangelium des Lebens“), Nr. 57, klar formuliert hat, und das auch der KKK in Nr. 2258 bekräftigt. Es ist die Präzisierung und Erläuterung des 5. Gebotes Gottes: „Du sollst nicht töten!“, und lautet: „Niemand darf sich, unter keinen Umständen, das Recht anmaßen, ein unschuldiges menschliches Wesen direkt zu zerstören.“ Die Kirche ist immer eine Anwältin für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens. Ihre Botschaft, die sie im Namen Christi verkündet, ist ein „Evangelium des Lebens“.

Ein Mord ist nie zu rechtfertigen

Der Mord als tödlicher Angriff auf das physische Leben des Menschen ist zugleich als eine beabsichtigte Zerstörung der menschlichen Person zu werten. Er trifft nicht nur den Menschen als Abbild Gottes, sondern indirekt auch den Schöpfer, der dem Menschen Leben und Würde verliehen hat. Gott hat sich in der Menschwerdung des Sohnes Gottes mit jedem Menschen solidarisiert und gerade das unschuldige Leben unter seinen besonderen Schutz gestellt.

Jeder Mord ist darum absolut ausgeschlossen; er ist nie zu rechtfertigen (vgl. KKK 2268–2269), mag es sich nun um Selbstmord oder um den Mord des Mitmenschen handeln, um die vorsätzliche individuelle oder kollektive Tötung von unschuldigen Menschen. Mit den Worten der Heiligen Schrift nennt auch der Katechismus den Mord eine „himmelschreiende Sünde“ (vgl. Gen 4,10). Das heißt, das Blut der unschuldig Getöteten ruft gleichsam zum Himmel. Es ist Gott selber, der unendlich Gerechte und Gütige, der für alle unschuldig Getöteten eintritt. Gerade dann, wenn Menschen wehrlos ungerechten Angriffen ausgesetzt sind, dürfen sie darauf hoffen, daß Gott selbst letztlich ihr Befreier und Retter sein wird vor der Übermacht des Bösen.

Besonders schwere Verbrechen sind jene Tötungshandlungen, die sich gegen die Bande der Verwandtschaft oder der Liebe und Freundschaft richten, wie Kindesmord, Brudermord, Elternmord und Gattenmord (vgl. KKK 2268). Mord bleibt immer Mord, egal wer ihn begeht und seien es die Träger der öffentlichen Gewalt, die mit angeblichen Rücksichten auf die Gesundheit des Volksganzen oder auf das Erbgut derartige Maßnahmen durchführen wollten, wie dies leider in totalitären Systemen immer wieder geschehen ist. Hier gilt es sensibel zu sein und sowohl das persönliche wie auch das soziale Gewissen zu wecken und die Kräfte des Guten zu mobilisieren, um das Leben zu schützen und zu fördern!

Daß es nicht nur eine direkte Verantwortung für das eigene Leben sowie für das des Mitmenschen gibt, sondern auch eine indirekte, betont der KKK in Nr. 2269, wenn er feststellt:

„Das fünfte Gebot untersagt auch, etwas mit der Absicht zu tun, den Tod eines Menschen indirekt herbeizuführen. Das sittliche Gesetz verbietet, jemanden ohne schwerwiegenden Grund einer tödlichen Gefahr auszusetzen sowie einem Menschen in Lebensgefahr die Hilfe zu verweigern.“

Hier fällt uns wieder das biblische Beispiel des Königs David ein (2 Sam 11,14–12,25), der den Mann seiner Geliebten Batseba ermorden wollte und ihn darum im Krieg an jene Stelle setzen ließ, wo er mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Feinden getötet würde. David konnte jedoch sein Gewissen mit diesem „Trick“ letztlich nicht beruhigen, da er selber nur zu gut wußte, daß Urija ohne seine Initiative den Tod nicht erlitten hätte. So war er – der angesehene und fromme König – letztlich zum Mörder geworden, eine Tat, die bereut und gesühnt werden mußte. Denn Gott steht immer auf der Seite der Entrechteten, Geknechteten und Unschuldigen; vor ihm gibt es kein Versteckspiel.

Auch gibt es die Verpflichtung zur Lebensrettung für all jene, die eine konkrete Hilfsmöglichkeit haben. Es darf nicht sein, daß an dem Mann, der nach dem Gleichnis Jesu (vgl. Lk 10,30–37) unter die Räuber fiel, alle vorübergehen – angefangen vom Priester und Leviten, bis endlich der Mann aus Samaria ein Herz für den Überfallenen hat und sich seiner annimmt. Hätte er dies nicht getan, so wäre der schwer Mißhandelte und Ausgeraubte sicher gestorben. An dieser Stelle soll im Namen der Kirche all jenen gedankt werden, die sich oft unter Einsatz des eigenen Lebens für die Mitmenschen in Not einsetzen: Das gilt für bestimmte Berufe und auch für ehrenamtliche Tätigkeiten, wie beispielsweise durch Rettungsdienste oder Feuerwehren. Seien wir froh, daß die Gesinnung echter Hilfsbereitschaft bei vielen lebendig ist und tragen wir selbst dazu bei, indem wir ein offenes Herz haben für die Not unseres Mitmenschen!

Zwei sozial bedeutsame Brennpunkt des Unrechts gegen das menschliche Leben werden vom Katechismus direkt angesprochen. Es heißt in Nr. 2269:

„Daß die menschliche Gesellschaft mörderische Hungersnöte hinnimmt, ohne sich um Hilfe zu bemühen, ist ein empörendes Unrecht und eine schwere Verfehlung. Händler, die durch wucherische und profitgierige Geschäfte ihre Mitmenschen hungern und sterben lassen, begehen indirekt einen Mord; für diesen sind sie verantwortlich [Vgl. Am 8,4–10].“

Wir sind darum aufgerufen, nicht die Stelle des reichen Prassers einzunehmen, der den armen Lazarus verhungern läßt (vgl. Lk 16,19–31), sondern für die notleidenden Mitmenschen Sorge zu tragen, auch in der sogenannten „Dritten Welt“. Sünden der Ausbeutung können den Tod anderer bewirken, für die wir Verantwortung tragen; sie sind darum nicht weniger schlimm als die Verfehlungen in anderen Geboten Gottes. Dafür die Gewissen zu schärfen, ist eine Aufgabe, der wir uns nach dem Beispiel unseres gegenwärtigen Heiligen Vaters Papst Johannes Pauls II. noch mehr stellen sollten!

Was man sehr wohl vom Mord unterscheiden muß, ist die wirklich unbeabsichtigte Tötung eines Menschen durch einen Unfall oder ein Unglück. Denken wir nur daran, daß bei einer Bergsteigergruppe das Seil reißen kann und jemand so den Tod findet! Die Bergkameraden werden sich vielleicht ihr Leben lang Vorwürfe machen, obwohl sie alles getan hatten, um eine sichere Durchführung ihres Unternehmens zu ermöglichen. In diesem Sinn stellt der KKK 2269 fest: „Die unwillentliche Tötung eines Menschen ist moralisch nicht anrechenbar.“ Hier liegt keine Schuld vor, weil keine willentlich-tätige Einflußnahme erfolgt ist, sondern das Unglück einfach geschehen ist. Mit Recht bleibt jedoch tiefe Betroffenheit, daß so etwas überhaupt passieren konnte!

Daß man es sich hier nicht zu leicht machen darf, geht aus dem anschließenden Hinweis im selben Artikel des KKK hervor, wo es heißt: „Man ist aber nicht von einem schweren Vergehen entschuldigt, wenn man ohne angemessene Gründe so handelt, daß man, wenn auch unbeabsichtigt, den Tod eines Menschen verursacht.“ Hier liegt also doch wieder eine indirekte Verantwortung vor, wenn man gefährliche Situationen für das eigene Leben oder das der Mitmenschen herankommen läßt oder sie gar provoziert, für deren Nichteintreten man vorher Sorge tragen hätte können. Ganz in diesem Sinn heißt es in KKK 2290: „Wer in betrunkenem Zustand oder im Geschwindigkeitsrausch auf der Straße, auf dem Wasser oder in der Luft die Sicherheit anderer und die eigene gefährdet, versündigt sich schwer.“ Dies sind klare Worte für viele von uns, daß wir verantwortlich dazu beitragen, den hohen „Blutzoll“ auf unseren Straßen wenigstens etwas zu senken!

Selbstmord ist Unrecht gegen die eigene Person, die Gesellschaft und gegen Gott

Weil wir das Leben von Gott als Geschenk erhalten haben, müssen wir es bewahren und zur Entfaltung bringen und dürfen es nicht mutwillig zerstören. In der Tat des Selbstmordes liegt nach den Worten des KKK in Nr. 2281 ein dreifaches Unrecht:

„Der Selbstmord widerspricht der natürlichen Neigung des Menschen, sein Leben zu bewahren und zu erhalten. Er ist eine schwere Verfehlung gegen die rechte Eigenliebe. Selbstmord verstößt auch gegen die Nächstenliebe, denn er zerreißt zu Unrecht die Bande der Solidarität mit der Familie, der Nation und der Menschheit, denen wir immer verpflichtet sind. Der Selbstmord widerspricht zudem der Liebe zum dreifaltigen Gott.“

Im Einzelfall dürfen wir freilich über jene Menschen, die Selbstmord begangen oder versucht haben, nicht urteilen. Es wird wohl sehr selten sein, daß jemand dabei in vollem Besitz seiner geistigen Kräfte ist. Oft sind Einschränkungen der Erkenntnis und der Freiheit gegeben, die die sittliche Verantwortung massiv einschränken, wenn nicht gar aufheben. In diesem Sinn stellt der KKK in Nr. 2282 fest: „Schwere psychische Störungen, Angst oder schwere Furcht vor einem Schicksalsschlag, vor Qual oder Folterung können die Verantwortlichkeit des Selbstmörders vermindern.“

Eben darum gilt für die Heilsperspektive jener Menschen, die Selbstmord begangen haben (KKK 2283):

„Man darf die Hoffnung auf das ewige Heil der Menschen, die sich das Leben genommen haben, nicht aufgeben. Auf Wegen, die Gott allein kennt, kann er ihnen Gelegenheit zu heilsamer Reue geben. Die Kirche betet für die Menschen, die sich das Leben genommen haben.“

Tötung in Notwehr kann in letzter Konsequenz erlaubt sein

Manche meinen, die Erlaubnis zur Notwehr wäre eine Ausnahme vom Tötungsverbot. Sie sehen dadurch das Prinzip: „Du sollst nicht töten!“ aufgeweicht und treten für eine ausnahmslose Ablehnung jeder Gewaltanwendung und jeder Tötungshandlung ein. So ideal eine derartige Forderung erscheinen mag – mitunter wird sie gar aus der Bergpredigt abgeleitet, indem man diese nicht als prophetischen Imperativ, sondern in einer gesetzlich-buchstäblichen Weise versteht –, sie entspricht doch nicht der Lehre des Evangeliums und der Tradition der Kirche, noch hält sie den Anforderungen des Lebens unter den Bedingungen des gegenwärtigen Äons menschlicher Unvollkommenheit, Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit stand.

Das schon im natürlichen sittlichen Gesetz verankerte und durch das Gesetz des Evangeliums nicht aufgehobene Notwehrprinzip lautet: Sofern der Gewalttätigkeit oder gar einer Tötungshandlung nicht auf andere Weise wirksam gewehrt werden kann, darf in letzter Konsequenz zur Abwehr eines noch schlimmeren Übels und mit der begründeten Aussicht auf Erfolg die nötige Selbstverteidigung und die Verteidigung anderer, für die man verantwortlich ist, auch mit Einsatz von Gewalt durchgeführt werden. Eine Tötung des Angreifers kann dabei – wenn sie unvermeidlich ist – in Kauf genommen werden. Nie darf die Tötung aber das eigentliche Ziel der Handlung sein, sondern stets der Schutz der eigenen Person sowie jener Menschen, für die jemand besondere Verantwortung trägt.

Der Katechismus der Katholischen Kirche formuliert das in Nr. 2263 so:

„Die Notwehr von Personen und Gesellschaften ist keine Ausnahme vom Verbot, einen Unschuldigen zu töten, also einen willentlichen Mord zu begehen. ‚Aus der Handlung dessen, der sich selbst verteidigt, kann eine doppelte Wirkung folgen: die eine ist die Rettung des eigenen Lebens, die andere ist die Tötung des Angreifers’ (Thomas v. A., s. th. 2—2, 64, 7). Nur die eine Wirkung ist gewollt, die andere nicht.“

Hier erfolgt durch Thomas von Aquin, den der Katechismus zitiert, ein Rückgriff auf das Prinzip der doppelten Wirkung einer Handlung. Um eines besonderen Gutes willen kann eine Handlung verantwortet werden, die eine zweifache Wirkung besitzt: eine sittlich erstrebenswerte und eine solche, die bloß zugelassen wird, weil sie als direkt angestrebte sittlich negativ ist. Im Fall der erlaubten Selbstverteidigung ist die sittlich erstrebenswerte Wirkung der Schutz vor dem Angreifer, die bloß zugelassene Wirkung die unter Umständen dabei nötige Verletzung oder gar Tötung des Angreifers.

Noch deutlicher heißt es in Nr. 2264:

„Die Liebe zu sich selbst bleibt ein Grundprinzip der Sittenlehre. Somit darf man sein eigenes Recht auf das Leben geltend machen. Wer sein Leben verteidigt, macht sich keines Mordes schuldig, selbst wenn er gezwungen ist, seinem Angreifer einen tödlichen Schlag zu versetzen: ‚Wenn jemand zur Verteidigung des eigenen Lebens größere Gewalt anwendet als nötig, ist das unerlaubt. Wenn er die Gewalt aber mit Maß zurückstößt, ist die Verteidigung erlaubt ... Es ist zum Heil nicht notwendig, auf den Akt des maßvollen Schutzes zu verzichten, um die Tötung des anderen zu vermeiden; denn der Mensch ist mehr gehalten, für das eigene Leben als für das fremde Leben zu sorgen’ (Thomas v. A., s. th. 2—2, 64, 7).“

Keineswegs möchte die Kirche mit der Anerkennung des Rechts auf Notwehr einem Prinzip der Vergeltung Vorschub leisten oder eine Logik der Gewalttätigkeit fördern. Es geht hier aber um den wirksamen Schutz der Person und der Gesellschaft, eine Aufgabe, die sich für den einzelnen zumindest als Recht darstellt, die aber unter Umständen auch zur sittlichen Pflicht werden kann, wie in Nr. 2265 ausgeführt wird. Der Abschnitt lautet in der neuen deutschen Übersetzung, die gemäß dem für authentisch erklärten lateinischen Text des Katechismus erstellt wurde, folgendermaßen:

„Die Notwehr kann für den, der für das Leben anderer verantwortlich ist, nicht nur ein Recht, sondern eine schwerwiegende Verpflichtung sein. Die Verteidigung des Gemeinwohls erfordert, daß der ungerechte Angreifer außerstande gesetzt wird zu schaden. Aus diesem Grund haben die gesetzmäßigen Verantwortungsträger das Recht, diejenigen, die das Gemeinwesen, für das sie verantwortlich sind, angreifen, auch mit Waffengewalt abzuwehren.“

Dieser Text läßt erkennen, daß die gewaltsame Verteidigung wirklich nur ein Notwehrrecht darstellt, d.h. für den Normalfall des Lebens nicht in Frage kommt. Hier sind einzelne, aber auch Staat und Gesellschaft herausgefordert, bei Konfliktfällen nach gewaltlosen Lösungen zu suchen und diese auch anzuwenden:

„Wenn aber unblutige Mittel hinreichen, um die Sicherheit der Personen gegen den Angreifer zu verteidigen und zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener.“ (KKK 2267 in der neuen Fassung)

Es gibt jedoch Extremfälle der Bedrohung eigenen oder fremden Lebens sowie gesellschaftlicher Grundwerte, denen gegenüber der Einsatz von Waffengewalt berechtigt sein kann. Nichts anderes ist ja auch auf institutioneller Ebene im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit eines Staates verwirklicht durch die Einrichtung und Erhaltung einer berufsmäßigen oder freiwilligen Sicherheitsorganisation, wie sie u.a. Polizei und Gendarmerie oder das Bundesheer und gewisse Sondereinheiten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität darstellen.

Todesstrafe

Wenn der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Todesstrafe eingeht, so ist dies eingebettet in eine grundsätzliche Stellungnahme zur staatlichen Strafgewalt. Diese wird als notwendig und gerechtfertigt angesehen. Es heißt dazu in Nr. 2266 der neueren Fassung des KKK:

„Der Einsatz des Staates gegen die Ausbreitung von Verhaltensweisen, welche die Rechte des Menschen und die Grundregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens schädigen, entspricht einer Forderung des Schutzes des Gemeinwohls. Die gesetzmäßige öffentliche Gewalt hat das Recht und die Pflicht, der Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen. Die Strafe hat vor allem das Ziel, die durch das Vergehen herbeigeführte Unordnung wiedergutzumachen. Wird sie vom Schuldigen willig angenommen, gewinnt sie sühnenden Wert. Schließlich hat die Strafe, über die Verteidigung der öffentlichen Ordnung und die Sicherheit der Personen hinaus, eine heilende Wirkung: sie soll möglichst dazu beitragen, daß sich der Schuldige bessert.“

Auch bei der Inanspruchnahme der staatlichen Strafgewalt geht es also um den Schutz des Gemeinwohls, d.h. um eine Aktion der Verteidigung des menschlichen Lebens und der mit diesem verbundenen grundlegenden Güter und Werte. Gerechtigkeit im Bereich der Strafgerichtsbarkeit besagt, daß erstens wirklich nur Schuldige bestraft werden und daß diese zweitens ein Strafmaß erhalten, das der Schwere des Verbrechens oder der Verfehlung angemessen ist. Es kann nicht um institutionalisierte Rache gehen, sondern um die Wahrung bzw. Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Dementsprechend werden drei Strafzwecke oder Ziele unterschieden: 1. Die Strafe weist durch ihre Verhängung hin auf die Verletzung der für das Zusammenleben notwendigen Grundordnung und trägt dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft Rechnung. 2. Dies durch die Annahme der Strafe anzuerkennen, trägt dazu bei, dieser Ordnung wieder ein Mindestmaß an Achtung und Respekt zu erweisen, wodurch eine entsühnende Wirkung für den Schuldigen eintritt. 3. Schließlich gibt es ein „therapeutisches“ Strafziel: Der Schuldige soll innerlich gewandelt werden und sich bessern und auf diese Weise durch die Übernahme der Strafe wieder zu einem wertvollen Glied der Gesellschaft heranreifen.

Was die zu gewissen Zeiten der Geschichte auch von der Kirche grundsätzlich bejahte Todesstrafe ergibt – heute dringt die Kirche mit dem Papst an der Spitze bekanntlich auf ihre Abschaffung überall dort, wo es sie noch gibt –, so ergeben sich schwerwiegende Probleme und Einwände: Es wird durch die Verhängung der Todesstrafe ein irreversibler Akt gesetzt, der es weder zuläßt, daß ein möglicher Justizirrtum wiedergutgemacht wird noch daß sich ein Schuldiger im nachfolgenden Leben bessert. Allzu oft scheint es, wenn man gerade auch die mediale Aufbereitung öffentlich vollstreckter Todesurteile wie z.B. in den USA verfolgt, daß mit der Aufrechterhaltung der Todesstrafe nicht so sehr einem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft als vielmehr primitiven Rachegelüsten Rechnung getragen wird. So stellt der KKK in Nr. 2267 bezüglich der Todesstrafe zwar fest, daß einerseits gemäß der überlieferten Lehre der Kirche die Todesstrafe nicht absolut auszuschließen sei. Es heißt wörtlich in der neuen deutschen Fassung:

„Unter der Voraussetzung, daß die Identität und die Verantwortung des Schuldigen mit ganzer Sicherheit feststehen, schließt die überlieferte Lehre der Kirche den Rückgriff auf die Todesstrafe nicht aus, wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen.“

Dann aber folgt die bereits referierte Einschränkung im Hinblick auf eine Bevorzugung gewaltloser und unblutiger Mittel der Verteidigung und der Strafe, wenn sie ausreichen, um den Schutz der Personen und der Gesellschaft gegen ungerechte Angreifer zu gewährleisten. Schließlich heißt es programmatisch, und darauf können sich kirchliche Initiativen zur Abschaffung der Todesstrafe mit Recht stützen:

„Infolge der Möglichkeiten, über die der Staat verfügt, um das Verbrechen wirksam zu unterdrücken und den Täter unschädlich zu machen, ohne ihm endgültig die Möglichkeit der Besserung zu nehmen, sind jedoch heute die Fälle, in denen die Beseitigung des Schuldigen absolut notwendig ist, ‚schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht mehr gegeben’ (Evangelium Vitae, 56).“

Mit diesen Worten ist eine entscheidende Wende in der Haltung der Kirche und auch der Gesellschaft zur Todesstrafe markiert, da man gerade aufgrund der heute möglichen sicheren Verwahrung und Absonderung gefährlicher Verbrecher von der Gesellschaft nach Wegen sucht, den Strafvollzug human zu gestalten und zugleich den Anforderungen der Gerechtigkeit zu entsprechen.

Abschließend sei die Frage gestattet, wieso es unsere Gesellschaft, die gerade in diesem Bereich offensichtlich Fortschritte gemacht hat, auf anderer Ebene wagt, Menschenleben ungestraft zu zerstören: und zwar das unschuldige Leben des ungeborenen Kindes im Mutterschoß, worauf in dieser Sendereihe bereits hingewiesen wurde. Hier wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen, was um der Menschlichkeit des Menschen willen nicht auf Dauer hingenommen werden darf!

V. Krieg und Frieden

Im Rahmen unserer ethisch-moraltheologischen Darlegung des 5. Gebotes Gottes: „Du sollst nicht töten!“ anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ sind wir nun bei einer Frage angelangt, die im weitesten Sinn als Thema der Bioethik anzusehen ist. Es geht um die rechte Sicht und Einstellung zum Problemkreis von Krieg und Frieden (vgl. KKK 2302–2317).

Der Friede als Heilsgut und als gesellschaftlich-politischer Auftrag

Gemäß dem „Evangelium des Lebens“ ist es völlig unbestritten, daß der Friede ein hohes Gut darstellt. Jede Art von gewaltsamer Auseinandersetzung stellt ein Übel dar, das an seiner Wurzel auszurotten ist. Alles Böse hat ja seinen Ursprung im Herzen des Menschen, und darum fordert Jesus Christus gerade dazu auf, die innersten Gesinnungen zu läutern und den Frieden mit Gott und den Menschen zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Er selber ist ja der „Friedensfürst“ (Jes 9,5), der gekommen ist, damit die Menschen wieder mit Gott versöhnt werden, nachdem sie durch die Sünde in eine grundlegende „Feindschaft“ mit Gott und untereinander geraten waren. Jener Friede mit Gott soll und wird sich dann fortsetzen im irdischen Frieden. Die Kirche vermittelt darum immer jenen Frieden, den nur Gott allein schenken kann. Es ist der Friede, den die Welt nicht geben kann. Der Friede als Heilsgabe muß sich aber auswirken auch im täglichen Zusammenleben und im politischen Bereich. In diesem Sinn stellt der KKK in Nr. 2305 fest:

„Der irdische Friede ist Abbild und Frucht des Friedens Christi, welcher der messianische ‚Fürst des Friedens’ ist (Jes 9,5). Durch sein am Kreuz vergossenes Blut hat er ‚in seiner Person die Feindschaft getötet’ (Eph 2,16), die Menschen mit Gott versöhnt und seine Kirche zum Sakrament der Einheit des Menschengeschlechts und dessen Vereinigung mit Gott gemacht. ‚Er ist unser Friede’ (Eph 2, 14). Jesus nennt die ‚selig, die Frieden stiften’.“

Wahrer Friede besteht in Mehr als im Fehlen von aktueller Gewaltanwendung oder ihrer Androhung. Es geht um einen stabilen Zustand geordneter Verhältnisse, in denen die Personen und Völker in Freiheit und Würde respektiert werden und miteinander in Verbindung treten können. Sowohl die Gerechtigkeit wie auch die Liebe sind unerläßliche Eckpfeiler eines wahren Friedens. So heißt es in Nr. 2304:

„Damit das Menschenleben geachtet wird und sich entfalten kann, muß Friede sein. Friede besteht nicht einfach darin, daß kein Krieg ist; er läßt sich nicht bloß durch das Gleichgewicht der feindlichen Kräfte sichern. Friede auf Erden herrscht nur dann, wenn die persönlichen Güter gesichert sind, die Menschen frei miteinander verkehren können, die Würde der Personen und der Völker geachtet und die Brüderlichkeit unter den Menschen gepflegt wird. Der Friede besteht in der ‚Ruhe der Ordnung’ (Augustinus, civ. 19, 13). Er ist das Werk der Gerechtigkeit und die Wirkung der Liebe.“

Aus einer wahrhaft christlichen Gesinnung heraus muß es uns darum gehen, den wahren Frieden zu fördern. „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ (Mt 5,9)

Auszuschließen sind zwei Fehlhaltungen, die den Frieden bedrohen und zerstören: Zorn und Haß. Ganz im Sinn der Bergpredigt, wo Jesus gesagt hat: „Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein“ (Mt, 5,22), stellt der Katechismus fest: „Falls der Zorn so weit geht, daß man den Mitmenschen absichtlich töten oder schwer verwunden möchte, ist er eine schwere Verfehlung gegen die Liebe und somit eine Todsünde.“ (KKK 2302) Davon zu unterscheiden ist die „Zürnkraft“ im Menschen als eine wichtige Erscheinungsform seines gemüthaften Strebens. Insofern gibt es ein Zürnen, das die Gerechtigkeit wiederherstellen und den Übeltäter bessern will; hingegen ist der Zorn immer dann sündhaft, wenn man zum Schaden dessen, der bestraft werden soll, nach Rache verlangt. Der Haß gegen den Mitmenschen ist dann „eine schwere Sünde, wenn man dem Nächsten wohlüberlegt schweren Schaden wünscht“, denn „willentlicher Haß verstößt gegen die Liebe.“ (KKKK 2303) Wir dürfen unseren Mitmenschen nicht absichtlich Böses wünschen. Von Jesus Christus haben wir im Gegenteil sogar das Gebot der Feindesliebe erhalten: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet“ (Mt 5,44–45). Nur Gottes Liebe kann uns dazu die Kraft geben!

Da in diesem Leben Konflikte unvermeidbar sind, ist nach Lösungen zu suchen, die möglichst in allem dem Geist der Liebe Christi entsprechen. Gewaltfreiheit ist von daher gesehen eine Forderung, die ganz dem Evangelium entspricht. Es heißt dazu im KKK 2306:

„Wer auf gewaltsame und blutige Handlungen verzichtet und zur Wahrung und Verteidigung der Menschenrechte Mittel einsetzt, die auch den Schwächsten zur Verfügung stehen, legt Zeugnis ab für die Liebe des Evangeliums, sofern dabei nicht die Rechte und Pflichten der anderen Menschen und der Gesellschaft verletzt werden. Er bezeugt zu Recht, welch schwerwiegende physische und moralische Gefahren der Einsatz gewaltsamer Mittel mit sich bringt, der immer Zerstörungen und Tote hinterläßt.“

Zugleich mit der Hervorhebung des Gewaltverzichts werden hier auch die möglichen Grenzen genannt: Sofern eben durch einen Verzicht auf möglicherweise gewaltsame Verteidigung Rechte und Pflichten der Mitmenschen sowie der Gesellschaft verletzt würden, darf man keine absolute Gewaltfreiheit verlangen. Das bereits besprochene Recht auf Notwehr bleibt aufrecht, und zwar sowohl im individuellen wie auch im kollektiven Rahmen.

Das Übel des Krieges und seine Überwindung

Das 2. Vatikanische Konzil hat es nicht gescheut, die „Unmenschlichkeit des Krieges“ zu verurteilen (GS 77). Dabei war es sich dessen bewußt, daß den Menschen – insofern sie Sünder sind – die Gefahr des Krieges droht, „und sie wird ihnen drohen bis zur Ankunft Christi. Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen und so die Sünde überwinden, überwinden sie auch die Gewaltsamkeit, bis sich einmal die Worte erfüllen: ‚Zu Pflügen schmieden sie ihre Schwerter um, zu Winzermessern ihre Lanzen. Kein Volk zückt mehr gegen das andere das Schwert. Das Kriegshandwerk gibt es nicht mehr’ (Jes 2,4).“ (GS 78; KKK 2317)

Mit Bezug auf das 5. Gebot Gottes, das uns verbietet, „menschliches Leben willentlich zu zerstören“, stellt der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2307 fest: „Wegen der Übel und Ungerechtigkeiten, die jeder Krieg mit sich bringt, fordert die Kirche alle eindringlich zum Beten und Handeln auf, damit die göttliche Güte uns von der alten Knechtschaft des Krieges befreit.“

Man hat auch kirchlicherseits an die Errichtung einer internationalen Autorität gedacht, die über genügend Macht und Einfluß verfügt, um die weltweite Abschaffung und Ächtung des Krieges durchzusetzen und im Konfliktfall wirksam einzugreifen. In gewissem Umfang erfüllen die „Vereinten Nationen“ eine solche friedensfördernde Aufgabe. Die Gefahr bleibt jedoch, daß auch eine solche Autorität zum Spielball und Instrument selbstsüchtiger Machtinteressen und kollektiver Egoismen werden kann und damit statt höchstem Recht höchstes Unrecht zum Einfluß gelangt.

Geschickte Propaganda möchte uns weismachen, daß heutzutage ein Krieg viel „sauberer“ und „humaner“ geführt werden könnte als früher. Man sagt, die neuen Waffensysteme könnten gleichsam mit „chirurgischer Präzision“ ihre Ziele ausmachen und wirklich nur die Schuldigen treffen. So zieht man aus, um mit Waffengewalt „das Böse“ zu besiegen. Daß die Wirklichkeit diesem angeblichen Fortschritt nicht entspricht, zeigen Berichte über sogenannte Fehlschläge und Unfälle. In Wirklichkeit gilt wohl das, was in „Gaudium et spes“, Nr. 79, so beschrieben worden ist:

„Es droht sogar beim Gebrauch wissenschaftlicher Waffen, gleich welcher Art, eine Barbarei der Kriegführung, die die Kämpfenden zu Grausamkeiten verleitet, die die vergangener Zeiten weit übersteigt. Die Kompliziertheit der heutigen Lage und die Verflochtenheit der internationalen Beziehungen ermöglichen zudem neue hinterhältige und umstürzlerische Methoden, Kriege zu tarnen und in die Länge zu ziehen. In vielen Fällen gibt der Einsatz terroristischer Praktiken der Kriegführung eine neue Gestalt.“

Angesichts dessen ist sowohl im lokalen wie auch im internationalen Bereich nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie das Übel des Krieges auf lange Frist möglichst ganz eingedämmt werden kann und wie es kurz- und mittelfristig wenigstens in seinen schlimmsten Auswirkungen beschnitten werden kann. So gibt es „für den Kriegsfall ... verschiedene internationale Konventionen“, die von einer großen Anzahl von Ländern mit dem Ziel unterzeichnet worden sind, „die Unmenschlichkeit von Kriegshandlungen und -folgen zu mindern, etwa die Konventionen zum Schutz der Verwundeten und Kriegsgefangenen und verschiedene ähnliche Abmachungen.“ (GS 79) Für die Kirche ist klar: „Diese Verträge müssen gehalten werden. Außerdem müssen alle, insbesondere die Regierungen und die Sachverständigen, alles tun, um diese Abmachungen nach Möglichkeit zu verbessern und dadurch die Unmenschlichkeiten des Krieges besser und wirksamer einzudämmen.“ (ebd.) Gerade die Zivilbevölkerung, die verwundeten Soldaten und die Kriegsgefangenen sind zu achten und mit Menschlichkeit zu behandeln (vgl. KKK 2313).

Das sittliche Gesetz bleibt auch während eines bewaffneten Konfliktes in Geltung (vgl. KKK 2312). Nicht jedes Kampfmittel zwischen den gegnerischen Parteien ist erlaubt. Gerade die modernen atomaren, biologischen und chemischen Waffen (die sog. ABC-Waffen) geben Anlaß zu schlimmen Verbrechen. Darum erklärt die Kirche ganz entschieden: „Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist“ (KKK 2314 mit Verweis auf GS 80).

Außerdem wird festgestellt (vgl. KKK 2313):

„Handlungen, die mit Wissen und Willen gegen das Völkerrecht und seine allgemeingültigen Grundsätze verübt werden, sowie Befehle, solche Handlungen auszuführen, sind Verbrechen. Blinder Gehorsam ist kein ausreichender Entschuldigungsgrund für jene, die sich solchen Befehlen fügen. So ist die Ausrottung eines Volkes, einer Nation oder einer ethnischen Minderheit als eine Todsünde zu verurteilen. Man ist sittlich verpflichtet, sich Befehlen, die einen Völkermord anordnen, zu widersetzen.“

Daß solche Verweigerung ungerechter Befehle nicht immer leicht ist, ja unter Umständen heroische Opfer, bis zum Einsatz und zur Hingabe des eigenen Lebens verlangen kann, zeigen uns große Menschen wie Franz Jägerstätter auf. Der aus St. Radegund stammende Bauer, für den ein Seligsprechungsverfahren läuft, hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, für das nationalsozialistische Regime in den Krieg zu ziehen. Vom sogenannten Berliner Reichskriegsgericht wurde er deshalb wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und am 9. August 1943 in Brandenburg enthauptet. Wie aus den – erst 1990 in Prag entdeckten – NS-Akten zum Fall Jägerstätter hervorgeht, war der oberösterreichische Bauer bereit, seinen Wehrdienst als Sanitäter abzuleisten. Diese Möglichkeit wurde ihm jedoch verweigert, und Jägerstätter wurde wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tod verurteilt. Das Urteil liefert auch den Beweis für die religiöse Motivation Jägerstätters, den Dienst mit der Waffe zu verweigern: Laut Protokoll soll Jägerstätter bei der Hauptverhandlung erklärt haben, „daß er als gläubiger Katholik keinen Wehrdienst leisten“ dürfe. Er könne „nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik“ sein. Das sei „unmöglich“. Wörtlich heißt es in dem NS-Dokument über Jägerstätter: „Gott habe ihm den Gedanken gegeben, daß es keine Sünde sei, den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Auf Grund des Gebots ‚Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst‘ dürfe er nicht mit der Waffe kämpfen ...“ Jägerstätter konnte ab dem Zeitpunkt, an dem er die Gewissensüberzeugung gewonnen hatte, an einem ungerechten Krieg teilzunehmen, den Dienst mit der Waffe nicht mehr leisten. Auch wenn ihn viele nicht verstanden, so hat er doch ein prophetisches Zeugnis für die Gültigkeit der Gebote Gottes auch in Zeiten kriegerischer Bedrohung und Auseinandersetzung gegeben.

Sittlich gerechtfertigte Verteidigung als letzte Möglichkeit

Nicht mehr vom „gerechten Krieg“ spricht man heute in der kirchlichen Stellungnahme zu dieser Problematik, sondern von der unter Umständen notwendigen und damit auch sittlich gerechtfertigten Verteidigung als gleichsam letzter Möglichkeit, dem Unrecht des Angreifers zu wehren. So „kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“ Dies betont der KKK in Nr. 2308 mit Bezug auf GS 79. Zugleich wird dort bekräftigt: „Jeder Bürger und jeder Regierende ist verpflichtet, sich für die Vermeidung von Kriegen tätig einzusetzen.“

Man übersieht leicht, daß es auch im Fall einer sittlich erlaubten gewaltsamen Verteidigung bestimmte Bedingungen gibt, die genau eingehalten werden müssen. Werden diese nicht gemeinsam verwirklicht, dann ereignet sich unter dem Vorwand der Verteidigung massives Unrecht. Die gesetzmäßige Autorität wird dann mitverantwortlich für schlimme Verbrechen, die unter dem Schein des Kampfes für die „gerechte Sache“ oder sogar unter dem Mißbrauch religiöser Ziele verfolgt werden.

Was sind nun diese Bedingungen, über deren Vorhandensein jene in Klugheit urteilen müssen, die für das Gemeinwohl in besonderer Weise verantwortlich sind? Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ faßt sie in Nr. 2309 zusammen. Dort heißt es wörtlich:

„Die Bedingungen, unter denen es einem Volk gestattet ist, sich in Notwehr militärisch zu verteidigen, sind genau einzuhalten. Eine solche Entscheidung ist so schwerwiegend, daß sie nur unter den folgenden strengen Bedingungen, die gleichzeitig gegeben sein müssen, sittlich vertretbar ist:

  • Der Schaden, der der Nation oder der Völkergemeinschaft durch den Angreifer zugefügt wird, muß sicher feststehen, schwerwiegend und von Dauer sein.
  • Alle anderen Mittel, dem Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben.
  • Es muß ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen.
  • Der Gebrauch von Waffen darf nicht Schäden und Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel. Beim Urteil darüber, ob diese Bedingung erfüllt ist, ist sorgfältig auf die gewaltige Zerstörungskraft der modernen Waffen zu achten.“

Es wird also im Einzelfall nicht leicht sein, diese Kriterien alle zusammen zu verwirklichen. Und doch ist gerade dies gefordert, da der Krieg ein derart großes Übel darstellt, daß alles nur erdenklich Mögliche für seine Eindämmung, ja völlige Verhinderung zu tun ist. Man darf der Kirche also nicht unterstellen, sie würde den Krieg gutheißen oder in ihrer Lehre nicht klar genug ausdrücken, daß er im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr unter den zivilisierten Völkern haben darf!

Für den seltenen, aber immerhin möglichen Fall der sittlich erlaubten gewaltsamen Verteidigung gilt, daß „die staatlichen Behörden ... das Recht und die Pflicht“ haben, „den Bürgern die zur nationalen Verteidigung notwendigen Verpflichtungen aufzuerlegen.“ Wie KKK 2310 festhält, verteidigen jene, „die sich als Militärangehörige in den Dienst ihres Vaterlandes stellen, ... die Sicherheit und Freiheit der Völker. Wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllen, tragen sie zum Gemeinwohl der Nation und zur Erhaltung des Friedens bei.“ Daraus läßt sich sowohl eine grundsätzliche Bereitschaft oder gar eine Verpflichtung zum Wehrdienst ableiten wie auch die Möglichkeit gerechtfertigter Ausnahmen für bestimmte Personen- und Altersgruppen sowie für die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen. Konkret heißt es in KKK 2311: „Die staatlichen Behörden sollen sich in angemessener Weise um jene kümmern, die aus Gewissensgründen den Waffengebrauch verweigern. Diese bleiben verpflichtet, der Gemeinschaft in anderer Form zu dienen.“

Zum Abschluß dieser Überlegungen soll noch Bezug genommen werden auf die Problematik des Rüstungswettlaufes sowie des Waffenhandels. Gegenüber der Ansicht jener, die in der Anhäufung von Waffen und im Rüstungswettlauf ein taugliches Mittel zur Kriegsvermeidung oder gar zur Erhaltung des Friedens sehen, führt der KKK in Nr. 2315 „schwere moralische Vorbehalte“ an:

„Der Rüstungswettlauf sichert den Frieden nicht. Statt die Kriegsursachen zu beseitigen, droht er diese zu verschlimmern. Die Ausgabe ungeheurer Summen, die für die Herstellung immer neuer Waffen verwendet werden, verhindert, daß notleidenden Völkern geholfen wird. Somit hält die übermäßige Rüstung die Entwicklung der Völker auf. Sie vervielfacht die Konfliktgründe und verstärkt die Gefahr der Ausbreitung von Kriegen.“

Die moralische Stoßrichtung hin auf Waffenreduktion und schrittweise kontrollierte Abrüstung ist klar. Dies setzt natürlich Vertrauen und Versöhnungsbereitschaft voraus. Die Kirche kann und will hier keine technisch-konkreten Aussagen treffen, mahnt aber die verantwortlichen Staatsmänner und Politiker, ihre Verantwortung für die Sicherung und Aufrechterhaltung des Friedens auch durch mutige und beherzte Schritte wahrzunehmen.

Waffenerzeugung und –handel sind in gewisser Weise als notwendiges Übel zu werten, insofern damit die Grundlage auch für die Ausübung der sittlich erlaubten Verteidigung geschaffen wird. Die Orientierung am Gemeinwohl der Nationen und der internationalen Gemeinschaft muß darum stets gegeben sein. Der Staat ist verpflichtet, sie gesetzlich zu regeln. KKK 2316 stellt fest:

„Kurzfristige private oder kollektive Interessen rechtfertigen nicht Unternehmungen, die Gewalttätigkeit und die Auseinandersetzungen zwischen den Nationen schüren und die internationale Rechtsordnung gefährden.“

Der KKK schließt die Ausführungen zu Krieg und Frieden unter dem Stichwort des 5. Gebotes Gottes in Nr. 2317 mit einem Appell ab, alle Ursachen des Krieges und der Gewalttätigkeit zu überwinden. Es heißt dazu:

„Ungerechtigkeiten, krasse Unterschiede in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sowie Neid, Mißtrauen und Stolz, die unter den Menschen und den Nationen wüten, bedrohen unablässig den Frieden und führen zu Kriegen. Alles, was unternommen wird, um diese Übel zu besiegen, trägt zum Aufbau des Friedens und zur Vermeidung des Krieges bei.“

VI. Aufgaben der Medizin in Therapie und Forschung,
aktuelle Probleme der Bioethik

In der heutigen Sendung über das „Evangelium des Lebens“ wollen wir uns den Aufgaben und Problemen der Medizin in Therapie und Forschung zuwenden sowie aktuellen Fragestellungen der Bioethik.

Sorge für die Gesundheit – eine wichtige Aufgabe nicht nur für die Medizin

Ohne Zweifel ist der Mensch für sein Leben und seine Gesundheit verantwortlich. Dabei handelt es sich – wie der KKK in Nr. 2288 betont – um „wertvolle, uns von Gott anvertraute Güter“, für die wir „auf vernünftige Weise Sorge zu tragen“ haben. Dabei weitet sich der Blick von der individualethischen auf die sozialethische Perspektive, da wir „auch die Bedürfnisse anderer und das Gemeinwohl“ zu berücksichtigen haben.

Schon im Vorfeld der eigentlichen Gesundheitsfürsorge braucht es gewisse strukturelle Rahmenbedingungen, die gesichert sein sollen, damit ein Leben in Würde gewährleistet ist, das sich in geistiger und körperlicher Hinsicht entfalten kann. Hier müssen nach den Worten des Katechismus (ebd.) alle einzelnen, vor allem aber auch die gesellschaftlichen und politischen Kräfte und Institutionen mithelfen, „Existenzbedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen sich entwickeln und reifen können: Nahrung und Kleidung, Wohnung, Gesundheitsdienst, Grundausbildung, Arbeitsplatz und Sozialhilfe.“

Oft hört man die Meinung: „Hauptsache gesund!“ Oder: „Gesundheit ist das Wichtigste.“ So verständlich solche Aussprüche auch sind, sie treffen doch nur einen Teil der Wirklichkeit unseres Menschseins. Die Gesundheit des Leibes ist ein hoher Wert, jedoch nicht der höchste. Das umfassende physische und psychische Wohlergehen und Wohlbefinden, das wir mit dem Wort „Gesundheit“ beschreiben, darf nicht mit dem Heil des Menschen schlechthin verwechselt werden. Das, was letztlich zählt, ist das Leben in der Freundschaft Gottes. Auch der gesündeste Mensch muß einmal sterben, und selig, wer dann so vor Gott hintreten kann, daß er bereit ist, die Gabe des ewigen Heils zu empfangen. In diesem Sinn erklärt der KKK in Nr. 2289:

„Zwar fordert die Sittenlehre auf, das leibliche Leben zu achten, aber sie erklärt es nicht zu einem absoluten Wert. Sie wendet sich gegen die neuheidnische Auffassung, die dazu neigt, einen Körperkult zu treiben, ihm alles zu opfern, körperliche Tüchtigkeit und sportlichen Erfolg zu vergötzen. Durch eine einseitige Auslese der Starken kann diese Auffassung die menschlichen Beziehungen verzerren.“

Hier liegt also die Gefahr einer verzerrten Sichtweise. Auch der kranke Mensch hat seine Würde und sein Recht; auch sein Leben ist vor Gott sinnvoll und wichtig und verdient mitmenschliche Anerkennung und Fürsorge. So wichtig die Gesundheit auch ist, vor Gott zählt jeder Mensch, ob gesund oder krank!

Die Medizin steht im Dienst der ganzheitlichen Entfaltung des Menschen, der Erhaltung und Wiederherstellung seiner leib-seelischen Integrität und aller damit zusammenhängenden Lebensfunktionen. Die im Gesundheitswesen Tätigen sind in eine unabweisbare Verantwortung für das Wohl und Wehe ihrer Patienten gestellt. Ständig ist danach zu streben, die medizinischen Leistungen zu verbessern und neue Therapieformen zu entwickeln. Daher sind auch neue biomedizinische Erkenntnisse und Anwendungen der Biotechnologie nicht von vornherein als schlecht anzusehen, sondern stellen einen Wert dar. Selbstverständlich sind planmäßig durchgeführte Forschungsvorhaben nötig, um neue Medikamente oder medizinische Verfahrensweisen zu erproben. Die Kirche anerkennt dies durchaus:

„Medizinische und psychologische Experimente an Personen oder Menschengruppen können zur Heilung von Kranken und zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit beitragen.“ (KKK 2292)

Allerdings hat das „Humanexperiment“ seine Schattenseiten; schon der Begriff als solcher gibt eine gewisse einseitige Perspektive vor. Denn der Mensch darf nie zum bloßen Mittel für ein Forschungsvorhaben erniedrigt werden, und sei es noch so aussichtsreich und lohnend; er ist stets als Person zu achten und zu respektieren. Dies wird gerade in unseren Ländern zunehmend erkannt. Dem „informed consent“, d.h. der freien Zustimmung des Patienten zu medizinischen Maßnahmen nach entsprechender Aufklärung durch den Arzt wird mit Recht ein hoher Rang eingeräumt. Dies gilt in besonderer Weise für medizinische Studienprojekte, bei denen nicht immer ein unmittelbarer Nutzen für den Patienten vorherzusehen ist. Das Schlagwort von der „Patientenautonomie“ gegenüber einem früher oft vorherrschenden „Paternalismus“ von Seiten des Arztes macht die Runde: Der Patient soll selber mitentscheiden können, ob und welche Form einer Therapie er befürwortet.

Einen grundsätzlichen Vorbehalt gegen eine bestimmte Form von „Humanexperimenten“ formuliert der Katechismus in Nr. 2295:

„Forschungen und Experimente, die am Menschen vorgenommen werden, können keine Handlungen rechtfertigen, die in sich der Menschenwürde und dem sittlichen Gesetz widersprechen. Auch das allfällige Einverständnis der betreffenden Menschen rechtfertigt solche Handlungen nicht. Ein Experiment, das an einem Menschen vorgenommen wird, ist sittlich unerlaubt, wenn es dessen Leben oder physische und psychische Unversehrtheit unverhältnismäßigen oder vermeidbaren Gefahren aussetzt. Solche Experimente widersprechen der Menschenwürde erst recht, wenn sie ohne Wissen und Einverständnis der Betreffenden oder der für sie Verantwortlichen vorgenommen werden.“

Der letzte Maßstab ist und muß stets das Wohl des Menschen bleiben – dies immer in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz. Hier ist der konkrete Mensch gemeint, der vor uns steht, und nicht eine abstrakte Menschheit, der wir vielleicht dienen können, wenn wir den individuellen Menschen den Risiken eines fragwürdigen Experimentes aussetzen. Therapeutische und präventive Maßnahmen als Ziel sind jedenfalls zu befürworten. Die Frage stellt sich aber immer wieder: Welche Mittel dienen diesem guten Ziel wirklich? Der Katechismus hält fest (in Nr. 2293):

„Wissenschaft und Technik sind auf den Menschen hingeordnet, dem sie ihre Entstehung und Entwicklung verdanken; die Bestimmung ihres Ziels und das Bewußtsein ihrer Grenzen finden sie somit nur in der Person und ihren sittlichen Werten.“

Dies gilt insbesondere auch für die medizinische Forschung und Anwendung:

„Sie müssen im Dienst der menschlichen Person, ihrer unveräußerlichen Rechte, ihres wahren, ganzheitlichen Wohls stehen, wie das dem Plan und dem Willen Gottes entspricht.“ (KKK 2294)

Als glaubende Menschen können wir sagen: Die Gebote Gottes weisen uns den Weg zum wahren Menschsein. Zugleich ist Sachverstand erforderlich, um Einsicht in grundlegende Zusammenhänge zu erhalten sowie die konkreten Situationen und Anwendungen richtig beurteilen zu können.

Konkrete Anwendungen der Biomedizin und ihre ethische Beurteilung

Ein schon seit längerem praktiziertes medizinisches Verfahren sind Transplantationen von Gliedmaßen, Organen oder anderen Körperteilen. Dies ist aus ethischer und moraltheologischer Sicht grundsätzlich zu befürworten, sofern es therapeutischen und lebensrettenden Charakter hat.

Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ stellt dazu in Nr. 2296 fest (der folgende Absatz entspricht der neuen deutschen Fassung, die gemäß der lateinischen „editio typica“ erstellt wurde):

„Die Organverpflanzung entspricht dem sittlichen Gesetz, wenn die physischen und psychischen Gefahren und Risiken, die der Spender eingeht, dem Nutzen, der beim Empfänger zu erwarten ist, entsprechen. Die Organspende nach dem Tod ist eine edle und verdienstvolle Tat, sie soll als Ausdruck großherziger Solidarität gefördert werden. Sie ist sittlich unannehmbar, wenn der Spender oder die für ihn Verantwortlichen nicht ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben. Zudem ist es sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde.“

Bei paarweise vorhandenen Organen darf eine Spende auch durch Lebende erfolgen. Bei nur einmal vorhandenen lebenswichtigen Organen muß der Tod des Spenders sicher feststehen. Dieser soll vorher seine Einwilligung gegeben haben, zumindest in grundsätzlicher Form. Bei der Ermittlung des exakten Todeszeitpunkts, die als solche keine ethische, sondern eine medizinische Aufgabe ist, stellt sich die Problematik der Gehirntodbestimmung. Das kirchliche Lehramt hält es für vertretbar, ein eng gefaßtes Hirntodkriterium zur Todesfeststellung heranzuziehen: „Hier kann darauf hingewiesen werden, daß das heute angewandte Kriterium zur Feststellung des Todes, nämlich das völlige und endgültige Aussetzen jeder Hirntätigkeit, nicht im Gegensatz zu den wesentlichen Elementen einer vernunftgemäßen Anthropologie steht, wenn es exakt Anwendung findet.“ (Johannes Paul II., Ansprache beim Internationalen Kongreß für Organverpflanzung im „Palazzo dei Congressi“ in Rom am 29. August 2000). Insbesondere sind Profitinteressen auszuschließen, um nicht unzulässigem Druck ausgesetzt zu sein. Die Organspende kann als Tat christlicher Nächstenliebe gewertet werden, wenn sie freiwillig und in rechter Absicht geschieht.

Die künstliche Befruchtung außerhalb des Mutterleibes (In-vitro-Fertilisation) trennt den Ursprung des Lebens von der sexuellen Vereinigung als Ausdruck der ganzheitlichen Liebe von Mann und Frau. Auch wenn ihre Anwendung im Einzelfall gut gemeint sein mag, so liefert diese Technik den Menschen doch schon zu seinem Beginn der Verfügung durch andere aus und entreißt sein Leben einem personalen Kontext. Wie der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2377 betont, ist die dabei gegebene Trennung von sexueller Vereinigung und Fortpflanzung unannehmbar. Eine der Würde der Person entsprechende Fortpflanzung achtet nämlich jenes Band, das zwischen den Sinngehalten des ehelichen Aktes besteht, eben die Untrennbarkeit von liebender Hingabe und Fruchtbarkeit. Durch gewisse Verfahren (Ei- oder Samenspende, Leihmutterschaft) kommt es überdies zur Einbeziehung einer dritten Person in das Fortpflanzungsgeschehen, womit das Recht des Kindes verletzt wird, von einem Vater und einer Mutter abzustammen, die es kennt und die ehelich miteinander verbunden sind (vgl. KKK 2376). Diese Technik ist außerdem mit einer einschlußweisen Mentalität der Selektion verbunden: Überlebenschancen hat nur jener Embryo, der sich als der Stärkste und Gesündeste erweist. Diese Selektionsmentalität verstärkt sich durch den Einsatz der Präimplantationsdiagnostik, die im gegenwärtigen Status kaum einen therapeutischen Nutzen verspricht, wohl aber den Wunsch zum Kind nach Maß verstärkt und fördert sowie schwache, kranke und behinderte Menschen als lebensunwert ansieht.

Pränatale Diagnostik ist als individuelle Maßnahme nach entsprechender Beratung in streng therapeutischem Rahmen vertretbar, während sie als Untersuchungsprogramm auf Bevölkerungsebene (Screening) den Charakter eines eugenischen Programms hat, dessen Ziel die Eliminierung von Erkrankungen oder Krankheitsanlagen ist, wobei der kranke oder behinderte Embryo zur Abtreibung freigegeben wird. Eine stellvertretende Wahrnehmung der Interessen des Kindes durch die Eltern liegt nur dann vor, wenn durch die pränatale Diagnostik eine frühzeitige Therapie oder Planung des Geburtsvorgangs ermöglicht wird, nicht aber, wenn das Kind aufgrund seiner genetischen Konstitution gar nicht erst leben darf. So stellt KKK 2274 mit Verweis auf die Erklärung der Glaubenskongregation „Donum vitae“ fest:

„Die vorgeburtliche Diagnostik ist sittlich erlaubt, wenn sie ‚das Leben und die Unversehrtheit des Embryos und des menschlichen Fötus achtet und auf den Schutz und die Sorge für den einzelnen Embryo ausgerichtet ist ... Aber sie steht in schwerwiegender Weise im Gegensatz zum Moralgesetz, falls sie – je nachdem, wie die Ergebnisse ausfallen – die Möglichkeit in Erwägung zieht, eine Abtreibung durchzuführen. So darf eine Diagnose ... nicht gleichbedeutend mit einem Todesurteil sein’ (DnV 1,2).“ Und gleich anschließend heißt es in KKK 2275: „Eingriffe am menschlichen Embryo müssen unter der Bedingung als erlaubt angesehen werden, daß sie das Leben und die Unversehrtheit des Embryos achten und für ihn nicht unverhältnismäßige Risiken mit sich bringen, sondern seine Heilung, die Besserung seines Gesundheitszustandes oder sein individuelles Überleben zum Ziel haben“ (DnV 1,3).

Bei genetischen Tests muß es neben dem Recht auf Wissen (sog. informationelle Selbstbestimmung) auch ein Recht auf Nichtwissen geben, das für eventuell betroffene Einzelpersonen gilt. Eine generelle und nicht-anonymisierte Weitergabe genetisch sensibler Daten an Versicherungen oder Arbeitgeber erscheint unethisch. Genetische Dispositionen, die sich nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auswirken werden, und tatsächliche Erkrankungen sind nicht einfach gleichzusetzen!

Die somatische Gentherapie ist von der Keimbahntherapie zu unterscheiden. Letztere muß aus ethischer Sicht ausgeschlossen werden, da sie mit verbrauchender Embryonenforschung verbunden ist und eine besonders schwerwiegende Form der intergenerationellen Fremdbestimmung darstellt. Eine Elimination von Erbkrankheiten oder eine Verbesserung des Genpools der Bevölkerung ist mit einer Keimbahntherapie ohnehin nicht zu erreichen. Die somatische Gentherapie ist vom Ziel her zu befürworten, läßt aber nach der ethischen Vertretbarkeit der angewandten Mittel fragen. Auch sind Nutzen und Risiken für den Patienten sorgfältig abzuwägen. Da bestimmte Risiken nicht eindeutig abschätzbar sind, sind somatische Gentherapieverfahren ethisch nur vertretbar, wenn eine schwere Erkrankung vorliegt, keine alternativen Methoden zur Verfügung stehen oder etablierte Heilverfahren als wenig erfolgversprechend erscheinen. Eine umfassende Aufklärung des Patienten ist sicherzustellen. Der Katechismus hält fest (Nr. 2275):

„Einige Versuche, in das chromosomale oder das genetische Gut einzugreifen, sind nicht therapeutischer Natur, sondern zielen auf die Produktion menschlicher Wesen, die nach dem Geschlecht oder anderen vorher festgelegten Eigenschaften ausgewählt werden. Diese Manipulationen stehen im Gegensatz zur personalen Würde des menschlichen Wesens, seiner Integrität und seiner Identität“ (DnV 1,6).

Die Problematik der Forschung und Therapie mit Stammzellen ist von aktueller Relevanz und ethischer Brisanz. Von der durch Stammzellen-Therapie möglichen Regeneration erwartet man sich viel in der medizinischen Forschung und auch von Seiten der Patienten. Entscheidend ist, woher die Stammzellen kommen. Sind sie beispielsweise dem Nabelschnurblut entnommen, so können sie aus ethischer Sicht ohne weiteres kultiviert und eingesetzt werden, sofern dies von therapeutischem Nutzen ist und mögliche Risiken weitgehend ausgeschlossen werden. Handelt es sich allerdings um sogenannte embryonale Stammzellen, so hat der unbedingte Schutz des Embryos Vorrang vor seiner therapeutischen Nutzung für andere, wenn diese mit seiner eigenen Tötung oder schweren Beschädigung verbunden ist. Denn die Zygote als totipotente Zelle muß bereits als Mensch in seiner Würde und seinem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit behandelt werden. Aus ethischer und moraltheologischer Sicht darf es keine „überzähligen“ Embryonen geben, die der Vernichtung entgegensehen, sondern jeder Embryo ist in seiner Menschenwürde zu respektieren und in seinem Lebensrecht zu achten. Die Preisgabe eines Embryos als Mittel zum Zweck der Lebensrettung eines anderen widerspricht fundamentalen ethischen Prinzipien und ist abzulehnen. Ethisch nicht vertretbar ist auch die verbrauchende Embryonenforschung, bei der entweder „überzählige“ Embryonen oder eigens zum Forschungszweck hergestellte Embryonen verwendet und damit zerstört werden. In diesem Sinn formuliert auch die Europäische Bioethikkonvention, Art. 18, Abs. 2: „Die Erzeugung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke ist verboten.“ Der KKK stellt in Nr. 2275 fest:

„Es ist unmoralisch, menschliche Embryonen zum Zweck der Verwertung als frei verfügbares ‚biologisches Material’ herzustellen“ (DnV 1,5).

Läßt sich das Klonen von Menschen ethisch rechtfertigen? Abgesehen davon, daß es auch bei genetischer Identität zweier Personen nicht zu einer bloß numerischen Wiederholung der einen Person durch die andere kommen kann, da jeder Mensch ein Original darstellt, ist schon der bloße Versuch genetischer Fremdbestimmung eine Mißachtung der Menschenwürde. Vollends wird dies im Ansinnen des sog. therapeutischen Klonens offenbar, wo ein genetisch identischer Mensch eigens zu diesem Zweck „erzeugt“ wird, um gleichsam als Ersatzteillager für einen anderen Menschen zu dienen. Daran ändert die Tatsache nichts, daß es möglicherweise ein Embryo ist, der hier zum Einsatz kommen soll, da dieser ebenso wie der bereits geborene Mensch das unveräußerliche Recht auf Leben besitzt.

Ausblick

Kommt der Mensch nach Maß? Wird der Mensch sein eigener Schöpfer? Für sog. Humanexperimente, die den Menschen als Mittel zum Zweck ansehen, ihn also instrumentalisieren, zahlt der Mensch immer einen zu hohen Preis, wie die geschichtliche Erfahrung beweist. Aus theologischer Sicht kann gefolgert werden: Der richtige Weg ist nicht der Verzicht auf jede Art von Forschung, wohl aber eine Abkehr vom selbstherrlichen Schöpfertum des Menschen. Der Mensch gewinnt seine Größe nur als Mitarbeiter Gottes, des Schöpfers, und nicht, indem er Gott entthront und sich selber an die Stelle Gottes setzt. Gott ist kein Rivale des Menschen, der diesem seine Freiheit und sein Glück mißgönnt, sondern es liegt gerade in der freien Anerkennung der geschöpflichen Abhängigkeit von Gott die Garantie für ein Höchstmaß an persönlicher Freiheit und Erfüllung für den Menschen. Eben diese Einsichten möchte uns das „Evangelium des Lebens“ vermitteln!

Gebet zur hl. Jungfrau und Gottesmutter Maria, der Mutter der Lebendigen (von Papst Johannes Paul II., Evangelium vitae, Nr. 105):

O Maria,
Morgenröte der neuen Welt,
Mutter der Lebendigen,
Dir vertrauen wir die Sache des Lebens an:
o Mutter, blicke auf die grenzenlose Zahl
von Kindern, denen verwehrt wird, geboren zu werden,
von Armen, die es schwer haben zu leben,
von Männern und Frauen, die Opfer unmenschlicher Gewalt wurden,
von Alten und Kranken, die aus Gleichgültigkeit
oder angeblichem Mitleid getötet wurden.
Bewirke, daß alle, die an deinen Sohn glauben,
den Menschen unserer Zeit
mit Freimut und Liebe
das Evangelium vom Leben verkünden können.
Vermittle ihnen die Gnade, es anzunehmen
als je neues Geschenk,
die Freude, es über ihr ganzes Dasein hinweg
in Dankbarkeit zu feiern,
und den Mut, es mit mühseliger Ausdauer
zu bezeugen,
um zusammen mit allen Menschen guten Willens
die Zivilisation der Wahrheit und der Liebe zu errichten,
zum Lob und zur Herrlichkeit Gottes,
des Schöpfers und Freundes des Lebens.