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Das Ethos der Wahrhaftigkeit
Moraltheologische Überlegungen zum 8. Gebot Gottes – eine katechetische Darlegung anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (August 2002)

Josef Spindelböck

Hinweis/Quelle: 4-teilige Radioserie im August 2002

Liebe Hörerinnen und Hörer von Radio Maria Österreich sowie von Radio Horeb!

Pater Clemens Reischl hat mich eingeladen, mit Ihnen auch im August jeweils am Mittwoch nachmittag von 14 – 15 Uhr nachzudenken ein moraltheologisches Thema. Wir möchten in diesen vier Sendungen das in den Blick nehmen, was die katholische Glaubenslehre anhand des „Katechismus der Katholischen Kirche“ (KKK) mit dem Bereich der Wahrheit und Wahrhaftigkeit verbindet.

Es werden uns dabei Fragen beschäftigen wie: Was ist die Wahrheit über Gott und den Menschen? Wie können wir wahrhaftig sein im Denken, Reden und Tun? Welche Verstöße gegen die Wahrheit und Wahrhaftigkeit gibt es? Welche besonderen Probleme stellen sich uns in bezug auf Eid, Schwur und Gelübde sowie im Hinblick auf die „mehrdeutige Rede“? Gibt es ein Berufsgeheimnis? Wie steht es um das Beichtgeheimnis? Wie soll schließlich ein Ethos der sozialen Kommunikation beschaffen sein?

I. Wahrheit und Wahrhaftigkeit – Geschenk und Anspruch

Das 8. Gebot Gottes lautet in der uns vertrauten katechetischen Fassung: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben gegen deinen Nächsten.“

Im Buch Exodus 20,16 heißt es wörtlich: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.“ Ähnlich im Buch Deuteronomium 5,20: „Du sollst nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen.“ Im unmittelbaren Kontext ist hier an die Falschaussage bei Gericht gedacht, in der man dem Nächsten die Treue aufkündigt und ihn der Verurteilung aufgrund einer falschen Anklage ausliefert. Im gesellschaftlichen Leben ist die Rechtssicherheit ein hohes Gut. Jede gerichtlich beschworene Falschaussage untergräbt das zwischenmenschliche Vertrauen und wirkt sich im Letzten immer negativ aus auf den Bestand des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wo es kein Vertrauen mehr gibt, treten an dessen Stelle Vereinzelung, Haß und Unfrieden. Das negative Gesetz des gegenseitigen Mißtrauens wird bestimmend, aus dem man nur schwer ausbrechen kann. Eben davor warnt das 8. Gebot Gottes; das ist gleichsam sein „Sitz im Leben“.

Jedes der 10 Gebote Gottes hat aber über seinen näheren Kontext hinaus auch eine weiterreichende Bedeutung. Diese wird uns erschlossen bereits im Alten Bund und noch tiefer und endgültiger durch die Verkündigung und Auslegung im Neuen Bund der Gnade, den Jesus Christus gestiftet hat. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ hält in bezug auf das 8. Gebot fest:

„Das achte Gebot verbietet, in den Beziehungen zu anderen die Wahrheit zu verdrehen. Diese moralische Vorschrift ergibt sich auch aus der Berufung des heiligen Volkes, Zeuge seines Gottes zu sein, der die Wahrheit ist und sie will. In Worten oder Taten gegen die Wahrheit zu verstoßen, bedeutet eine Weigerung, sich zur moralischen Redlichkeit zu verpflichten; es ist eine tiefgreifende Untreue gegenüber Gott und untergräbt damit die Fundamente des Bundes.“ (KKK 2464)

Gott ist der Wahre und Treue. Das hebräische Wort „emeth“ heißt Treue, Wahrheit, Beständigkeit und leitet sich von „aman“ ab. In der menschlichen Antwort auf die Treue und Wahrheit Gottes sind sowohl das unbedingte Vertrauen gegenüber Gott als auch die Verwirklichung dieser Treue zu Gott und seinem Gesetz im Alltag grundlegend für das jüdische Glaubensverständnis.

„Das Alte Testament bezeugt: Gott ist der Quell aller Wahrheit. Sein Wort ist Wahrheit. Sein Gesetz ist Wahrheit.“ (KKK 2465)

Wer Unwahrhaftigkeit und Lüge zum Lebensprogramm erhebt, bricht den Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat. Der im Leben vollzogene Verstoß gegen die Wahrheit ist keine Bagatelle, die es großzügig zu übersehen gilt, sondern ein ernstes Anzeichen, ein Symptom für eine tiefgehende Störung des Bezugs des Menschen zu Gott seinem Schöpfer als dem Urgrund allen Seins und dem Herrn des Lebens:

„Weil Gott der ‚Wahrhaftige’ ist (Röm 3,4), sollen die Angehörigen seines Volkes in der Wahrheit leben.“ (KKK 2465)

Nur das, was auf Wahrheit gegründet ist, hat letztlich Bestand! Denn Gottes Treue währt von Geschlecht zu Geschlecht (vgl. Ps 119,90).

All das, was schon im Alten Bund geoffenbart wurde, gilt es vor allem im Licht der Bergpredigt zu entdecken und zu bedenken, wo Jesus Christus gleichsam als „neuer Mose“ auftritt, der das überlieferte Gesetz erfüllt. Eben dort lesen wir im Matthäusevangelium 5,37 im Zusammenhang mit dem Schwören:

„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ Zuvor hatte der Herr bekräftigt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel für seine Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs. Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen.“ (Mt 5,33–36)

Hier wird deutlich, daß Jesus absolute Wahrhaftigkeit im Denken, Reden und Tun fordert. So wie er der „getreue Zeuge“ des Vaters ist (vgl. Offb 1,5; 3,14), so sollen auch die Menschen Zeugnis geben für die Wahrheit. Es geht um das mutige und beherzte Eintreten für die Wahrheit Gottes und die Wahrheit der Menschen.

„Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) Ein lebenspraktischer und philosophischer Zugang

Wenn wir von der Wahrheit reden, dann meint jeder zu wissen, was damit gemeint ist. Tatsächlich ist es so, daß der des Gebrauches der Vernunft fähige Mensch aus dem täglichen Leben, aus der Praxis also, einen Zugang zu dem hat, was wir mit „Wahrheit“ verbinden. Die menschliche Erkenntnisfähigkeit ist nämlich ganz grundsätzlich als Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis zu fassen. Der skeptische Grundsatz der Sophisten führt sich ad absurdum, wenn sie behaupten: „Es gibt nichts. Gäbe es etwas, so wäre es nicht erkennbar. Wäre es erkennbar, so wäre es nicht mitteilbar.“ Denn eben mit diesem Satz erheben die Skeptiker doch zumindest einen Wahrheitsanspruch: Daß eben diese ihre Behauptung stimme, der Wirklichkeit entspreche. So behaupten sie im Vollzug ihrer Rede (performativ) genau das, was sie inhaltlich verneinen: daß es eben doch einen Zugang des Menschen zur Wirklichkeit des Seins gibt. Wer jede Art von Wahrheit leugnet, stellt sein eigenes Menschsein in Frage. Wer die Grundevidenz des Lebens von der Erkennbarkeit der Wahrheit in Zweifel zieht, sägt an dem Ast, auf dem er sitzt!

Wahrheit ist somit ganz allgemein gesprochen die Übereinstimmung von Erkennen und Sein, von Wahrnehmung und Wirklichkeit, wobei es hier freilich viele Unschärfen und unvollkommene Annäherungen an das gibt, was wir als Wahrheit schlechthin bezeichnen.

Die Möglichkeit und Tatsächlichkeit von Irrtum und falscher Information widerlegt ganz und gar nicht das eben aufgewiesene Prinzip. Ein Irrtum wird ja nur im Licht der Wahrheit als solcher erkannt. So setzt der Irrtum die Wahrheit immer schon voraus. In dem Moment, wo ich erkenne, daß ich mich in irgend etwas getäuscht habe, komme ich eben dadurch auch wieder ein Stück der vollen Wahrheit näher. Bestand hat letztlich nicht der Irrtum und die Lüge, sondern nur die Wahrheit und die Wahrhaftigkeit im Denken, Reden und Tun!

Von der Wahrheit lebt der Mensch, auf sie hin ist er ausgerichtet. Dies hält der KKK in Nr. 2467 klar fest:

„Der Mensch strebt von Natur aus nach Wahrheit. Er ist verpflichtet, sie in Ehren zu halten und zu bezeugen: Die Menschen ‚werden alle ihrer Würde gemäß durch ihre eigene Natur gedrängt sowie durch eine moralische Verpflichtung gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft. Sie sind auch dazu verpflichtet, an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben an den Forderungen der Wahrheit auszurichten’ (DH 2).“

Dieses Zitat eröffnet uns den Weg, um nach den Überlegungen aus Alltagspraxis und Philosophie die Heilige Schrift als wichtigste Offenbarungsurkunde näher zu befragen, wie wir uns die Wahrheit über Gott und den Menschen zu denken haben.

Die Wahrheit Gottes als Geschenk an den Menschen

Der Mensch ist sich selber in vielem eine ungelöste Frage, ein Geheimnis. „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn und das Ziel meines Lebens?“ Diese und andere Fragen verweisen uns auf die religiöse Dimension unseres Daseins. Wir spüren: Letzte Antwort kann uns nur Gott geben, dessen Dasein vom Licht der natürlichen Vernunft aus den Werken der Schöpfung erschlossen werden kann, den wir aber in seiner wahren Größe und in seinem eigentlichen Wesen nur im Glauben erkennen können, weil er sich uns mitgeteilt, geoffenbart hat. So stellt das 2. Vatikanische Konzil in „Gaudium et spes“, Nr. 22 fest:

„Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam, der erste Mensch, war das Vorausbild des zukünftigen, nämlich Christi des Herrn. Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung. Es ist also nicht verwunderlich, daß in ihm die eben genannten Wahrheiten ihren Ursprung haben und ihren Gipfelpunkt erreichen. Der ‚das Bild des unsichtbaren Gottes’ (Kol 1,15) ist, er ist zugleich der vollkommene Mensch, der den Söhnen Adams die Gottebenbildlichkeit wiedergab, die von der ersten Sünde her verunstaltet war. Da in ihm die menschliche Natur angenommen wurde, ohne dabei verschlungen zu werden, ist sie dadurch auch schon in uns zu einer erhabenen Würde erhöht worden. Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt.“

Weil der eine und einzige Gott in drei göttlichen Personen existiert, darum ist die höchste Wahrheit das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit. Es ist das innergöttliche, das trinitarische Leben selbst, von dem alles Geschaffene ausgeht und worauf alles bezogen ist. Gott, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8.16), hat alles, was lebt und existiert, aus Liebe erschaffen. Wir sind berufen zur Liebe als Vollendung in Gott. Das ist die höchste Wahrheit unseres Seins. Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, sondern sind es, da uns der menschgewordene Sohn Gottes zu seinen Brüdern und Schwestern gemacht hat. Wir sind berufen zur Teilnahme an der göttlichen Herrlichkeit. Das ist unser ewiges Ziel: die selige Gemeinschaft mit Gott und untereinander in der Herrlichkeit des Himmels!

Die Wahrheit einer Person wird uns nur dadurch offenbar, daß sich der betreffende Mensch uns erschließt vermittels seiner Leiblichkeit. Durch die Art und Weise der mitmenschlichen Begegnung, durch die Sprache der Worte und Gebärden wird uns das Innerste der Person offenbar. Letztlich kann es nur Liebe und Vertrauen sein, die uns das tiefste Wesen eines Menschen erschließen und gleichsam offenbaren.

Wenn wir nun auf Gott blicken, so hat auch er sich uns erschlossen und geoffenbart. Durch seinen Sohn, der das „Wort der Wahrheit“ (2 Kor 6,7) ist, und durch den „Geist der Wahrheit“ (Joh 15,26) hat er sich uns mitgeteilt in Liebe. Von Gott geht kein Trugbild aus, er kann und will uns nicht in die Irre führen. Er ist lauterste Wahrheit und offenbart sich als Gott der Wahrheit, der Liebe und des Lebens. Der Teufel ist hingegen der „Vater der Lüge“, der „Menschenmörder von Anbeginn“ (vgl. Joh 8,44). Denn mit einer Lüge hat die hinterlistige Schlange, die ein Bild ist für den Versucher, die ersten Menschen zum Abfall von Gott verführt (vgl. Gen 3,1–24). „Keineswegs werdet ihr sterben“, so lautete die täuschende Verheißung der Schlange, „wenn ihr von der verbotenen Frucht eßt“. Es würden ihnen vielmehr die Augen aufgehen, und sie würden „sein wie Gott“. Oh, wie klang das verheißend! Aber: Es war kein Wort der Wahrheit, sondern die List des Versuchers, der Adam und Eva auf den Leim gingen. Die Enttäuschung danach war umso größer, als sie erkannten, was sie durch eigene Schuld verloren hatten.

Erst durch die Erlösung in Jesus Christus, der von sich selbst sagt, daß er „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (vgl. Joh 14,6), wurde uns wieder der Weg geöffnet zur liebenden Begegnung mit dem Gott der Wahrheit und des Lebens sowie untereinander. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ zeigt in Nr. 2466 sehr klar auf, daß uns die Fülle der Wahrheit in Jesus Christus geschenkt ist:

„In Jesus Christus hat sich die Wahrheit Gottes voll und ganz gezeigt. Weil ‚voll der Gnade und Wahrheit’ (Joh 1,14), ist er ‚das Licht der Welt’ (Joh 8,12), die Wahrheit selbst, ‚damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt’ (Joh 12,46). Wer in Jesu Wort bleibt, ist wahrhaft Jesu Jünger; er wird ‚die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird [ihn] befreien’ (Joh 8,32) und heiligen. Jesus nachfolgen heißt aus dem ‚Geist der Wahrheit’ (Joh 14,17) leben, den der Vater in seinem Namen sendet und der ‚in die ganze Wahrheit führen wird’ (Joh 16,13). Seine Jünger lehrt Jesus unbedingte Wahrheitsliebe: ‚Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein’ (Mt 5,37).“ (KKK 2466)

Uns wurde durch den Geist der Heiligkeit geschenkt, daß wir in Wahrheit Kinder Gottes sind. Gemäß dieser Wahrheit unseres Seins gilt es auch zu leben. Dem ontologischen Indikativ folgt der ethische Imperativ; das Geschenk, in der Wahrheit Gottes zu stehen, ist zugleich ein Anspruch an uns, dieser Wahrheit entsprechend zu leben. Nicht umsonst spricht Jesus vom Tun der Wahrheit (vgl. Joh 3,21).

Gerade für uns Glaubende besteht eine besondere Verpflichtung, in der Wahrheit zu leben, um auf diese Weise dem Herrn nachzufolgen. Der KKK stellt dazu in Nr. 2470 fest:

„Der Jünger Christi ist bereit, ‚in der Wahrheit zu leben’, das heißt in der Einfachheit eines Lebens nach dem Beispiel des Herrn; so bleibt er in der Wahrheit. ‚Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und doch in der Finsternis leben, lügen wir und tun nicht die Wahrheit’ (1 Joh 1,6).“ (KKK 2470)

II. Wahrhaftigkeit im Denken, Reden und Tun

Uns Menschen ist das unmittelbar zugänglich, was wir mit den Sinnen wahrnehmen können. Die eigentliche Wahrheit eines Menschen ist die Wahrheit seines Herzens. Diese können wir oft nur erahnen. In der innersten Tiefe seines Herzens ist der Mensch mit Gott allein, der in seinem Gewissen zu ihm spricht und ihn zur Liebe und zum Tun des Guten sowie zum Meiden des Bösen aufruft (vgl. GS 16). Das Urteil über das Herz eines Menschen steht nur Gott zu. Diese letzte Wahrheit über unser Sein und über das der Mitmenschen ist uns selber verborgen. Wir können uns nur demütig und im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit jeden Tag noch mehr seiner Liebe übergeben, um so einzutreten in den Raum der Wahrheit und Liebe, den uns der Heilige Geist eröffnet, dessen Liebe ausgegossen ist in unsere Herzen (vgl. Röm 5,5).

Wenn es stimmt, daß jeder Mensch in einer ganz grundlegenden und persönlichen Weise auf Wahrheit bezogen ist, dann stellt sich uns die Frage: Wie können wir wahrhaftig sein im Denken, Reden und Tun? Wie können wir so handeln, daß die „Augen unseres Herzens“ im Licht der Wahrheit sind und wir dieses Licht weitergeben und ausstrahlen auf alle, denen wir im Leben begegnen dürfen?

Zum gläubigen Nachdenken über diesen wichtigen Bereich hilft uns das Evangelium nach Lukas (11,33–36), wo es heißt:

„Niemand zündet ein Licht an und stellt es in einen versteckten Winkel oder stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf einen Leuchter, damit alle, die eintreten, es leuchten sehen. Dein Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird auch dein ganzer Körper hell sein. Wenn es aber krank ist, dann wird dein Körper finster sein. Achte also darauf, daß in dir nicht Finsternis statt Licht ist. Wenn dein ganzer Körper von Licht erfüllt und nichts Finsteres in ihm ist, dann wird er so hell sein, wie wenn die Lampe dich mit ihrem Schein beleuchtet.“

Das innere Licht unseres Herzens – die Erkenntnis der Wahrheit über Gott und den Menschen im Gewissen – darf also nicht getrübt werden. Wir sind verantwortlich für die Pflege unseres Gewissens, ähnlich, ja noch mehr als wie wir für unseren Leib und unsere Gesundheit Verantwortung tragen. Davon hängt Entscheidendes ab. Vernachlässigen wir unser Gewissen, dann ist unsere Seele gleichsam im Dunkeln; unser inneres Licht ist dann Finsternis und wir werden auch anderen nicht leuchten können – weder durch unser Wort noch durch unser Leben.

Es wird uns somit klar, daß Wahrheit und Wahrhaftigkeit gerade auch als sittliche Aufgabe einen hohen Wert darstellen. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ hält dazu fest:

„Die Wahrheit im Sinn des redlichen Handelns und aufrichtigen Sprechens heißt Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit oder Freimut. Die Tugend der Aufrichtigkeit oder Wahrhaftigkeit besteht darin, daß man sich in seinen Handlungen als wahr erweist, in seinen Worten die Wahrheit sagt und sich vor Doppelzüngigkeit, Verstellung, Vortäuschung und Heuchelei hütet.“ (Nr. 2468)

Bevor von den hier bereits angesprochenen Verstößen, den Sünden gegen die Wahrheit und Wahrhaftigkeit, die Rede ist, soll der positive Aspekt noch etwas weiter ausgeleuchtet werden. Indem der Mensch die Wahrheit liebt, in ihr steht und sie tut, verwirklicht er seine ursprüngliche Einheit mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit Gott. Das ist gemeint mit der Rede von der „Einfalt des Herzens“, in der der wahrhaftige Mensch sich vollkommen im Gleichklang befindet mit all dem Wahren und Guten, das Gott, der Schöpfer, in uns hineingelegt hat und das uns Gott, der Erlöser und Heiligmacher, an Gaben der Wahrheit und des Heils stets zuteil werden läßt. Auf diese Weise gewinnen wir ein „reines Herz“, das bereits hier auf Erden in einer ganz ursprünglichen Weise die Wahrheit „schaut“ und dem von unserem Herrn Jesus Christus in der Bergpredigt verheißen ist, daß es einmal Gott selber „schauen“ wird (vgl. Mt 5,8: „Selig die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen“). Hier kann nur angedeutet werden, daß der wahrhaft reine Mensch vor allem diese Herzensreinheit in der Ausrichtung auf die Wahrheit seines Menschseins und auf die Wahrheit Gottes besitzt. Sünden der Unreinheit beginnen im Herzen, auch wenn sie sich dann auswirken auf den Leib und insbesondere auch auf den geschlechtlichen Bereich.

Nur der ganz und gar wahrhaftige Mensch wahrt die Einheit seines Wesens; seine Kräfte und Fähigkeiten zersplittern nicht, da er nicht im Widerspruch zu sich selber leben muß. Wieviel geht den Menschen doch dadurch an Kraft für das Gute verloren, daß sie sich der eigenen Wahrheit ihres Menschseins widersetzen, daß sie sich letztlich Gott gegenüber verschließen und den Geist der Wahrheit und der Heiligkeit ablehnen!

Wer die Unwahrheit liebt und die Lüge zum Lebensprogramm erhoben hat, steht gleichsam mit sich selbst im Krieg. Er schadet vor allem sich selber. Eben darum ist es naheliegend und leicht einzusehen, daß die bewußt gewollten Verstöße gegen die Wahrheit bereits als solche abzulehnen sind, noch vor ihren negativen Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen. Es handelt sich um in sich schlechte Handlungen, die niemals gerechtfertigt werden können!

Doch auch die soziale Komponente unserer Verpflichtung zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit verdient Bedeutung. Das menschliche Zusammenleben kann nur dann aufrecht bleiben und sich entfalten, wenn ein Grundkonsens über wesentliche Werte des Menschseins besteht. Vor allem aber braucht es das gegenseitige Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft des jeweils anderen, sich gemäß einer Gesinnung der Wahrhaftigkeit mitzuteilen und zu verhalten. Der heilige Thomas von Aquin schreibt dazu:

„Die Menschen könnten nicht in Gemeinschaft miteinander leben, wenn sie sich nicht gegenseitig glaubten, als solche, die einander die Wahrheit offenbaren“ (STh II-II, q.109, a.3 ad 1, zit. in KKK 2469).

Die Folge wäre ein radikales Mißtrauen und eine letztlich unüberwindliche Vereinsamung. Diese Art von Einsamkeit würde den einzelnen nicht entlasten, sondern ihm zur Qual, gleichsam zur „Hölle“ werden. Wo es keine Wahrheit gibt, dort gibt es letztlich auch keine Liebe und keinen Frieden! Dort haben auch Freude und Glück keinen Bestand. Umgekehrt wird das Zusammenleben in den kleinen und großen Gemeinschaften, angefangen in der Familie, gedeihen und gute Früchte bringen, wenn es getragen ist von einem vertrauensvollen Miteinander, das auf Wahrheit gegründet ist.

„Die Tugend der Wahrhaftigkeit gibt dem anderen, was ihm zusteht.“ (KKK 2469)

Der Mitmensch hat ein grundsätzliches Recht auf Wahrheit. Durch die Mitteilung der Wahrheit wird der Nächste anerkannt als Wesen, das fähig ist, die Wahrheit zu erkennen und mit ihr verantwortungsbewußt umzugehen. Enthält man einem Menschen die Wahrheit vor – und zwar in grundsätzlicher Weise, wie dies z.B. in der Propaganda totalitärer Systeme geschieht –, so mißachtet man sein Menschsein. Denn:

„Ein Mensch schuldet dem anderen aus Ehrenhaftigkeit die Kundgabe der Wahrheit“, wie Thomas von Aquin lehrt (STh II-II, q.109, a.3).

Etwas ist allerdings zu beachten: Die Verpflichtung zur Mitteilung der Wahrheit hat auch ihre Grenzen. Wahrhaftigkeit darf nicht verwechselt werden mit einer jederzeit und vor jedem geforderten Preisgabe innerster Überzeugungen und Geheimnisse. Das ist nicht von uns verlangt und auch nicht anzuraten. Auf diese Weise könnten wir auch viel zerstören, bei uns und bei anderen. So bewahrt die Tugend der Wahrhaftigkeit „die rechte Mitte zwischen dem, was auszusprechen [ist], und dem Geheimnis, das zu halten ist.“ (KKK 2469) Sowohl Aufrichtigkeit wie Verschwiegenheit (Diskretion) sind gefordert. Einer richtig angewandten Klugheit ist es anheimgegeben, die nötigen Unterscheidungen zu treffen. Hier gilt das Wort Jesu: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ (Mt 10,16)

Hier trifft der Katechismus wichtige Feststellungen:

„Das Recht auf Mitteilung der Wahrheit ist nicht bedingungslos. Das Leben ist nach dem Gebot der Nächstenliebe des Evangeliums auszurichten. Diese Liebe verlangt, daß man in der konkreten Situation abschätzt, ob es angemessen ist oder nicht, die Wahrheit dem zu sagen, der sie wissen will.“ (Nr. 2488)

Was hier wohl zu beachten ist: Nicht jedem muß ich alles mitteilen, was ich weiß. Zu lügen, d.h. bewußt und absichtlich die Unwahrheit sagen, um jemanden zu täuschen, der ein Recht hat, diese Wahrheit zu kennen, ist jedoch nie erlaubt!

Noch klarer heißt es darum in Nr. 2489 des KKK:

„Eine Bitte um Wissen oder Mitteilung muß stets mit Nächstenliebe und Achtung vor der Wahrheit beantwortet werden. Das Wohl und die Sicherheit anderer, die Achtung des Privatlebens oder die Rücksicht auf das Gemeinwohl sind hinreichende Gründe, etwas, das nicht bekanntwerden soll, zu verschweigen oder sich einer diskreten Sprache zu bedienen. Die Pflicht, Ärgernis zu vermeiden, fordert oft strenge Diskretion. Niemand ist verpflichtet, die Wahrheit Personen zu enthüllen, die kein Recht auf deren Kenntnis haben.“

Wir werden in dieser Sendereihe später noch auf die Notwendigkeit des Schutzes von Berufsgeheimnissen und insbesondere des Beichtgeheimnisses eingehen.

Auf einen Wahrheitsbereich verdient eine besondere Hervorhebung und Darstellung: Es ist das Zeugnis für die Wahrheit des Glaubens, das lebendige Zeugnis in Wort und Tat für Gott den Herrn selbst. Es kann Situationen geben, wo wir unmittelbar gefordert sind, uns als gläubige Christen zu bekennen. Viele Heilige, Bekenner und Märtyrer sind uns diesen Weg des mutigen Eintretens für die Wahrheit Christi vorausgegangen. Für sie alle und auch für uns gilt die Verheißung des Herrn: „Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ (Mt 10,32)

Als Jesus in einer Situation der Anklage und Verfolgung vor Pilatus stand, hat er nicht auf sich selber Rücksicht genommen, sondern sich zur Wahrheit des himmlischen Vaters und zur eigenen Sendung bekannt. Dazu heißt es im KKK 2471:

„Vor Pilatus erklärt der Herr: ‚Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege’ (Joh 18,37). Der Christ braucht sich nicht ‚des Zeugnisses für unseren Herrn’ (2 Tim 1,8) zu schämen. In Situationen, die ein Glaubenszeugnis verlangen, muß der Christ, wie der hl. Paulus vor seinen Richtern, den Glauben unzweideutig bekennen. Er muß sich bemühen, ‚vor Gott und den Menschen immer ein reines Gewissen zu haben’ (Apg 24,16).“

Die Pflicht zur Glaubensverbreitung und zum aktiven Zeugnis für die Wahrheit des Glaubens folgt aus unserer Zugehörigkeit zu Christus und seiner Kirche in der Taufe. Sie wird bestärkt durch das Sakrament der Firmung, in der wir durch die Gabe des Heiligen Geistes gesalbt sind, um in Wort und Tat den Glauben zu bekennen und zu leben (vgl. KKK 2472). Das bereits zitierte Wort Jesu gilt auch in der umgekehrten Variante: „Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ (Mt 10,33) Dies soll uns nicht entmutigen, wohl aber aufzeigen, daß es darum geht, im Leben zu bezeugen, daß für uns Christen die Gottes- und Nächstenliebe an erster Stelle stehen müssen.

Wer hier falsche Kompromisse schließt, geht das Risiko ein, das Wesentliche seines Lebens zu verlieren. Gott muß es uns wert sein, daß wir um der Treue zu seinem Namen willen auch so manche Nachteile auf uns nehmen. Wer nur irdische Vorteile im Sinn hat, nimmt Gott letztlich nicht ernst und gibt den Glauben dann preis, wenn die Stürme der Versuchungen hereinbrechen und die Not der Verfolgung herankommt. Freilich, und das müssen wir in aller Demut bekennen, sind wir selber schwache Menschen. Nicht derjenige ist treu, der selbstsicher von sich sagt, er werde niemals wanken (vgl. den Apostel Petrus: „Und wenn ich mit dir sterben müßte – ich werde dich nie verleugnen. Das gleiche sagten auch alle anderen.“ – Mt 26,35), sondern wer mit der Gnade Gottes mitwirkt und ihr treu bleibt bis zum Ende: „Wer jedoch bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“ (Mt 24,13)

Die hervorragendsten Zeugen für die Wahrheit des Glaubens sind die Märtyrer, die für Jesus Christus, den Herrn, ihr Blut vergossen haben. Dazu heißt es im Katechismus unter der Nr. 2473:

„Das Martyrium ist das erhabenste Zeugnis, das man für die Wahrheit des Glaubens ablegen kann; es ist ein Zeugnis bis zum Tod. Der Märtyrer legt Zeugnis ab für Christus, der gestorben und auferstanden ist und mit dem er durch die Liebe verbunden ist. Er legt Zeugnis ab für die Wahrheit des Glaubens und die christliche Glaubenslehre. Er nimmt in christlicher Stärke den Tod auf sich. ‚Laßt mich ein Fraß der wilden Tiere sein, durch die es möglich ist, zu Gott zu gelangen!’ (Ignatius v. Antiochien, Rom. 4,1)

Gestern war der Gedenktag der heiligen Märtyrer Pontianus und Hippolyt (in St. Pölten ein Hochfest, da der heilige Hippolyt der Diözesanpatron ist). Heute, am 14. August, feiert die Kirche den heiligen Pater Maximilian Maria Kolbe, der während des Nationalsozialismus für den Glauben sein Leben hingegeben hat und dies verbinden durfte mit dem Lebensopfer für einen polnischen Familienvater, der dadurch vor dem Tod gerettet wurde. Kraft gegeben hat dem heiligen Pater Kolbe vor allem die Verbundenheit mit der unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter Maria, der Königin der Märtyrer. Noch viele andere Zeugen des Glaubens gibt es. Gerade das vergangene 20. Jh. war ein Jahrhundert der Märtyrer, worauf unser Heiliger Vater Papst Johannes Paul II. oft hingewiesen hat.

Die christlichen Märtyrer sind keine Fanatiker, die andere in den Tod schicken. Die Kraft ihrer Liebe macht sie aber fähig, Gott treu zu bleiben bis zum Tod. So erweisen sie auch ihren Brüdern und Schwestern ein Höchstmaß an Liebe. Wir wollen schließen mit zwei Zitaten berühmter Märtyrer, die sich im KKK unter der Nr. 2474 finden:

„Nichts werden mir nützen die Enden der Welt und die Königreiche dieses Äons. Besser ist es für mich, zu sterben auf Christus hin, als König zu sein über die Enden der Erde. Jenen suche ich, der für uns starb; jenen will ich, der unsertwegen auferstand. Das Gebären steht mir bevor“ (Ignatius v. Antiochien, Rom. 6,1–2).

„Herr, allmächtiger Gott ... ich preise dich, weil du mich dieses Tages und dieser Stunde gewürdigt hast, zur Zahl deiner Blutzeugen zu gehören ... Du hast dein Versprechen gehalten, Gott der Treue und Wahrheit. Für diese Gnade und für alles lobe ich dich, preise ich dich und verherrliche ich dich durch den ewigen himmlischen Hohenpriester Jesus Christus, deinen geliebten Sohn. Durch ihn, der mit dir und dem Geist ist, sei dir Ehre jetzt und in alle Ewigkeit. Amen“ (Polykarp, mart. 14,2—3).

III. Verletzungen der Wahrheit und Wahrhaftigkeit

Nachdem in den bisherigen Ausführungen positiv der Wert der Wahrheit und die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit im Denken, Reden und Tun aufgezeigt wurde – gerade auch in der Nachfolge Christ – soll jetzt Bezug genommen werden zu möglichen Verletzungen dieser Werte. Eigentlich sollte davon unter Christen davon gar nicht die Rede sein müssen; so sehr widerspricht der bewußte und freiwillige Verstoß gegen Wahrheit und Wahrhaftigkeit dem Wesen dessen, was die christliche Berufung in sich schließt und von uns erfordert. Denn als Jünger Christi haben wir „den neuen Menschen“ angezogen, „der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24). Deshalb – so der „Katechismus der Katholischen Kirche“ in Nr. 2475 – folgen mit Recht die Ermahnungen der Heiligen Schrift:

„Legt deshalb die Lüge ab!“ (Eph 4,24) – „Legt alle Bosheit ab, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid und alle Verleumdung!“ (1 Petr 2,1)

Der Mensch soll lauter und aufrichtig sein in seinem ganzen Wesen; weder Verstellung noch Heuchelei sollen seine innere Ausrichtung auf das Wahre und Gute zerstören. Wir wenden uns zuerst dem Oberbegriff für alle derartigen Täuschungshandlungen zu, die als Verstöße gegen Wahrheit und Wahrhaftigkeit unbedingt abzulehnen sind, nämlich der Lüge.

Hier kann festgestellt werden: „Die Lüge ist der unmittelbarste Verstoß gegen die Wahrheit.“ Der Katechismus definiert sie folgendermaßen:

„Lügen heißt gegen die Wahrheit reden oder handeln, um jemanden zu täuschen, der ein Recht hat, sie zu kennen.“ (KKK 2483)

Die Lüge steht also im Widerspruch zur Wahrheit, sie ist mit ihr schlechthin unvereinbar. Wer lügt, hat die Absicht jemanden zu täuschen. Belügt er sich selbst oder macht er sich selbst etwas vor, so ist das Ziel die Selbsttäuschung. Meist aber hat die Lüge eine soziale Dimension, da sie ausgerichtet ist auf die Täuschung der Mitmenschen. Die Lüge verletzt das Recht des Mitmenschen, die Wahrheit zu erfahren. Sie setzt dort an, wo der Nächste mit Recht erwarten kann, daß ihm die Wahrheit gesagt wird. Statt dessen wird er mit Wissen und Willen in die Irre geführt. Seine Gutgläubigkeit wird ausgenützt, um ihn zu betrügen, was mit Schaden verschiedenster Art verbunden sein kann.

Der KKK führt darum in Nr. 2482 ein Zitat des heiligen Kirchenvaters Augustinus an:

„Die Lüge besteht darin, daß man Unwahres sagt in der Absicht zu täuschen“ (Augustinus, mend. 4,5)

Anschließend wird auf das Wort des Herrn verwiesen, in dem er die Lüge als Werk des Teufels anprangert:

„Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge. Mir aber glaubt ihr nicht, weil ich die Wahrheit sage.“ (Joh 8,44 f)

Die Lüge ist in gewisser Weise der Inbegriff alles Bösen:

„Da die Lüge die Verbindung des Menschen mit der Wahrheit und dem Nächsten verletzt, verstößt sie gegen die grundlegende Beziehung des Menschen und seines Wortes zum Herrn.“ (KKK 2483)

Es wundert daher nicht, wenn der „Katechismus der Katholischen Kirche“ zu folgenden weiteren Feststellungen gelangt:

„Die Lüge ist ihrer Natur nach verwerflich. Sie ist eine Profanierung des Wortes, das dazu bestimmt ist, die Wahrheit, die man kennt, anderen mitzuteilen. Die bewußte Absicht, durch wahrheitswidrige Aussagen den Nächsten zu täuschen, verstößt gegen die Gerechtigkeit und die Liebe. Die Schuld ist noch größer, wenn Gefahr besteht, daß die Täuschungsabsicht für die Getäuschten schlimme Folgen hat.“ (KKK 2485)

„Als ein Verstoß gegen die Tugend der Wahrhaftigkeit ist die Lüge eine Art der Gewalt gegenüber dem Nächsten. Sie trifft ihn in seiner Erkenntnisfähigkeit, die die Voraussetzung für jedes Urteil und jede Entscheidung ist. Sie enthält im Keim die Spaltung der Geister und alle Übel, die daraus hervorgehen. Die Lüge ist für jede Gesellschaft unheilvoll; sie untergräbt das Vertrauen zwischen den Menschen und zerreißt das Netz der gesellschaftlichen Beziehungen.“ (KKK 2486)

Trotz dieser klaren Feststellungen ist damit aber noch nicht entschieden, wie schwer die Lüge im Einzelfall zu bewerten ist. Es gibt ja durchaus Unterschiede in der sittlichen Negativität der einzelnen Arten der Lüge: Wenn ein unreifes Kind in einer Situation der Angst oder Einschüchterung lügt, so ist das anders zu werten, als wenn ein Erwachsener in voller Freiheit die Unwahrheit sagt. Wenn jemand lügt, weil er sich scheut, eigene Fehler zuzugeben oder er einer Situation der Verlegenheit ausweichen will (Notlüge), so ist das nicht dasselbe, wie wenn jemand ganz gezielt lügt, um dem Nächsten zu schaden (Schadenslüge). Manche meinen sogar, sie könnten die Lüge für einen guten Zweck einsetzen, was allerdings ein Irrtum ist: Eine in sich schlechte Handlung kann durch kein noch so gutes Ziel gerechtfertigt werden!

Ganz summarisch stellt der KKK in Nr. 2484 fest:

„Eine Lüge ist mehr oder weniger schwerwiegend gemessen an der Natur der Wahrheit, die sie entstellt, den Umständen, den Absichten dessen, der sie begeht, und den Nachteilen, die den Belogenen daraus erwachsen.“

Im einzelnen sind also mehrere Dimensionen zu beachten:

  • die Natur der Wahrheit, die die Lüge entstellt:
    Es geht hier um den inhaltlichen Wert, um die inhaltliche Bedeutung einer Wahrheit für eine Person. Ganz allgemein kann gesagt werden, daß die Wahrheiten des Glaubens und des sittlichen Lebens in der Ordnung der Bedeutung an erster Stelle stehen. Doch können auch einfache faktische Wahrheiten einen einzigartigen Rang für das Leben eines Menschen erlangen: Wenn man z.B. einem Hungernden auf die Frage, wo er etwas zu essen erhalten kann, eine irreführende Antwort gibt, die unter Umständen zu seinem Tod führt, so hat für ihn die wahrheitsgemäße Auskunft eine höchste existentielle Bedeutung und eine Lüge erweist sich als denkbar schwerwiegend.
  • die Umstände der Lüge:
    Wer einen einfältigen Menschen belügt und so ein ganz grundlegendes Vertrauen mißbraucht, tut ungleich Schlimmeres, als wer gegenüber einem verschlagenen Menschen das gleiche Mittel anwendet.
  • die Absichten dessen, der lügt:
    Wie bereits aufgezeigt, können diese ganz verschieden sein: Zwischen Notlüge, Nutz- und Schadenslüge etc. gibt es große Unterschiede.
  • die Nachteile für die Belogenen:
    Während bei einer leicht als solcher erkennbaren Scherzlüge keine Nachteile erwachsen und diese darum im eigentlichen Sinn gar nicht als Lüge zu kennzeichnen ist, sondern als harmloser Spaß, kann eine unter dem Schein der Wahrheit erfolgte Mitteilung von etwas Wichtigem, welche sich später als falsch herausstellt, zu großem persönlichen Schaden für die Belogenen führen.

Ganz allgemein stellt der Katechismus bezüglich der Schwere der Lüge fest:

„Die Lüge ist an sich nur eine läßliche Sünde, wird jedoch zu einer Todsünde, wenn sie gegen die Tugenden der Gerechtigkeit und der Liebe schwer verstößt.“ (KKK 2484)

Kluge Unterscheidung im Einzelfall tut also not. Weder der Rigorismus, der überall gleich eine Todsünde sieht, entspricht der kirchlichen Lehre, noch der Laxismus, der jedes sittliche Vergehen entschuldigt und relativiert.

Unbeschadet dessen ist festzuhalten, daß auch die läßliche Sünde zu meiden ist und niemals etwas Gutes sein kann. Daher ist jede Lüge in sich abzulehnen!

Eine besonders schwerwiegende Form der Lüge stellt die wahrheitswidrige Aussage dann dar, „wenn sie öffentlich gemacht wird. Vor einem Gericht wird sie zu einem falschen Zeugnis, unter Eid wird sie zu einem Meineid.“ (KKK 2476)

Hier wird der Mitmensch in direkter Weise geschädigt, und beim Meineid wird sogar der Name Gottes dafür mißbraucht. Insofern geschieht eine Verletzung des 2. Gebotes Gottes („Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren!“) sowie des 8. Gebotes Gottes („Du sollst kein falsches Zeugnis geben gegen deinen Nächsten!“). Sowohl das Hauptgebot der Gottesliebe wie auch das der Nächstenliebe werden bei falschem Zeugnis vor Gericht oder gar bei Meineid in schwerer Wiese verletzt.

Wenn heute manchmal argumentiert wird, ein säkularer Staat solle auf den Eid bei Gericht verzichten, da hier der Name Gottes angerufen wird und sich manche nicht mit dem Gottesglauben identifizieren können, so ist demgegenüber festzuhalten, daß jede Gesellschaft gewisse Fundamente braucht, ohne die sie nicht bestehen kann. Wenn dem Menschen nichts mehr heilig ist und er die grundlegende Verpflichtung zur Wahrheit nicht mehr anerkennt, hat weder das staatlich-gesellschaftliche noch das persönliche und familiäre Leben Bestand.

Ernst Pucher, Präsident des Wiener Erzbischöflichen Metropolitan- und Diözesangerichts, hält in diesem Zusammenhang fest: „Die Wahrheit ist möglichst objektiv zu erforschen. Für einen gläubigen Menschen ist eine religiöse Schwurformel sinnvoll“, so der Kirchenjurist im Gespräch mit „Kathpress“. Das Schwurverbot in der Bibel richtet sich gegen die antike Auffassung, daß man nur in Verbindung mit einem Schwur die Wahrheit zu sagen brauche. Es gilt aber immer und für jeden Menschen, die Wahrheit zu sagen. Wenn ein Christ bei brennenden Kerzen vor einem Kruzifix einen Eid ablegt, kann man davon ausgehen, daß die Aussage durch diese formale Bekräftigung noch „höher zu bewerten“ ist. Es gibt eine gesellschaftliche Tendenz, Religiöses aus dem öffentlichen Leben hinauszudrängen. „Keiner wird zu einer religiösen Formel gezwungen, wenn er nicht an Gott glaubt, auch nicht im Kirchenrecht“, betonte der Kirchenjurist. Atheisten werde in anderen Formulierungen verdeutlicht, daß auch sie vor Gericht zu „einer erhöhten Wahrheitsgarantie“ verpflichtet werden können (Kathpress, 01.08.2002).

Gerade im Hinblick auf ein faires Prozeßverfahren, in dem es darum geht, Unschuldige zu entlasten und die Schuldigen zu finden und gerecht zu bestrafen, stellt der KKK in Nr. 2476 fest:

„Diese Handlungsweisen [gemeint sind das falsche Zeugnis vor Gericht und der Meineid] tragen dazu bei, daß Unschuldige verurteilt oder Schuldige entlastet werden oder die Strafe, welcher der Angeklagte verfällt, verschärft wird. Sie beeinträchtigen schwerwiegend das Rechtswesen und die Gerechtigkeit des von den Richtern gefällten Urteils.“

Es gibt auch noch andere Verfehlungen gegen die Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Insbesondere ist jeder Mensch auf seinen guten Ruf angewiesen. Dieser schützt ihn und gibt ihm die Grundlage für sein Handeln und Wirken in dieser Welt. Wem ein schlechter Ruf vorauseilt, der gilt als nicht vertrauenswürdig und unterliegt oft einer negativen Dynamik dieses schlechten Rufes in dem Sinn, daß er gleichsam gar nicht anders handeln „kann“ als dies von seiner Umwelt erwartet bzw. vorausgesetzt wird ... Dies kann allerdings die persönliche Verantwortung des einzelnen nicht aufheben und völlig entlasten.

Der Katechismus hält in diesem Zusammenhang in Nr. 2477 fest:

„Die Rücksicht auf den guten Ruf eines Menschen verbietet jede Haltung und jedes Wort, die ihn ungerechterweise schädigen könnten. Schuldig macht sich

o des vermessenen Urteils, wer ohne ausreichende Beweise, und sei es auch nur stillschweigend, von einem Mitmenschen annimmt, er habe einen Fehltritt begangen;

o der üblen Nachrede, wer ohne objektiv gültigen Grund Fehler und Vergehen eines Mitmenschen gegenüber Personen aufdeckt, die nichts davon wissen;

o der Verleumdung, wer durch wahrheitswidrige Aussagen dem guten Ruf anderer schadet und zu Fehlurteilen über sie Anlaß gibt.“

Wir müssen uns wohl alle sehr selbstkritisch in einer ernsten Gewissenserforschung prüfen, ob und inwieweit wir uns hier selber versündigt haben: sei es durch leichtfertiges und vermessenes Urteil über andere, durch üble Nachrede und Ehrabschneiderei oder gar durch regelrechte Verleumdung bisher unbescholtener Personen. Wenn dies gezielt und planmäßig in einem öffentlichen Rahmen geschieht – auch mit Einsatz der modernen Medien der Kommunikation –, wobei oft die Absicht verbunden ist, Personen in ihrem beruflichen Fortkommen oder gesellschaftlichen Status zu schädigen, spricht man heute von „Mobbing“.

Den sittlichen Unwert derartiger Verhaltensweisen stellt KKK 2479 deutlich heraus:

„Üble Nachrede und Verleumdung zerstören den guten Ruf und die Ehre des Nächsten. Nun ist aber die Ehre das gesellschaftliche Zeugnis für die Würde eines Menschen, und jeder besitzt das natürliche Recht auf die Ehre seines Namens, auf seinen guten Ruf und auf Achtung. Üble Nachrede und Verleumdung verletzen somit die Tugenden der Gerechtigkeit und der Liebe.“

Es fragt sich, wie wir solchen Fehlhaltungen bereits im Ansatz positiv entgegentreten können. Hier empfiehlt der Katechismus, auf jeden Fall gut über andere zu denken. Es heißt ausdrücklich:

„Um nicht vermessen zu urteilen, soll jeder darauf bedacht sein, die Gedanken, Worte und Handlungen seines Nächsten soweit als möglich günstig zu beurteilen.“ (KKK 2478)

Es folgt nun ein Zitat aus dem „Exerzitienbüchlein“ des heiligen Ignatius von Loyola:

„Jeder gute Christ muß mehr dazu bereit sein, die Aussage des Nächsten für glaubwürdig zu halten, als sie zu verurteilen. Vermag er sie nicht zu rechtfertigen, so forsche er nach, wie jener sie versteht; versteht jener sie aber in üblem Sinn, so verbessere er ihn mit Liebe; und wenn das nicht genügt, so suche er nach allen angemessenen Mitteln, damit jener zu ihrem richtigen Verständnis gelange und so sich rette“ (Ignatius, ex. spir. 22).

Der Apostel Paulus gibt uns im Brief an die Philipper (2,3) den Ratschlag: „In Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst.“ Das darf nicht zu gefährlicher Naivität verleiten, die alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen außer acht läßt; es soll uns aber davor bewahren, dem Nächsten ein grundsätzliches Mißtrauen entgegenzustellen und ihn von vornhinein und grundlos zu verdächtigen. Nur ein Klima des Vertrauens und der Annahme sowie des guten Zuspruchs und der Ermutigung kann die Kräfte des Guten wecken und mobilisieren!

Auch andere Sünden und Fehlhaltungen als Verstöße gegen die Wahrheit sind anzuführen:

Insbesondere sind es Schmeichelei und Prahlerei, die in verschiedenem Grad negativ zu bewerten sind. Der KKK schreibt in Nr. 2480:

„Es ist verwerflich, durch Schmeichelei, Lobhudelei oder Gefälligkeit in Worten oder Haltungen andere in ihren schlechten Handlungen und ihrem falschen Verhalten zu bestärken. Lobhudelei ist ein schwerwiegender Fehler, wenn sie sich zum Komplizen von Lastern oder schweren Sünden macht. Der Wunsch, einen Dienst zu leisten, oder Freundschaft rechtfertigt Doppelzüngigkeit nicht. Lobhudelei ist eine läßliche Sünde, wenn sie nur in der Absicht geschieht, angenehm zu sein, ein Übel zu verhüten, einer Not zu begegnen oder berechtigte Vorteile zu erlangen.“

Im folgenden Artikel heißt es:

„Prahlerei oder Aufschneiderei ist eine Verfehlung gegen die Wahrheit. Das gleiche gilt von der Ironie, die jemanden herabzusetzen sucht, indem sie den einen oder anderen Aspekt seines Verhaltens böswillig ins Lächerliche zieht.“ (Nr. 2481)

All diese Unterscheidungen zeigen uns, daß der Umgang mit der Wahrheit eine große Sensibilität voraussetzt. Wenn manche Leute meinen, sie hätten ohnehin keine Sünden, so sollten wir uns alle ernsthaft fragen, ob wir im Umgang mit dem Wort und auch in der Tat wirklich ganz wahrhaftig gewesen sind. Es wird kaum jemand geben, der von sich sagen kann, er sei hier ohne Sünde!

Blicken wir stets auf Jesus Christus, den getreuen Zeugen, der uns in seiner Person das Wort der Wahrheit mitgeteilt hat! Bilden wir unser Herz nach dem Herzen Jesu und vertrauen wir uns in unserem Bemühen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit der Gottesmutter Maria an! Dann sind wir sicher trotz unserer Schwachheit und Gebrechlichkeit, trotz unseres Versagens auf einem guten Weg. Für heute wollen wir schließen mit einem Zitat aus dem 1. Johannesbrief (1,8–9):

„Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht.“

IV. Familien- und Berufsgeheimnisse

In unserer Radioserie über „Wahrheit und Wahrhaftigkeit“ wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Mitteilung der Wahrheit auch ihre Grenzen hat, die um des Wohles der betroffenen Personen willen respektiert werden müssen (vgl. KKK 2489). Die nötige Diskretion ist eine Forderung recht verstandener Gottes- und Nächstenliebe. Einige Anwendungsbereiche sollen heute aufgezeigt werden:

Die Familie als Ort der Wahrheit und des Vertrauens

Ehe und Familie sind grundlegende Formen der zwischenmenschlichen Beziehung und des Zusammenlebens. An sich hat jeder Mensch ein Recht darauf, in einer wohlgeordneten Familie aufzuwachsen und hier bestimmte grundlegende Werte seines Menschseins zu erfahren und wichtige Verhaltensweisen zu erlernen. Wo dies nicht gegeben ist, ist dies nicht immer mit Schuld verbunden. Doch darf das Ideal der Familie, wie sie nach Gottes Plan sein soll, nicht aus den Augen verloren werden.

Sowohl für die Ehegatten wie auch für die Kinder braucht es den „geschützten Raum“ des ehelichen und familiären Zusammenlebens, wo die Liebe und das Vertrauen herrschen. Hier ist es möglich, unverstellt und ohne Furcht derjenige zu sein, der man in Wirklichkeit auch ist. Da macht man sich nichts vor und kann einander in Liebe die Wahrheit sagen. Dies ist verbunden mit der ständigen Bereitschaft zur Vergebung und Versöhnung. All dies will oft mühsam erlernt sein, es bleibt aber der Familie als Auftrag aufgegeben.

Aber gerade wenn der Innenraum der Familie wirksam geschützt werden soll, damit die Familie ihr Eigenleben entfalten kann, soll aus diesem Bereich nicht einfach alles nach außen getragen werden. Es gibt das berechtigte „Familiengeheimnis“, das nicht exhibitionistisch vor anderen ausgebreitet und zur Schau gestellt werden darf. Geschieht dies trotzdem, so ist dies mit einem Vertrauensverlust nach innen verbunden und die Ehe bzw. Familie steht womöglich vor einer Zerreißprobe.

So wird es beispielsweise nicht angehen, daß einer der beiden Ehepartner gewisse Probleme mit dem anderen nach außen trägt, ohne sich zuerst im Einvernehmen mit dem Ehepartner um eine gute Lösung zu bemühen. Selbst da, wo es verfahrene Situationen gibt und eine Lösung schwer möglich scheint, darf dies nicht einfach jedem mitgeteilt werden. Man wird sich hier zwar mit anderen beraten können; doch auch diese Freunde müssen diskret sein, damit nicht der Eindruck entsteht, von außen in die Ehe einzudringen. Das Ziel solcher Beratung – beispielsweise durch Familienberatungsstellen – kann nie sein, das Miteinander der Gatten zu ersetzen oder gar zu zerstören, sondern zu ihrer erneuerten Gemeinsamkeit in Achtung, Liebe und Vertrauen hinzuführen.

Man wird hier gerade Kindern dabei helfen müssen, durch eine wegweisende und doch auch in Freiheit geschehende Erziehung Mut zu machen, zur eigenen Familie zu stehen. Nur dort, wo Eltern sich Zeit nehmen für ihre Kinder, wo sie sich bemühen, sie in Liebe zu verstehen, werden sich die Kinder den Eltern anvertrauen und mitteilen. Ihre besondere Verletzlichkeit braucht eine Atmosphäre familiärer Liebe und Zuwendung, in der sie keine Scheu zu haben brauchen, auch ihre Probleme und ihr Versagen aufzudecken.

Berufsgeheimnisse

Ganz allgemein verlangen bestimmte Berufe und Lebensumstände den Schutz des anvertrauten Wissens. Sorglosigkeit kann hier vieles zerstören. Der KKK stellt dazu in Nr. 2491 fest:

„Berufsgeheimnisse – die z.B. Politiker, Militärangehörige, Ärzte und Juristen bewahren müssen – oder vertrauliche Mitteilungen, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit gemacht werden, dürfen nicht verraten werden, außer wenn der Sonderfall eintritt, daß die Bewahrung eines Geheimnisses dem, der es anvertraut, oder dem, dem es anvertraut wird, oder einem Dritten einen sehr großen Schaden zufügen würde, der sich nur durch die Verbreitung der Wahrheit verhüten läßt. Private Informationen, die für andere nachteilig sind, dürfen selbst dann, wenn sie nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurden, nicht ohne einen entsprechend wichtigen Grund weiterverbreitet werden.“

Man sollte hier äußerst sensibel sein für den Schutz personenbezogener Informationen und Daten. Dies gilt auch für die Weitergabe von Informationen durch die Medien der Kommunikation, nicht zuletzt durch das Internet. Das Ethos der einzelnen und Gruppen muß hier eine Unterstützung finden in entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen (Richtlinien für den Datenschutz). Gerade der Staat sollte nicht den Anspruch erheben, auf alles und jedes Zugriff zu haben, da sonst die persönliche Freiheit der Bürger massiven Einschränkungen zu unterliegen droht. Ausnahmen gibt es klarerweise bei der Verbrechensbekämpfung. Ob dies allerdings so weit gehen soll, daß beispielsweise von jedem Bürger die Abnahme des Fingerabdrucks gefordert wird, ist mit Recht strittig.

So muß sich jeder „in bezug auf das Privatleben anderer Menschen gebührende Zurückhaltung auferlegen. Jene, die für die Weitergabe von Informationen verantwortlich sind, müssen das Gemeinwohl und die Achtung persönlicher Rechte in ein gerechtes Verhältnis bringen. Informationen über das Privatleben von Personen, die eine politische und öffentliche Tätigkeit ausüben, sind soweit zu verurteilen, als sie deren Intimsphäre und Freiheit verletzen.“ (KKK 2492)

Zwei Berufe sind vor allem in die Pflicht genommen: der Arzt und der Priester sowie alle, die mit diesen Berufsgruppen zusammenarbeiten.

Das ärztliche Schweigegebot verlangt, daß ein Arzt krankheitsbezogene Daten von Personen, von denen er ins Vertrauen gezogen wird (und das geschieht bei jeder Form ärztlicher Beratung, Diagnose und Therapie), nicht gegenüber Dritten offenbart. Klarerweise darf der Arzt Befunde an einen anderen Kollegen, an eine Klinik oder ein Labor weiterleiten und sich ärztlichen Rat holen. Jene, die mit ihm von Berufs wegen zusammenarbeiten (Kollegen, medizinische Helfer und Pflegekräfte), wird er um des Wohles der Patienten willen einzubeziehen haben. Auch gegenüber den Angehörigen darf der Arzt Auskunft geben, sofern diese ein berechtigtes Interesse daran nachweisen können. Dies sollte in grundsätzlichem Einvernehmen mit dem Patienten geschehen, da die erste Aufklärungs- und Informationspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten gilt, der bei ihm Rat und Hilfe sucht. Ihn wird er soweit als möglich einbeziehen und auch seine Freiheit der Zustimmung für bestimmte Formen der Behandlung und Therapie respektieren (sog. „informed consent“). Nicht das ärztliche Besserwissen im Sinn eines längst überholten „Paternalismus“ darf hier vorherrschend sein, sondern die Kooperation mit dem hilfesuchenden Menschen ist zu suchen, da nur in gegenseitigem Vertrauen die Basis für einen echten Heilungserfolg gegeben ist. Wo man aus Rücksicht auf den Patienten die volle Wahrheit über den körperlichen Zustand nicht mitteilen kann, so sollte dies in aller Liebe und Behutsamkeit geschehen, mit dem Ziel, den Patienten für die Mitteilung zu einem späteren Zeitpunkt gut vorzubereiten. Man wird es nicht verantworten können, einen Patienten regelrecht „anzulügen“, nur damit „er sich nicht aufregt“. Viele Menschen erwarten sich gerade in schwierigen Situationen einen offenen und zugleich tröstenden Umgang mit der Wahrheit. Dies trifft auch dann zu, wenn es gilt, sich auf das Sterben vorzubereiten. In einer gläubigen Atmosphäre sollte der Tod nicht tabuisiert werden, sondern dies kann als Chance begriffen werden, wesentlichen Fragen und Situationen des Menschseins zu begegnen und diese miteinander in menschlicher Verbundenheit durchzutragen. Das gemeinsame Gebet kann hier eine wesentliche Kraftquelle darstellen, für Patienten und betroffene Angehörige, ja sogar für die in die Pflege einbezogenen Mitarbeiter und das Team der Ärzte.

Auch der Priester ist in besonderer Weise betroffen von der Verpflichtung der Wahrung des persönlichen Geheimnisses. Dies gilt schon ganz allgemein von dem, was in der Seelsorge erfährt. In besonderer und hervorragender Weise trifft dies zu für seine Verpflichtung, das Beichtgeheimnis zu halten. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ schreibt dazu in Nr. 2490:

„Das Beichtgeheimnis ist heilig, und es darf aus keinem Grund verletzt werden. ‚Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich; dem Beichtvater ist es daher streng verboten, den Pönitenten durch Worte oder auf irgendeine andere Weise und aus irgendeinem Grund irgendwie zu verraten’ (CIC, can. 983, §1).“

Mehr als sein eigenes Leben oder irgendwelche Vorteile muß dem Priester die Einhaltung des Beichtgeheimnisses bedeuten, sodaß jeder Beichtende absolut sicher sein kann, daß nichts von dem, was er dem Priester in der Beichte anvertraut, nach außen dringt. Der Priester ist zur völligen Geheimhaltung verpflichtet. Diese strenge Schweigepflicht gilt selbst dann, wenn die Beichte ungültig war oder die Lossprechung (Absolution) verweigert wurde. Kein noch so schwerwiegender Grund kann davon entbinden; vor Gericht hat der Priester ein Zeugnisverweigerungsrecht.

Jede Verletzung des Beichtgeheimnisses ist eine schwere Sünde und wird mit dem Verlust der Beichtvollmacht, sowie aller kirchlichen Ämter und Würden geahndet.
Der Beichtvater darf auch mit dem Beichtkind nur während der Beichte über dessen Sünden sprechen, außerhalb ist das nur mit ausdrücklicher und freiwilliger Erlaubnis des Beichtkindes möglich. Auch alle anderen Personen, die durch Zufall etwas aus einer Beichte erfahren, sind zum Schweigen verpflichtet.

Ein berühmtes Beispiel für die Wahrung des Beichtgeheimnisses ist der „Brückenheilige“ Johannes Nepomuk, der 1393 in der Moldau ertränkt wurde, weil er nach der Überlieferung Einzelheiten aus einer Beichte nicht preisgeben wollte: König Wenzel wollte erfahren, was seine Frau dem Priester Nepomuk unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses anvertraut hatte. Dieser wahrte das Geheimnis trotz grausamer Folter. Schließlich ließ König Wenzel den treuen und verschwiegenen Priester Johannes Nepomuk von der Moldaubrücke in den reißenden Fluß stürzen und auf diese Weise ermorden. Dies geschah in der Nacht zum 20. März 1393.

V. Wahrheit und Wahrhaftigkeit in Kunst und Kultur

Zum Abschluß dieser Sendereihe soll noch auf einen Bereich kurz eingegangen werden, der prägend ist für unser Leben, auch wenn sich nicht alle damit bewußt auseinandersetzen. Es geht um die Darstellung, Interpretation und Gestaltung der Wirklichkeit des Lebens im künstlerischen und kulturellen Schaffen.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, daß der Mensch auf diese Weise teilhat am Schöpfungswerk Gottes. Den ersten Menschen wurde von Gott im Paradies der Auftrag gegeben, die Erde zu kultivieren und zu gestalten. Jeder Mißbrauch ist dabei auszuschließen, da es nicht um Zerstörung des Bestehenden, sondern um die Erhaltung und Entfaltung der Gaben Gottes des Schöpfers in Natur und Kultur geht.

Ähnlich wie das „Tun des Guten mit geistiger Freude und moralischer Schönheit verbunden“ ist, so bringt auch die Erkenntnis der Wahrheit „Freude und den Glanz geistiger Schönheit mit sich. Die Wahrheit ist von sich aus schön.“ (KKK 2500)

Die Wahrheit, die jemand im Geist erkennt und mit dem Herzen festhält, kann auf verschiedene Weise nach außen hin in Erscheinung treten bzw. zur Mitteilung an andere gelangen: Es gibt die nonverbale Kommunikation durch Mimik, Gesten und Gebärden, es gibt natürlich das gesprochene und geschriebene Wort sowie auch den Ausdruck der personalen Wahrheit durch die Taten und Werke der Person. Eine besondere Form stellt ihre Objektivierung im künstlerischen Schaffen dar. Denn hier bringt der Mensch, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, die Wahrheit über sich selbst und seine Beziehung zu den Mitmenschen sowie letztlich „zu Gott dem Schöpfer, auch durch die Schönheit seiner Kunstwerke zum Ausdruck.“ (KKK 2501)

Die Kunst ist eine „Form der praktischen Weisheit“, in der sich Erkenntnis und Können vereinen, „um der Wahrheit einer Wirklichkeit in einer dem Sehen oder dem Hören verständlichen Sprache Gestalt zu verleihen.“ (KKK 2501) Hier gilt als grundsätzliche Feststellung und Orientierung:

„Soweit sich die Kunst von der Wahrheit der Geschöpfe und der Liebe zu ihnen inspirieren läßt, weist sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Tätigkeit Gottes in der Schöpfung auf. Wie jede andere menschliche Tätigkeit hat die Kunst ihr absolutes Ziel nicht in sich selbst, sondern empfängt ihre Ordnung vom letzten Ziel des Menschen und wird durch dieses veredelt.“ (ebd.)

Mit diesen Überlegungen wollen wir die Sendereihe über das 8. Gebot Gottes („Das Ethos der Wahrhaftigkeit“) abschließen. Ein eigener großer Bereich wäre das Ethos der sozialen Kommunikation, das wir hier aus Zeitgründen nicht behandeln konnten (vgl. KKK 2493–2499). Grundsätzlich gilt hier: Die Medien sind Gaben Gottes, die der Mensch mit Umsicht und Verantwortung zum Wohl aller Beteiligten nutzen soll! Hier seien noch die einschlägigen Stellen des „Katechismus der Katholischen Kirche“ widergegeben:

2493 In der modernen Gesellschaft spielen die Massenmedien bei der Weitergabe von Information, der Förderung der Kultur und in der Bildung eine bedeutende Rolle. Infolge der technischen Fortschritte, des Umfangs und der Vielfalt der übermittelten Inhalte sowie aufgrund ihres Einflusses auf die öffentliche Meinung wird diese Rolle immer wichtiger.

2494 Die Information durch Medien steht im Dienst des Gemeinwohls [Vgl. IM 11]. Die Gesellschaft hat das Recht auf eine Information, die auf Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gründet.

„Der richtige Gebrauch [dieses] Rechtes fordert aber, daß die Mitteilung inhaltlich stets der Wahrheit entspricht und bei Beachtung der durch Recht und menschliche Rücksichtnahme gezogenen Grenzen vollständig ist. Auch in der Form muß sie ethisch einwandfrei sein, das heißt beim Sammeln und Verbreiten von Nachrichten müssen die ethischen Grundsätze sowie die Rechte und Würde des Menschen beachtet werden“ (IM 5).

2495 „Darum müssen alle Glieder der Gesellschaft ihren Verpflichtungen zu Gerechtigkeit und Liebe auch in diesem Bereich nachkommen und mit Hilfe dieser Mittel ebenfalls zur Bildung und Verbreitung richtiger öffentlicher Meinungen beitragen“ (IM 8). Solidarität ergibt sich aus einer wahren und rechten Kommunikation und dem Fluß von Ideen, die Kenntnis und Achtung anderer Menschen fördern.

2496 Die Kommunikationsmittel, vor allem die Massenmedien, können bei den Benützern eine gewisse Passivität erzeugen, indem sie diese zu wenig aufmerksamen Konsumenten von Worten und Bildern machen. Die Benützer sollen die Massenmedien maß- und zuchtvoll gebrauchen und sich ein klares und rechtes Gewissen bilden, um schlechten Einflüssen leichter zu widerstehen.

2497 Schon aufgrund ihrer Berufsaufgabe im Pressewesen haben Journalisten die Verpflichtung, bei der Verbreitung von Informationen der Wahrheit zu dienen und das Liebesgebot nicht zu verletzen. Sie sollen sich in gleichem Maße bemühen, den Fakten gerecht zu werden und die Grenzen des kritischen Urteils über Personen zu achten. Sie sollen sich vor Verleumdung hüten.

2498 „Die öffentliche Gewalt hat hier mit Rücksicht auf das Gemeinwohl ... besondere Verpflichtungen ... Im Rahmen ihrer Zuständigkeit hat sie die wahre und rechte Freiheit der Information ... zu verteidigen und zu schützen“ (IM 12). Indem die Behörden entsprechende Gesetze erlassen und darauf achten, daß diese auch eingehalten werden, sollen sie dafür sorgen, daß der schlechte Gebrauch der Massenmedien „nicht schwere Schäden für die öffentliche Sitte und den Fortschritt der Gesellschaft“ verursacht (IM 12). Sie sollen die Verletzung der Rechte eines jeden auf seinen guten Ruf und auf die Achtung seines Privatlebens bestrafen. Sie sollen rechtzeitig und aufrichtig die Informationen vermitteln, die das Gemeinwohl betreffen, und auf begründete Besorgnisse der Bevölkerung antworten. Die Verbreitung von Fehlinformationen, um die öffentliche Meinung durch die Medien zu manipulieren, ist durch nichts zu rechtfertigen. Behördliche Eingriffe dürfen die Freiheit von Einzelpersonen und Gruppen nicht beeinträchtigen.

2499 Die Moral verurteilt die Mißstände in den totalitären Staaten, wo die Wahrheit systematisch verfälscht wird, wo durch die Medien eine politische Herrschaft über die öffentliche Meinung ausgeübt wird, bei Schauprozessen die Angeklagten und Zeugen manipuliert werden und wo die Machthaber meinen, sie könnten ihre Tyrannei dadurch sichern, daß sie alles, was sie als „Gesinnungsdelikte“ ansehen, im Keim ersticken und unterdrücken.

Möge es uns mit Gottes Hilfe und auf die Fürsprache der Gottesmutter Maria und des heiligen Josef gelingen, Gott und den Menschen in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe immer besser zu dienen und auf diese Weise unsere ganz persönliche Berufung zu verwirklichen. Dazu erteile ich Ihnen jetzt meinen priesterlichen Segen und verabschiede mich ganz herzlich von Ihnen!